# taz.de -- Elend der Flüchtlingslager im Kongo: Alltag in Kibati | |
> Eine traumhaft schöne Landschaft, zersiedelt von Flüchtlingslagern, in | |
> denen eine Million Menschen leben: bettelnde Kinder und Vergewaltigung | |
> gehören noch immer zum Alltag. | |
Bild: In Kibati kennen viele Flüchtlingskinder nur die Lagerkultur und betteln… | |
KIBATI und SHASHA taz Zwei Männer versuchen mit Hammer und Meißel den | |
schwarzen Lavastein zu zertrümmern. Obwohl sie über die Statur eines Arnold | |
Schwarzenegger verfügen, kommen sie nur langsam voran. Sie müssen Löcher | |
schlagen, tiefe Löcher, um weitere Latrinen für das Lager zu bauen. "Die | |
Cholera hat sich schon ausgebreitet. Wir wollen nicht noch mehr Fälle | |
bekommen", sagt Rienk de Lange von der Hilfsorganisation Ärzte ohne | |
Grenzen. | |
Das Flüchtlingslager Kibati, nahe der ost-kongolesischen Stadt Goma, ist | |
ein Ort des Elends, wie jedes Lager auf der Welt. Durch den knallharten | |
Lavastein ist das Leben besonders mühsam. Die Menschen schlafen auf dünnen | |
Matratzen auf dem harten Boden, der sich von der Sonne nicht richtig wärmen | |
lässt. In anderen Lagern, von denen es im Ost-Kongo viele gibt, beginnen | |
die Flüchtlinge meist sofort nach ihrer Ankunft irgendetwas anzubauen. Das | |
Land ist ja außergewöhnlich fruchtbar. Aber der Lavastein lässt das in | |
Kibati nicht zu. | |
Massaka Kamara läuft ziellos durch das Lager. "Meine Felder waren reif für | |
die Ernte. Ich besaß 35 Säcke mit Holzkohle, die ich verkaufen wollte. | |
Meine zwei Kühe, sechs Ziegen und zwei Hühner sind schon lange in den Mägen | |
der Soldaten gelandet." Anfang dieses Jahres ist Kamara von seinem Hof, | |
westlich von Kibati, geflohen. Jetzt wandert er ziellos zwischen den langen | |
Reihen der Hütten umher, die aus Hölzern und Bananenblättern errichtet | |
wurden. Plastikplanen sollen sie gegen den häufigen Regen schützen. Das | |
Lager befindet sich am Fuß des Nyiragongo-Vulkans, wo selbst an sonnigen | |
Tagen eine dunkle Wolke die Krateröffnung verbirgt. | |
Massaka Kamara ist vor den Kämpfen zwischen den CNDP-Rebellen von Laurent | |
Nkunda und der kongolesischen Armee geflohen. Zwar herrscht ein vorläufiger | |
Waffenstillstand, aber der Bauer hat Angst heimzukehren. "Es gibt dort | |
nichts mehr. Die Armee hat alles mitgenommen, aufgegessen oder zerstört." | |
Ortswechsel. Vierzig Kilometer nördlich sehen die sechzehnjährige Bertine | |
und ihre Mutter Geneviève einem Fußballspiel der Jugendlichen im Lager von | |
Shasha zu. In beiden Mannschaften spielen Jungen und Mädchen gemischt, die | |
viel lachen und schreien, aber kaum Tore machen. Bertine und ihre Mutter | |
scheinen sich nicht zu amüsieren. "Ich hatte zwar früher kein Geld, um | |
meine fünf Kinder in die Schule zu schicken, aber wir hatten wenigstens | |
genügend zu essen. Jetzt gehen wir oft hungrig schlafen", berichtet | |
Geneviève, die kürzlich Witwe geworden ist. | |
Die Familie von Geneviève hat alles verloren, als die CNDP-Rebellen durch | |
ihr Dorf zogen und mitnahmen, was sie tragen konnten. Tochter Bertine wurde | |
während der Flucht von Rebellen vergewaltigt. Das Mädchen mag nicht darüber | |
sprechen. Ihre Mutter klagt: "Die Nkunda-Männer hatten uns doch schon alles | |
weggenommen. Warum mussten sie auch noch meiner Tochter ihre Keuschheit | |
rauben?" Geneviève weiß, dass ihre Tochter nicht die Einzige in Shasha ist, | |
