# taz.de -- KOOK-Label serviert Texte zur Musik: Schnelle Zungen | |
> "Wir haben wenig Zeit. Berlin ist schön. Fangen wir an." So hastig | |
> stürzte sich der viel reisende Sasa Stanisic in eine Geschichte über viel | |
> reisende junge Leute beim letzten Kooksalon. | |
Bild: Muss liefern: Tilman Rammstedt. | |
Man muss sich im Leben ohnehin allzu oft entscheiden. Soll ich den Kaffee | |
tall nehmen oder grande, Germanistik studieren oder Jura, soll ich gehen | |
oder bleiben? Der Alltag ist eine unendliche Abfolge potenziell drohender | |
Fehlentscheidungen. | |
Doch zumindest für jene, denen die Wahl zwischen Literatur und Musik schwer | |
fällt, hat das Berliner Independent-Label KOOK, aus dem heraus sich auch | |
der feine kleine Kookbooks-Verlag gegründet hat, den "Kooksalon" erfunden. | |
Siebenmal seit April dieses Jahres fand in den Sophiensælen ein | |
musikalisch-literarischer Abend statt, bei dem jeweils zwei AutorInnen, die | |
mitunter zugleich auch MusikerInnen waren, aus ihren Texten vorlesen | |
durften und eine dritte Person die Musik beisteuerte. Christiane Rösinger | |
war hier zu Gast, Jan Böttcher, Dietmar Dath, Thomas Pletzinger, Kathrin | |
Röggla und Jim Avignon. | |
Nun gab es am Mittwoch den vorläufig letzten Kooksalon; ermöglicht wurde | |
die Reihe durch eine Projektfinanzierung des Berliner Kultursenats. Mit | |
Bruno Franceschini trat zum Abschluss der Kook-Musikchef persönlich als | |
musikalischer Unterhalter auf. Einer der geladenen Autoren, der | |
Bachmann-Preisträger Tilman Rammstedt, ist, wie Franceschini, Teil der Band | |
"Fön" und daher gewöhnt, "Texte an Musik" zu servieren. Als zweiter Autor | |
kam Sasa Stanisic, in dessen Romantitel "Wie der Soldat das Grammofon | |
repariert" immerhin eine Art Musikinstrument eine Rolle spielt. | |
Wer sich nun schon gefreut hatte, die beiden Autoren gemeinsam eine | |
Weihnachtsgeschichte erzählen zu hören, wie Kook etwas kühn auf der Website | |
angekündigt hatte, der wurde zwar enttäuscht. Doch man hatte schnell | |
vollstes Verständnis für Stanisic, der in Berlin nur für die Lesung | |
Zwischenstation machte und noch am Tag zuvor zur selben Zeit bei seinen | |
Eltern in Florida Cevapcici gegessen hatte, wie er selbst staunend erzählt, | |
und sich deshalb den Strapazen des Extemporierens vor Publikum nicht auch | |
noch aussetzen wollte. | |
Dass er bis kurz vor seinem Auftritt emsig daran arbeitet, sein Manuskript | |
auf die geforderte Lesehöchstdauer (20 Minuten) zu kürzen, zeugt ohnehin | |
von Einsatzbereitschaft. | |
Mit den Worten "Wir haben wenig Zeit. Berlin ist schön. Fangen wir an!" | |
stürzt er sich in seinen Text, der ganz neu ist und irgendwie zum | |
feuchtkalten Wetter passt, weil er vom Reisen in Skandinavien handelt, auch | |
wenn im Text nicht Winter ist. Die Hauptfiguren sind zwei junge Männer, von | |
denen einer Mo heißt und einer Ich, wie der Autor erklärt. Später sagt er | |
noch im Gespräch mit Alexander Gumz von Kook, dass die beiden reisenden | |
Figuren den puren Eskapismus pflegten und dass Reisen eigentlich nichts | |
sei, womit man wirklich etwas tut, und dass er selbst, wegen der vielen | |
Übersetzungen, die sein Roman habe erleben dürfen, in letzter Zeit sehr | |
viel gereist sei und das zunächst schön gefunden habe, auch weil es ja | |
bezahlt werde und man immer gut zu essen bekomme, aber sich auch sehr | |
freue, dass es nun allmählich wieder aufhöre. | |
Vorher hat er sich dafür entschuldigt, so schnell gelesen zu haben; doch | |
das hatte gar nicht weiter gestört, da es zum eskapistischen | |
Sich-Treiben-Lassen seiner Helden eigentlich gut passte. Was die | |
Lesegeschwindigkeit angeht, liegt allerdings Tilman Rammstedt ganz klar | |
noch vor Stanisic. Rammstedt liest aus seinem aktuellen, allerorten hoch | |
gelobten Roman "Der Kaiser von China" (siehe auch taz vom 13. 12.), heimst | |
dafür eine Menge Lacher ein und erzählt dann, wie er ursprünglich ein | |
"cleveres" Buch hatte schreiben wollen: mit einem Bild von China, das so | |
geschickt teils fiktiv, teils echt sein sollte, dass auch wahre Chinakenner | |
auf eine harte Probe gestellt worden wären. | |
Abschließend hat man Gelegenheit, sich zu überzeugen, wie Rammstedt seine | |
ungewöhnliche Schnelllesefähigkeit trainiert. Denn zum Ende des Abends | |
treten Rammstedt und Franceschini gemeinsam auf. Damit steht immerhin die | |
Hälfte der Gruppe "Fön" auf der Bühne, und es kommt etwas zum Vorschein, | |
das im bisherigen Verlauf des Abends nur andeutungsweise erkennbar war und | |
das nur im direkten Zusammenwirken von Wort und Musik entsteht. | |
Franceschini hatte zuvor eigene Lieder dargebracht, auch er beherrscht den | |
ironischen Bühnenstil. Doch das Besondere an den "Fön"-Nummern ist, dass | |
sie zur Musik in der Regel nicht gesungen, sondern gesprochen werden. | |
Dadurch behalten die Texte ihren eigenen Gestus, der sich selbstbewusst | |
gegen das akustische Programm der Musik absetzt. Musik und Text | |
kommentieren sich gegenseitig, und irgendwo dazwischen bildet sich ein | |
schwebendes Spannungsfeld des Komischen. | |
Schön, dass das auch mit Rammstedt und Franceschini allein funktioniert - | |
auch wenn es etwas durchaus anderes ist, wenn nicht nur einer, sondern drei | |
Schriftsteller sprechend neben dem Musiker auf der Bühne stehen. Der | |
komplette "Fön" in seiner geballten Uneigentlichkeit hätte gut in diesen | |
Kontext gepasst. Aber alles kann man nun auch nicht haben; es ist ja schon | |
viel, wenn man sich mal für einen Abend nicht entscheiden muss. Oder | |
jedenfalls nur zwischen Becks und Bionade. | |
19 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Schriftsteller | |
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