# taz.de -- Streit um Tierhilfe: Ein Tischlein deckt sich mit Hundefutter | |
> Die Berliner Tiertafel gibt an Bedürftige kostenlos Futter aus, damit die | |
> Viecher nicht im Tierheim landen, wenn das Geld ausbleibt. Die Idee ist | |
> gut, sagt die Gründerin der Berliner Tafel - und verklagt die | |
> Namensvettern | |
Bild: Sie sollen auch was auf dem Teller haben und nicht im Tierheim landen. | |
Als in den Tiefen der Aldi-Tüte ein Handy zu klingeln beginnt, schreckt der | |
große schwarze Hund kurz zusammen. Schließlich hängt die Tüte direkt neben | |
seinem Ohr - so dicht gedrängt stehen Hunde und Halter in der Schlange vor | |
der Futterausgabe der Berliner Tiertafel. Es gibt sie erst seit Oktober. | |
Doch dass es hier jeden Samstag ab 11 Uhr kostenlos Tierfutter für | |
Bedürftige gibt, hat sich schnell herumgesprochen. | |
Das barackenartige Gebäude im Ortsteil Baumschulenweg, das früher zur | |
Volkshochschule Treptow gehörte, schwirrt vor Stimmen und Hundegebell, es | |
riecht nach Zoohandlung. "In unserer Kartei sind schon mehr als 400 | |
Menschen gemeldet", sagt Jeannine Raasch, die Leiterin der Tiertafel. "Und | |
mit jedem Wochenende werden es mehr." Mehr Menschen, die mit Dokumenten | |
ihren Status als Rentner oder Hartz-IV-Empfänger belegen. Die mit | |
Tierarztrechnungen die Existenz eines Haustieres beweisen, die Tiertafel | |
über Größe, Gewicht und Gesundheitszustand ihres Tieres informieren und | |
dafür kostenloses Tierfutter bekommen. | |
Berlin ist arm, aber tierlieb. Die Arbeitslosigkeit beträgt 15 Prozent, die | |
Zahl der offiziell gemeldeten Hunde liegt bei 104.000, zu denen sich nach | |
Schätzungen weitere 100.000 gesellen, die ohne Steuermarke herumlaufen. | |
Daneben gibt es Katzen, Kaninchen und Wellensittiche, manch einer hält sich | |
auch ein Hausschwein. Jedes Tier will fressen, muss ab und zu zum Arzt, | |
braucht eine Leine, einen Knochen oder einen Katzenbaum. Dazu kommt bei | |
Hunden die Steuer, die in Berlin pro Jahr 120 Euro für den Erst- und 180 | |
Euro ab dem Zweithund beträgt. So wird das Haustier vom Gefährten zur | |
Existenzbedrohung, wenn statt des Gehalts monatlich nur noch Hartz IV oder | |
eine kleine Rente auf dem Konto einlaufen. | |
"Die Tiere sind meine neuen Kinder", sagt Angela Lüdicke. "Die kann ich | |
doch nicht einfach weggeben." Eine Bekannte hat der Rentnerin, die im Kiez | |
wohnt, beim Wochenendeinkauf von der Tiertafel erzählt, da ist sie gleich | |
hergekommen, "mal gucken, was das ist". Dann holt sie ihr Portemonnaie aus | |
der Tasche und zeigt die Fotos ihrer Tiere, die sie wie selbstverständlich | |
neben denen von Kindern und Mann mit sich herumträgt. "Das sind die beiden | |
Katzen, zwei und fünf Jahre alt, und hier, das ist Tapsi", erklärt Lüdicke. | |
Das Hundeporträt, eine schwarze Promenadenmischung, ist unscharf, | |
überbelichtet und abgegriffen. Natürlich kosteten die Tiere Geld, aber das | |
sei es ihr wert, sagt Angela Lüdicke. "Schließlich komme ich mit Tapsi auch | |
jeden Tag raus und treffe andere Hundebesitzer." Zwar könne sie mit ihrer | |
Rente die Tiere finanzieren, aber eine Unterstützung durch die Tiertafel | |
sei dennoch willkommen. "So viel würde ich aber nie mitnehmen", sagt sie, | |
als eine Frau mit einem großen Einkaufstrolley von der Futterausgabe | |
kommend die Warteschlange passiert. | |
Vermutlich bekäme sie auch gar nicht so viel, schließlich hat sie "nur" | |
zwei Katzen und einen Hund. Und bei der Tiertafel wird genau zugeteilt: Je | |
nach Größe des Haustieres gibt es Futter, das für vier Tage reichen soll. | |
"Wir unterstützen nur, wir finanzieren nicht", erklärt Raasch das Vorgehen. | |
Aus diesem Grund fänden auch nur diejenigen Hilfe, die ihr Tier | |
nachweislich schon längere Zeit besitzen. "Es soll sich niemand ein Tier | |
zulegen, nur weil es jetzt die Tiertafel gibt." | |
Die Idee zu einer Tafel für Tiere entstand 2006 nach einem Fernsehbericht. | |
Darin hatte Claudia Hollm, eine Programmiererin aus dem brandenburgischen | |
Rathenow, gesehen, wie eine Familie mit Kindern ihren Hund ins Tierheim | |
bringen musste, nachdem der Vater seine Arbeit verloren hatte. "Die Kinder | |
weinten und der Hund war völlig traumatisiert", erzählt Hollm. Es dürfe | |
nicht sein, dass Tiere, die jahrelang in Familien gelebt hätten und denen | |
es dort gut gegangen sei, ins Tierheim müssten, weil es an 30 Euro | |
