# taz.de -- Verfilmung der "Buddenbrooks": Nostalgie zweiter Ordnung | |
> Heinrich Breloers Verfilmung von Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" setzt | |
> auf prächtige Interieurs und Kostüme. Fast jede Szene ruft den Zuschauern | |
> zu: Seht, wie bedeutsam alles ist! | |
Bild: Woran sieht man bloß, dass dieser Kostümfilm deutsch ist? | |
Ein verschwiegenes Ringen und tagtägliches Pfennigfuchsen. Die Arbeit in | |
einem Lübecker Kaufmannskontor des 19. Jahrhunderts muss sehr still und | |
sehr eintönig gewesen sein. In einer Szene dieser Verfilmung erhält man | |
einen Eindruck davon. Man sieht die Angestellten der Familie Buddenbrook | |
mit steifen Krägen am Schreibpult stehen - ein fahles Licht fällt durch die | |
Fenster -, man sieht sie geduldig die Schreibfeder aufs Papier setzen, | |
Korrespondenzen erledigen und die Bücher führen. | |
Es gehört zu den vielen unglücklichen Entscheidungen Heinrich Breloers, | |
nicht wenigstens in dieser Szene etwas länger zu verweilen. Wenige | |
Augenblicke nur, dann ist die sorgfältige Kritzelei bereits zur Staffage | |
geworden. Die alltägliche Arbeitsszenerie dient allein als Hintergrund, um | |
die Clownerien des missratenen Sohnes Christian Buddenbrook zu | |
illustrieren. | |
Der Alltag, der Rahmen, in dem sich die Lebensdramen der Buddenbrooks | |
abspielen, interessieren Heinrich Breloer nur als Dekor. Dabei gehen gerade | |
von dem Kontor vielfältige Linien bis ins Herz der Geschichte hinein. | |
Wer den Roman gelesen hat, weiß, was für eine aufwändige Ökonomie nötig | |
war, um so einen großbürgerlichen Haushalt zu führen - von der Schufterei | |
in der Küche bis hin zum Wäscheraum, wo die zum Ende hin aus | |
Repräsentationszwecken mehrmals täglich gewechselten frischen Hemden für | |
den Senator Thomas Buddenbrook gepflegt werden. Wer den Roman gelesen hat, | |
kennt das eiserne Gerüst von Pflicht und rigider protestantischer | |
Arbeitsmoral, das in diesen Lebensentwürfen herrscht: das leise Kratzen der | |
Federn auf den Geschäftspapieren bildet ihr kontinuierliches | |
Hintergrundgeräusch. Noch bis in das Arbeitszimmer von Thomas Mann hinein | |
kann man diese Linien verfolgen. In einem zähen Ringen hat er sich ein | |
Leben lang vormittags, einsam und geräuschneurotisch, mit steifem Kragen am | |
Schreibtisch sitzend, die täglich zu schreibende eine Seite abgetrotzt: der | |
Schriftsteller als Kontorist des eigenen Werkes. | |
Wer aber nun diesen Film sieht, muss sich das alles selbst hinzudenken. | |
Heinrich Breloer interessiert sich allein für die Ausnahmesituationen des | |
Familienlebens. Zusammen mit seinem Kodrehbuchautor Horst Königstein hat er | |
sich gleich für den Beginn des Films eine große Ballszene ausgedacht, die | |
so in dem Roman nicht vorkommt. Die festliche, die repräsentative Seite des | |
Großbürgertums - Orchester, Ballkleider, Kronleuchter - soll herausgekehrt | |
werden. Man ist als Zuschauer sowieso schnell darauf eingestimmt, dass | |
Breloer vielleicht doch lieber die Geschichte einer Adelsfamilie verfilmt | |
hätte. Dass es bei diesem Ball auch um Geschäfte geht, um Verheiratungen | |
und Mitgift, wird zwar in den Dialogen thematisiert, kommt aber gegen das | |
feudale Setting nicht an. | |
Von da an geht es weiter von Episode zu Episode. Kutschfahrten, | |
Sommerurlaube, Hochzeiten, Geschäftsabschlüsse, Todesfälle. Wenn einmal die | |
Arbeitssituation der Kaufmannsfamilie gezeigt wird, dann geschieht das, | |
während gerade ein Schiff mit Roggen aus Russland malerisch im Lübecker | |
Hafen entladen wird. Ohne Dekor macht es dieser Film einfach nicht. | |
Diese Schauwerte sind selbstverständlich bei Thomas Mann angelegt, ebenso | |
die Episoden. Aber dass diese Verfilmung so auseinanderfällt und über weite | |
Strecke die Anmutung eines bunten Bilderbogens aus historischen Zeiten | |
annimmt, liegt allein an Heinrich Breloer. Er hat die Szenen des Romans | |
verfilmt, nicht seinen epischen Atem. Und er hat jede einzelne Szene für | |
sich so aufgeplustert, bis jeweils ein ganz eigenes Ausstattungskunstwerk | |
dabei herauskam. | |
Alle geben in allen Szenen immer alles: der dräuende, wabernde und die | |
Emotionen der Figuren stets verdoppelnde Soundtrack; die bewegliche Kamera, | |
die sich, als Thomas Buddenbrook schließlich auf offener Straße | |
zusammenbricht, gleich dramatisch mit in den Dreck wirft; die Komparsen wie | |
die Hausangestellten und Arbeiter, die in der Episode um die | |
1848er-Revolution ein bisschen böse, sonst aber meist gutmütig aussehen. Am | |
meisten aber geben Kostüm- und Maskenbildner sowie die Ausstattungsleiter. | |
Alles an diesem Film soll groß, fett und beeindruckend wirken. Ein Lübecker | |
Freilichtmuseum wäre sicher stolz auf die Requisiten und Nachbauten, die | |
