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# taz.de -- Wie die Anschlagsserie geplant wurde: Die Hintermänner von Mumbai
> Zehn Terroristen ermordeten knapp 200 Menschen in Mumbai. Die Attentate
> setzten Unterstützung aus Pakistan voraus. Nun lässt sich die Tat
> nachzeichnen.
Bild: Gedenken an die Toten des Terrors: Versammlung in Neu Delhi.
Dass die Terroristen den 26. November für den Anschlag wählten, war kein
Zufall. Ganz Indien saß vor den Fernsehbildschirmen und verfolgte ein
Cricketspiel zwischen Indien und England. So auch in Machimar Nagar, einem
Fischerdorf im Süden Mumbais. Bis auf einen alten Fischer bemerkte niemand
die zehn Terroristen, die mit einem Schlauchboot an Land gingen. "Kümmer
dich um deinen Dreck", antwortete einer von ihnen dem Fischer auf seine
Frage, was sie hier zu suchen hätten. Dreißig Minuten später begann das
Massaker von Mumbai, 66 Stunden später wurden 193 Tote und 564 Verletzte
offiziell bekannt gegeben. Acht Terroristen wurden erschossen, als indische
Spezialeinheiten die Hotels Taj Mahal Palace und Oberoi Trident und das
jüdische Gemeindezentrum stürmten. Nach dem Anschlag auf den
Chatrapati-Shivaji-Bahnhof wurde der neunte Attentäter von der Polizei
getötet. Sein Komplize konnte gefasst werden.
Als Exreporter der Times of India konnte ich auf meine Kontakte zur Polizei
in Mumbai zurückgreifen. Die Protokolle, die mir von dort zugefaxt wurden,
waren oft dilettantisch geschrieben. Das liegt teilweise daran, dass die
Polizisten in Mumbai weder richtig Hindi noch Urdu oder Pandschabi sprechen
können. So wurde der Terrorist in ihrem Gewahrsam zunächst Mohammad Amin
Kasab benannt, dann Azam Amir Kasav und später Azam Kamal Qasab.
Tatsächlich heißt der 21-jährige Pakistaner Mohammad Ajmal Amir. Der Name
Kasav/Qasab kam in Umlauf, als Amir nach seiner Kaste gefragt wurde. Er gab
an, ein "Kasai" zu sein, übersetzt Schlachter.
"Er hat uns alles erzählt", sagte mir der Polizeioffizier am Telefon. "Du
weißt ja, wie wir solche Mutterschänder zum Reden bringen." In der Tat
kenne ich die Methoden der Polizei in Mumbai. Der Gefangene wird nackt auf
einen Eisblock gelegt und ununterbrochen mit dünnen Bambusstöcken
ausgepeitscht. In seine Wunden wird eine Mischung aus Salz und Chilipulver
gestreut.
Am 26. November gegen 21 Uhr betraten Amir und sein Komplize Asif Ibrahim
nach Polizeiangaben Mumbais größten Bahnhof, den Chatrapati Shivaji
Terminus, eröffneten das Feuer und richteten ein Blutbad an. Auf der Flucht
wurden sie von einem Polizeijeep verfolgt. Sie erschossen alle vier
Insassen und übernahmen das Fahrzeug. Ein weiterer Polizeiwagen nahm die
Verfolgung auf. Ibrahim wurde tödlich getroffen, und eine Kugel traf Amirs
rechte Hand. Ein Polizeivideo zeigt, wie Amir aus dem Auto gerissen und auf
den Boden geworfen wurde und zwei Polizisten auf ihn mit Stöcken losgingen.
Erst am 28. November trafen die Agenten des indischen Geheimdienstes
Research and Analysis Wing (RAW) aus Delhi ein. Nach Angaben von
Informanten, die anonym bleiben wollen, wurden die Polizeiverhöre sofort
abgebrochen und Amir in das nahe gelegene Hospital eingeliefert.
Nach zwei Genesungstagen gingen die Agenten an die Arbeit. Zunächst
spritzten sie Amir ein sogenanntes Wahrheitsserum, das ähnlich einer Droge
sein Bewusstsein verändert. Sie erzählten ihm, seine Familie in Pakistan
sei verhaftet worden. Eine manipulierte Aufnahme der flehenden Stimme
seiner Mutter wurde ihm vorgespielt. "Das hat gewirkt. Der Armleuchter hat
alles ausgepackt", sagte einer der Agenten.
Aus den RAW-Protokollen geht Folgendes hervor: Mohammad Ajmal Amir Iman
wurde am 13. Juli 1987 als drittes von fünf Kindern in Faridkot im
pakistanischen Ostpandschab geboren. Sein Vater führte eine Imbissbude,
doch die Einkünfte reichten nicht, um die Familie zu ernähren. Im Jahr 2005
zog Amir nach Lahore um und schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durch.
Dort kam er in Kontakt mit einem gewissen Musaffar Chan, der ihn für die
radikalislamistische Organisation Laschkar-i-Taiba (LiT), die "Armee der
Reinen", rekrutierte. Amirs nächste Station war das LiT-Camp in Muridke, 35
Kilometer nördlich von Lahore. Sein Eifer überzeugte die Trainer, die ihn
mit 29 anderen jungen Männern für das Kommandotraining nach Multan
schickten. Im Februar 2008 wurde er dann mit neun weiteren für die
Anschläge ausgewählt.