die vergewaltigt wurde. Vergewaltigungen kommen weiterhin vor, denn die | |
Frauen müssen zum Brennholzsuchen in die Wälder. | |
Der Fußballplatz in Shasha, wo der Ball durchs hohe Grass fliegt, liegt | |
nicht weit vom Ufer des Kivu-See. Fischerboote liegen still auf dem Wasser, | |
das in der Sonne glitzert. In den Bäumen entlang des Ufers warten grauweiße | |
Eisvögel auf Fische, die sie mit ihren langen Schnäbeln aufspießen. Auf der | |
Landseite ist Shasha umgeben von Bergen, die bis hoch oben von Feldern | |
gesäumt sind. Eine traumhaft schöne Landschaft, zersiedelt von unzähligen | |
Flüchtlingslagern, in denen seit Anfang dieses Jahres eine Million Menschen | |
leben. | |
Die Lager Kibati und Shasha werden von Soldaten der kongolesischen Armee | |
bewacht. Nur wenige Kilometer entfernt befinden sich die Stellungen der | |
Rebellen. Die feindlichen Lager liegen damit auf Tuchfühlung. An vielen | |
Orten im Ost-Kongo herrscht diese bizarre Situation. Noch viel irrsinniger | |
als jetzt könne es kaum noch werden, sagt Onesphore Sematumba, | |
Politikexperte am Pole Institut in Goma. "Kämpfe und Krieg gibt es schon | |
lange. Wir wussten, dass unsere Armee nicht sehr stark ist. Aber was wir im | |
Oktober erlebt haben, hat selbst mich überrascht. Da rennen die Soldaten | |
auf der Flucht quer durch Goma und lassen die Bevölkerung alleine und | |
unbeschützt zurück. Und am nächsten Tag kommt die Armee wieder, um alles zu | |
plündern!" | |
Nach den ersten demokratischen Wahlen im Kongo 2006 herrschte die Hoffnung, | |
dass damit Gewalt, Chaos, Plünderungen und Korruption im Land ein Ende | |
nehmen würden. Aber die naive Erwartung schwand bald dahin. Alte ethnische | |
und ökonomische Konflikte lebten wieder auf, Gewalt und Vergewaltigungen | |
gehören seither wieder zum Alltag. | |
Vor allem Vergewaltigungen haben wieder enorm zugenommen im Kongo. Bereits | |
in der ersten Hälfte dieses Jahres meldeten sich 5.700 vergewaltigte Frauen | |
in Nord-Kivu in Krankenhäusern. Die Spitze der Spitze des Eisbergs, | |
vermuten Hilfsorganisationen. In einem auf Vergewaltigung spezialisierten | |
Krankenhaus in Goma ließen sich in den letzten fünf Jahren 18.000 Frauen | |
behandeln. "Ost-Kongo ist für Frauen der schlimmste Ort der Welt", meint | |
Anneke Woudenberg von der Menschenrechtenorganisation Human Rights Watch. | |
"Es gibt keine genauen Zahlen. Aber vermutlich ist die Armee verantwortlich | |
für die Hälfte der Vergewaltigungen. Die anderen 50 Prozent gehen auf das | |
Konto der verschiedenen Rebellengruppen und Milizen." | |
Auch im Lager von Kibati gehören Vergewaltigungen noch immer zum Alltag, | |
weiß Massaka Kamara. "Außerdem werden wir von Soldaten bedroht, wenn | |
Nahrung ausgeteilt wird. Wir müssen ihnen dann einen Teil abgeben." Der | |
Bauer ist nicht zum ersten Mal Flüchtling. 1996 suchte er bereits Schutz in | |
einem Lager, als Laurent Kabila, der ermordete Vater des jetzigen | |
Präsidenten, nach Kinshasa marschierte, um den damaligen Diktator Mobutu | |
abzusetzen. "Damals halfen die kongolesischen und die ruandischen Tutsis | |
'Papa Kabila' bei dem Marsch". erinnert sich der Bauer. "Wir haben mit den | |
Tutsis hier im Kongo immer problemlos zusammengelebt. Aber seit dem | |
Völkermord in Ruanda ist das vorbei. Tutsis wie Nkunda suchen nach den | |
hierher geflohenen Mördern des Genozids und streiten sich mit der Armee." | |