für die Dreharbeiten zusammengetragen wurden. Warum diese | |
Ausstattungsorgie, warum all diese Pracht? Das historisierende Argument, | |
dass es eben damals in Lübeck so ausgesehen habe, zieht nicht; selbst wenn | |
jeder einzelne Frackknopf authentisch sein sollte, fokussiert der | |
Kamerablick viel mehr Aufmerksamkeit auf die prächtigen Details, als es | |
einem alltäglichen Blicken entsprechen würde. Warum also? Die Vermutung | |
ist: weil Heinrich Breloer den Roman nicht eigentlich verfilmen, sondern in | |
ihm schwelgen wollte. In dem begleitenden Filmbuch (auch Fischer, der | |
Hausverlag Thomas Manns, gibt alles) erzählt Breloer, dass er als | |
Jugendlicher 1959 über die damalige Verfilmung zu den "Buddenbrooks" kam; | |
und weiter: für ihn sei das "als Sohn eines Mehlgroßhändlers" sofort seine | |
"eigene Geschichte" gewesen. | |
Diese identifikatorische Lesart hat er 50 Jahre später keineswegs | |
analytisch abgekühlt - das hätte interessant werden können -, sondern | |
nostalgisch aufgeladen. In der Verfilmung sieht man als Zuschauer das leere | |
Staunen des jugendlichen Breloer beinahe in jeder Szene mit. Verklärt wird | |
so zwar keineswegs die Handlung des Romans, wohl aber der Roman selbst. | |
Sozusagen eine Nostalgie zweiter Ordnung, mit im Subtext stets mitlaufenden | |
Imperativen: Seht, wie bedeutsam das hier alles ist! Nur der Zusammenhang, | |
die innere Motivation der Szenen, warum eigentlich gerade was geschieht, | |
das bleibt über weite Strecken nebensächlich. | |
Diese Bedeutsamkeit nervt ziemlich schnell. Bundespräsident Horst Köhler | |
hat vergangenen Dienstag bei der "Weltpremiere" des Films in Essen gesagt, | |
dass "wir" uns in den "Buddenbrooks" immer noch spiegeln würden. Das mag | |
sogar stimmen (wie man sich in vielen Klassikern und auch in einigen | |
aktuellen Romanen immer mal wieder spiegelt). Aber man möchte sich als | |
Zuschauer auf jeden Fall eben selbst darin spiegeln dürfen - und nicht, wie | |
bei Breloer, durch vordergründige Bedeutsamkeit, Dekor und einen | |
aggressiven Soundtrack zur Spiegelung eher erpresst als eingeladen zu | |
werden. | |
Es ist einfach zu viel, was Heinrich Breloer opfert, um sein | |
Ausstattungskino zelebrieren zu können. Vor allem opfert er einen genauen | |
Blick auf die inneren Kämpfe der einzelnen Figuren. Über Jessica Schwarz | |
als Tony Buddenbrook kann man noch streiten. Ihre beiden scheiternden Ehen | |
geben auch genug szenisches Spielmaterial ab; wobei man auch bei den | |
Grünlich- und Permaneder-Episoden nicht wirklich sieht, was diese Tony | |
umtreibt. Und die Episode um ihre große Liebe Morten Schwarzkopf in | |
Travemünde ist - wie so vieles - viel zu vordergründig geraten. | |
Die inneren Konflikte ihrer Brüder Thomas und Christian Buddenbrook bleiben | |
dagegen mehr als blass. Spätestens hier rächt sich die Fetischisierung des | |
Dekors. Da Arbeitsethos und Arbeitsalltag nicht sorgfältig herausgearbeitet | |
sind, versteht man nicht, wie Musik und Leidenschaft in ihrer Mischung aus | |
Sehnsucht und Fremdheit in dieses Leben hereinbrechen. Man versteht auch | |
nicht, was Christian zu seiner Flucht in Hypochondrien und Bohemeleben | |
treibt. Bei Hanno Buddenbrook, dem Enkel, kulminiert diese fehlende | |
Motivierung dann. Sein Tod wird von Breloer irgendwie als Folge eines | |
Badeunfalls erzählt, nicht als Entscheidung gegen das Leben. Man muss die | |
alten und so schön übersichtlichen Mann- schen Dichotomien zwischen Nord | |
und Süd, Bürgertum und Künstlertum, Geschäft und Musik nicht mehr | |
mitmachen. Aber von den inneren Zerrissenheiten der Mannschen Figuren | |
erzählen sollte man schon - anstatt sie für vordergründig inszenierte | |
Szenenfindungen auszubeuten. Spätestens bei der Inbrunst, mit der Thomas | |
Buddenbrook seiner ach so leidenschaftlich Violine spielenden späteren Frau | |
Gerda zuschaut, muss man als Zuschauer einfach lachen. | |
Mag sein, dass die Blässe der Figuren daran liegt, dass Heinrich Breloer | |
kein herausragender Schauspieler-Regisseur ist. Armin Mueller-Stahl als | |
Konsul Jean Buddenbrook lässt er viel zu viel Chargiererei durchgehen; und | |
dass er bei den vielen Nebenfiguren Überblick und Maß behält, möchte man | |
auch nicht behaupten. | |
Die Blässe liegt aber auch schon an der ganzen Anlage des Films. Eines | |
jedenfalls sollte nach dieser Verfilmung endgültig klar sein: dass man von | |
Familienverhältnissen nicht mehr erzählen kann, ohne die inneren Horizonte | |
ihrer einzelnen Mitglieder aufzuspannen. Aber eigentlich war das schon | |
vorher klar. Und Heinrich Breloer hat das entweder nicht umsetzen können | |
oder in seiner Schwelgerei ganz vergessen. | |
19 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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