Weiter gab Amir zu Protokoll, sie wären zu zehnt über den Seeweg und fünf
weitere Komplizen wären über Land nach Mumbai gereist. Geplant war, dass
sich Ibrahim und er am 26. November den fünf Komplizen, die über Land nach
Mumbai kommen sollten, anschließen, um gemeinsam den Anschlag in dem
Bahnhof auszuführen. "Wir wollten mit Granaten und Maschinengewehren
Tausende von Inder töten", sagte Amir aus. Doch als die fünf nicht
erschienen, nahmen Ibrahim und Amir die Sache in die eigene Hand.
An dieser Stelle musste das Verhör abgebrochen werden, da sich Amirs
gesundheitlicher Zustand drastisch verschlechterte. Verursacht durch die
Schläge in Polizeigewahrsam befürchteten die Ärzte innere Blutungen.
Alle Indizien sprechen dafür, dass Pakistan in die Anschläge involviert
ist. Doch eine derart gute Planung ist in der 19-Millionen-Metropole Mumbai
nicht ohne einheimische Hilfe möglich. Zeitungsberichten zufolge wird Chota
Schakil verdächtigt: Ein mächtiger Schmuggler aus Nordmumbais Muslimviertel
Mira Road. In einem seiner Boote sollen die Terroristen in Karachi
gestartet und nach Mumbai gelangt sein. Auch Aktivisten der verbotenen
Student Islamic Movement of India (Simi) könnten geholfen haben. Die
Vorstellung, die Attentäter hätten ihre große Menge an Waffen und Munition
aus Pakistan mitgeschleppt und sich logistische Informationen nur über
Google angeeignet, ist abwegig.
Indien ist der zweitgrößte islamische Staat der Welt - elf Prozent sind
Muslime. Unterdrückt von den Hindus (82 Prozent) fühlen sich die Muslime
zunehmend unsicher. Sie haben wenig Rechte und leben überwiegend in eigenen
Vierteln. In Mumbai zum Beispiel im Bhendibasar und an der Mira Road. Durch
die Anschläge dürfte sich das Verhältnis weiter verschlechtern.
Auch laut pakistanischen Regierungsquellen besteht inzwischen wenig Zweifel
daran, dass der Terror von der Laschkar-i-Taiba geplant und durchgeführt
wurde. Im Jahr 1991 von Hafis Mohammed Said gegründet, ist ihr Hauptziel,
den indischen Teil Kaschmirs zu erobern. 2002 wurde die LiT von der UNO,
den USA und der EU auf ihre jeweiligen Listen terroristischer
Organisationen gesetzt. Nachdem Pakistans damaliger Präsident Perves
Muscharaf die LiT verbieten ließ, tauchte ihre Führung unter. Said gründete
darauf Dschamaat-ud-Dawa (JuD), einen Wohltätigkeitsverein, der das
öffentliche Gesicht der LiT darstellte. Dieser Verein wurde 2006 von den
USA auf ihre Terrorliste gesetzt.
Die Tatsache, dass Dschamaat-ud-Dawa heute im ehemaligen LiT-Hauptquartier
in Muridke, nahe Lahore, ansässig ist, sagt einiges aus. Von hier aus
predigt Said seine Hasstiraden gegen Indien. In einer Freitagspredigt sagte
er kürzlich: "Es ist die Pflicht jedes Muslims, sich dem Dschihad gegen
Indien anzuschließen. Wir werden erreichen, dass Indien wie die UdSSR
zerfällt."
Das Gelände in Muridke erstreckt sich über 200 Hektar. Dort leben und
lernen 5.000 "Schüler". Umzäunt mit Stacheldraht und umgeben von hohen
Bäumen sind die Gebäude auf den ersten Blick nicht zu sehen. Stämmige
bärtige Männer mit kugelsicheren Westen und mit Kalaschnikows bewaffnet
bewachen die Eingänge. Im Inneren erscheint es auf den ersten Blick wie
eine normale Madrassa, wo Schüler im Alter von 10 bis 25 Jahren den Koran
zitieren. Der Großteil von ihnen stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Im
hinteren Teil des Geländes jedoch lernen die Schüler unter anderem
Schwimmen, Reiten, Schießen und Bomben bauen. Nach dem Abendgebet folgt die
Indoktrination. Mit Diashows und Filmen, begleitet von feurigen Tiraden,
wird gezeigt, wie Muslime in Tschetschenien, Afghanistan, Irak und Indien
unterdrückt werden. Ussama Bin Laden und Mullah Omar werden als Verteidiger
des Islams vor westlichen Einflüssen dargestellt.
Dschamaat-ud-Dawa hat nach eigenen Angaben 3.000 Büros in ganz Pakistan.
Anfang Dezember erklärte der UN-Sicherheitsrat die Organisation als Front
der Terrororganisation LiT und ordnete die Beschlagnahme ihres Vermögens im
Ausland an. Hafis Mohammed Said, der Gründer beider Organisationen, wurde
unter Hausarrest gestellt, mehrere LiT-Führer als mutmaßliche Hintermänner
der Anschläge von Mumbai verhaftet. Ob Präsident Asif Ali Sardari die
Organisation wirklich in Schach halten kann, ist fraglich. Zum einen wurde
bereits vergeblich versucht, gegen sie vorzugehen, um ausländischen Druck
zu mindern. Zum anderen wird sie von einflussreichen Militärs und
Angehörigen des Geheimdienstes Inter Services Intelligence (ISI)
unterstützt.
16 Dec 2008
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