Die kongolesische Regierung beschuldigt das Nachbarland Ruanda der | |
Unterstützung Nkundas. Der Rebellenführer ist der Meinung, dass die | |
Machthaber in der Hauptstadt Kinshasa nichts gegen die FDLR unternehmen, | |
eine Gruppierung, deren harter Kern aus Teilnehmern des ruandischen | |
Völkermords besteht, die 1994 in den Kongo flüchteten. "In diesem Land gibt | |
es keinen guten oder schlechten Politiker. Im Kongo haben nur bewaffnete | |
Männer in verschiedenen Uniformen die Macht. Sie benutzen ihre Gewehre, um | |
zu töten, zu vergewaltigen und zu rauben. Und wir, die Bevölkerung, leiden | |
unter allen. Keiner schützt uns", meint Geneviève. | |
Die Uno-Friedensmacht im Kongo ist mit 17.000 die größte in der Welt. Aber | |
Monuc, wie sie abgekürzt heißt, hat es nicht geschafft, die Bevölkerung zu | |
schützen. Viele Blauhelme haben Angst, das Mandat ist unzureichend und | |
selbst 17.000 Mann ist eine viel zu kleine Armee für ein so großes Land wie | |
den Kongo. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage in Goma gaben nur zwei | |
Prozent der Bevölkerung an, Vertrauen in Monuc zu haben. Der Rest traut in | |
dieser Lage nur noch Gott. "Ich kann nur noch beten. Aber meine Hoffnung | |
auf Frieden habe ich für immer verloren", sagt Massaka Kamara. | |
Wie er ist ein großer Teil der Vertriebenen im Kongo in den letzten 12 | |
Jahren schon öfters vor Soldaten, Rebellen oder Milizen geflohen. Nur | |
wenige Lagerbewohner in Kibati weisen die völlig niedergeschlagene Haltung | |
derjenigen auf, die zum ersten Mal alles verloren haben. "Irgendwie gewöhnt | |
man sich beim zweiten oder dritten Mal schneller ans Leben im Lager", meint | |
Kamara. Wir Kongolesen sind darin Meister." | |
Die Hilfsorganisationen wollen Kibati abbrechen und einige Kilometer weiter | |
entfernt wieder aufbauen, weil sich das Lager zwischen den Positionen der | |
Armee und der Rebellen befindet. Aber trotz des harten unfruchtbaren Bodens | |
und ihrer verzwickten Lage sind die Vertriebenen gegen die Verlegung. Sie | |
haben nicht die Energie, eine neue Hütte aus Stöcken und Bananenblättern zu | |
errichten. Als die meisten Vertriebenen hier vor einen Monat ankamen, | |
existierte bereits ein Lager mit Holzhütten und kleinen Geschäften. Dort | |
leben die Menschen aus Goma, die ihr Haus verloren haben, als der | |
Nyiragongo 2002 wütend Lava spuckte und einen großen Teil Gomas | |
überflutete. "Wir fühlen uns hier okay. Wir leben zwar zwischen feindlichen | |
Lagern, aber auch die Monuc hat ein Lager hier", erklärt Massaka Kamara. | |
"Ich habe nicht die Kraft, noch einmal umzuziehen.". | |
In Kibati kennen viele Flüchtlingskinder nur die Lagerkultur. Sie betteln | |
ohne Scheu bei jedem Weißen, der in ihren Augen für eine Hilfsorganisation | |
arbeitet. Die meisten stecken ihre oft dreckigen Händchen aus und fordern: | |
"Kekse, Geld, Bleistift". Massaka Kamara schüttelt den Kopf. "Was soll aus | |
den Kindern werden? Es gibt hier keine Schulen, sie lungern herum und | |
keiner erzieht sie." Mit müden Schritten läuft er langsam zu seiner | |
Lagerunterkunft, während es Abend wird. Er schaut auf den Vulkan. Die | |
dunkle Wolke ist verschwunden. Die kochende Lava färbt den schnell dunkel | |
werdenden Himmel rot. | |
18 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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