monatlich für das Futter fehlt. So gründete Hollm die Tiertafel und | |
eröffnete in Rathenow die erste Ausgabestelle, der deutschlandweit bisher | |
18 Tafeln folgten. Weitere 30 sind in Planung. | |
Mittlerweile hat der Verein 720 Mitglieder, die mit ihren Beiträgen den | |
Grundbedarf der Tafeln, das Futter, finanzieren. "Dank zusätzlicher Spenden | |
können wir auch mal einen Tierarztbesuch bezuschussen", so Hollm. Über | |
6.000 Bedürftige sind insgesamt bei den Tiertafeln in ganz Deutschland | |
registriert. Sie erhalten neben Futter auch Tipps zur Pflege und Haltung | |
ihrer Tiere. "Nur Dosen weitergeben bringt gar nichts", sagt Hollm. | |
Daher gibt es bei der Tiertafel eine Rundumversorgung mit Beratung. | |
Zusätzlich arbeitet bei der Berliner Tafel auch ein Hundetrainer, der den | |
richtigen Umgang mit Tieren vermittelt. Genau wie die bundesweit 250 Helfer | |
der Tiertafeln macht er seinen Job ehrenamtlich. "Man muss nicht nur tier-, | |
sondern auch menschenlieb sein, wenn man bei uns mithilft", erklärt Hollm. | |
Schließlich kämen nicht nur Rentner mit Gesprächsbedarf, sondern auch | |
Obdachlose zur Tiertafel. Auch mit ihnen müsse man umgehen können. | |
Der Name, den man sonst eher mit der Essensausgabe an bedürftige Menschen | |
verbindet, hat sich für Hollm aus der Aufgabe ergeben. "Wir haben sowohl an | |
die Tafel zum Hinsetzen als auch an die Schultafel gedacht", erklärt sie. | |
Man wolle bei der Tiertafel ja auch den richtigen Umgang mit Tieren | |
vermitteln. "Dass der Begriff Tafel den Kunden schon bekannt ist, macht es | |
ihnen sicher auch leichter, zu uns zu kommen." | |
Die Vorsitzende der Berliner Tafel sieht das weniger entspannt. "Ich finde | |
es eine Unverschämtheit, dass man sich unseres Namens bedient", sagt Sabine | |
Werth. "Ein Hund sitzt weder an einer Tafel noch vor einer Schultafel. Bei | |
der Namensgleichheit fällt es sofort auf uns zurück, wenn bei denen mal was | |
schiefgeht." Dabei findet Werth die Idee an sich sehr gut. "Ich weiß, dass | |
die eigenen Haustiere für viele gerade in Notsituationen den einzigen | |
emotionalen Rückhalt bieten." Deshalb habe sie Claudia Hollm sogar | |
angeboten, zusammenzuarbeiten und die Ausgabestellen zu koppeln. "Aber den | |
Brief hat Frau Hollm nicht einmal beantwortet", so Werth. Um den eigenen | |
Namen und den guten Ruf der Berliner Tafel zu schützen, zieht sie nun vor | |
Gericht. Wie sie sagt, um die Gefahr durch Trittbrettfahrer endgültig zu | |
bannen. | |
Wie die Organisation letztendlich heißt, ist Ludwig und Sissi egal. Beide | |
sitzen geduldig auf dem Flur und warten, bis sie an der Reihe sind - wie es | |
sich für wohlerzogene Jack-Russell-Terrier gehört. Ihr Besitzer, ein | |
Hartz-IV-Empfänger, ist bereits das vierte Mal bei der Tiertafel. "Bisher | |
ist es auch irgendwie gegangen, aber die Unterstützung ist schon eine | |
Erleichterung", sagt er. Er hänge an den beiden, sie abzuschaffen komme für | |
ihn auf keinen Fall in Frage. "Tiere frischen das Leben auf, in guten wie | |
in schlechten Zeiten." | |
Sein royales Hundepaar hat er heute dabei, weil sich die Mitarbeiter der | |
Tiertafel regelmäßig davon überzeugen wollen, dass es den Tieren gut geht, | |
die sich mit Futter versorgen. "Wenn wir etwa einen Hund mit | |
Stachelhalsband sehen, wird das sofort ausgetauscht", sagt Jeannine Raasch. | |
In einem kleinen Lagerraum stapelt sich Tierzubehör, das gespendet wurde | |
und je nach Bedarf herausgegeben wird. "Da haben wir Ermessensspielraum", | |
so Raasch. "Man sieht ja, wer wirklich etwas braucht." | |
Zurzeit häufen sich vor dem Lager die Kratzbäume und Transportkisten für | |
Katzen. Das liegt am sogenannten Weihnachtsmarathon, bei dem zu | |
zusätzlichen Sachspenden aufgerufen wird. "Bei der letzten Ausgabe vor | |
Weihnachten wollen wir jedem Tierbesitzer - Tier und Bedürftigkeit | |
angemessen - ein kleines Geschenk machen", erklärt Raasch. | |
Die meisten, die an diesem Tag gekommen sind, wollen nicht so lange warten. | |
Doch Jeannine Raasch bleibt hart, als eine Katzenhalterin ihr sofort einen | |
Katzenkorb abschwatzen will. "Wir vermerken auf Ihrer Karteikarte, dass Sie | |
so was brauchen." Bescherung ist am Samstag. | |
18 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
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Inflation | |
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