# taz.de -- Ausstellung in Synagoge: Mutig in Zeiten des Krieges | |
> Sie bewiesen während des Dritten Reichs Zivilcourage, auch gegen den | |
> Widerstand ihrer Vorgesetzten: Die Celler Synagoge präsentiert die | |
> Lebensläufe von neun Diplomaten, die Juden mit Hilfe von Schutzpässen vor | |
> der Deportation retteten. Rehabilitiert wurden nur wenige - und das sehr | |
> spät. | |
Bild: Der portugiesische Diplomat Aristides de Sousa Mendes wurde gewaltsam aus… | |
Mutige Diplomaten sind schon in Friedenszeiten selten. Fürs Mutigsein | |
werden sie auch nicht bezahlt. Und schon gar nicht, um sich ihren | |
Vorgesetzten - und damit den Staaten, die sie im Ausland repräsentieren | |
sollen - zu widersetzen. Das gilt erst recht in Krisenzeiten, in denen es | |
auf jedes Wort, jede Geste ankommt, damit Schwierigkeiten nicht noch größer | |
werden. | |
Anders liegen die Dinge, wenn Staaten systematisch Unrecht begehen. Wem ist | |
dann zu gehorchen, wem sich zu widersetzen? Viele Diplomaten machen sich | |
darüber wenig Gedanken. Sie verstehen sich als ausführendes, nicht als | |
Macht ausübendes Organ. Also tun sie, wie ihnen geheißen, und verschließen | |
im Übrigen die Augen. | |
Es überrascht darum nicht, dass auch während des Dritten Reichs nur wenige | |
Diplomaten den Mut fanden, Juden vor der Deportation zu retten - zumal das | |
diametral den Anweisungen ihrer Regierungen zuwiderlief, die teils mit | |
Deutschland verbündet waren. | |
Nur 20 von 16.000 "Gerechten unter den Völkern", die die Jerusalemer | |
Gedenkstätte Yad Vashem benannte, sind folglich Diplomaten. Neun von ihnen | |
porträtiert derzeit die Ausstellung "Ein Visum fürs Leben" in der Celler | |
Synagoge. Es ist ein würdiger Ort für eine solche Schau: die Synagoge ist | |
die älteste erhaltene in Niedersachsens. 1740 gegründet und spätbarock | |
ausgestattet, wurde das Gotteshaus während der Pogromnacht von 1938 nur | |
deshalb nicht komplett von den Nazis zerstört, weil das umliegende Viertel | |
dann mit abgebrannt wäre. | |
140 Synagogen gab es in Niedersachsen vor 1933. 40 davon sind übrig | |
geblieben, davon zwei als Gedenkstätte. Celle ist eine davon, und seit es | |
dort wieder eine - derzeit 88-köpfige - jüdische Gemeinde gibt, werden dort | |
auch Gottesdienste gefeiert. Die Synagoge liegt im Hinterhaus eines | |
Ensembles dreier Häuser, deren Grundstücke die jüdische Gemeinde 1738 | |
erwarb. Das ehemalige jüdische Schulhaus sowie ein weiteres Haus, in dem | |
Gemeindebedienstete wohnten, zählen dazu. In Letzterem werden seit der | |
Restaurierung von 1996 wechselnde Ausstellungen gezeigt. | |
Hell, tröstlich, fast privat wirken die kleinen Räume, in denen derzeit | |
Fotos und Biografien der Diplomaten an den Wänden hängen. Es sind Viten von | |
Menschen, die Mut bewiesen, ohne Rücksicht auf Karriere oder Ansehen zu | |
nehmen. Aus Schweden, China, Italien, Portugal, den Niederlanden, Japan, | |
den USA und der Schweiz stammen die Männer. | |
Am bekanntesten ist der Schwede Raoul Wallenberg, der 1944 für Tausende | |
Budapester Juden gefälschte schwedische Schutzpässe ausstellte. Deren frei | |
erfundene schwedische "Siegel" zeichnete der darin begabte Wallenberg | |
übrigens selbst. 15.000 Juden brachten er und sein Kollege Per Anger zudem | |
in Protektoratshäusern unter, zu denen die Nazis keinen Zutritt hatten. | |
Der Japaner Chiune Sempo Sugihara wiederum stellte litauischen Juden | |
japanische Transitvisa aus. Der in Bordeaux akkreditierte Portugiese | |
Aristides de Sousa Mendes verfertigte Zehntausende illegaler Visa. Der | |
Chinese Feng Shan Ho tat dasselbe in Wien - und fuhr damit auch dann fort, | |
als seine Vorgesetzten ihn explizit aufforderten, keine Juden mehr ins | |
rettende Shanghai zu schicken. | |
Alle diese Diplomaten handelten auf eigene Verantwortung, einige gegen den | |
erklärten Willen ihrer Vorgesetzten - teils, wie Sousa Mendes - nach 30 | |
Jahren "bedingungslosen Gehorsams", wie der Begleittext vermeldet. Sousa | |
Mendes selbst wird in Celle mit den Worten zitiert: "Auch wenn man mich | |
entlassen wird, kann ich nicht anders, als meine Pflicht als Christ zu | |
erfüllen und meinem Gewissen zu folgen." | |
Diese Haltung hatte Konsequenzen: Aus Lissabon kamen schließlich Beamte, | |
die ihn gewaltsam aus seinem Amt entfernten. Später wurden ihm sämtliche | |
Pensionsansprüche aberkannt. Auch Chiune Sugihara musste nach seine | |
Rückkehr nach Tokio den diplomatischen Dienst verlassen, weil er sich | |
"aufgelehnt" habe. Und Feng Shan Ho vermutet, dass sein | |
Nachkriegs-Karriereknick auf "negative Berichte" seiner Vorgesetzten | |
zurückgeht. Das Vergehen der Gehorsamsverweigerung zählte den | |
Nachkriegs-Regierungen offensichtlich mehr als Zivilcourage. Die in Celle | |
porträtierten Diplomaten passten schlicht nicht ins Profil des latent | |
opportunistischen Durchschnittsdiplomaten. | |
Dabei war, was sie taten, weit entfernt von vordergründigem Heldentum. All | |
diese Männer lebten, zwischen allen Stühlen sitzend, sehr gefährlich, | |
konnte der Trug doch jederzeit auffliegen, ohne dass sie die Rückendeckung | |
ihrer Regierungen hatten. Markantes Beispiel ist hier abermals Wallenberg: | |
1945 wurde er verhaftet und in sowjetische Gefängnisse gebracht. Vermutlich | |
hielt man ihn für einen Spion. Er kehrte nie zurück. | |
Andere überlebten den Krieg, erlebten ihre Rehabilitation aber nicht. Sousa | |
Mendes etwa starb 1954. Erst im Jahr 1988 rehabilitierte ihn die | |
portugiesische Regierung. Aber die meisten Staaten taten nicht einmal dies. | |
Eine irritierende, wenig aufgearbeitete Facette europäischer | |
Post-Holocaust-Geschichte. Strukturell ist sie vergleichbar dem Schweigen, | |
dem jene Holocaust-Überlebende begegneten, die in ihre Heimat | |
zurückkehrten: Von ihren traumatischen Erlebnissen wollte man dort nicht | |
das Geringste hören. | |
16 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Schweden | |
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