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# taz.de -- Hochbegabtenförderung: Der IQ allein entscheidet nicht
> Die "Hochbegabtenförderung" will hohe Intelligenz schon in jungen Jahren
> trainieren wie ein Musikinstrument. Doch was später aus den superschlauen
> Kindern wird, hängt von vielen Faktoren ab.
Bild: Gerade mal zwei Prozent der Bevölkerung haben einen IQ von 130 und höhe…
Die Frage kennt Thomas Leeb offenbar schon. Und auf die Antwort, die er
geben kann, ist er auch ein bisschen stolz. Ein Drittel der SchülerInnen in
seinen Hochbegabtenklassen seien Kinder mit Migrationshintergrund, sagt
Leeb. "Manche türkischen Eltern wissen nicht, dass ihr Kind hochbegabt ist.
Die erfahren das erst durch den Test", erzählt der Leiter der
Anna-Lindh-Schule in Berlin-Wedding.
Die Grundschule ist eine von vielen Bildungseinrichtungen in Deutschland,
die eine besondere Förderung anbieten für Kinder, die nach bestimmten Tests
als "hochbegabt" gelten. In der Weddinger Schule lernen in 10 speziellen
Klassen 90 hochbegabte Kinder zusammen mit normal talentierten Zöglingen.
Die Superschlauen bekommen im Unterricht öfter Sonderaufgaben und pro Woche
bis zu vier zusätzliche Förderstunden. Darin machen sie
naturwissenschaftliche Experimente, knobeln an schwierigen Rechenaufgaben
oder beschäftigen sich auch mal ausführlich mit dem Verhalten der Haie.
"Hochbegabtenförderung ist nicht nur Eliteförderung", betont Leeb.
Auch andernorts widmet man sich dem Thema. Erst in diesen Tagen verkündete
etwa der Ministerrat in Baden-Württemberg, auf weiteren Gymnasien
Hochbegabtenklassen einzurichten, in denen als hochtalentiert getestete
Jugendliche schneller lernen können als anderswo.
Der Begriff "Hochbegabung" ist aber letztlich nur eine gesellschaftlich
festgelegte Norm. "Von intellektueller Hochbegabung spricht man häufig
dann, wenn eine extrem hohe Intelligenz vorliegt, die sich in einem IQ von
130 oder höher ausdrückt", heißt es in der Schrift "Begabte Kinder finden
und fördern" des Bundesbildungsministeriums. Wer einen
Intelligenzquotienten von mindestens 130 hat, ist so schlau wie nur 2
Prozent der Bevölkerung. Rein rechnerisch gilt also jeder 50. als
"hochbegabt".
Dabei geht es um die intellektuelle Begabung, nicht um das musische,
sportliche oder kommunikative Talent. Für ältere Schulkinder und Erwachsene
wendet man etwa den Berliner Intelligenz-Struktur-Test (BIS) an. Er misst
das logisch-mathematische Denken, die Auffassungsgabe, das Gedächtnis, den
Einfallsreichtum, die Geschicklichkeit im Umgang mit Zahlen und Wörtern.
Für Grundschulkinder, die in der deutschen Sprache nicht zuhause sind, gibt
es "nicht so stark sprachgebundene Tests", erklärt Mara Suhren von der
William-Stern-Gesellschaft für Begabungsforschung und Begabtenförderung in
Hamburg. Ein Migrationshintergrund müsse dabei kein Nachteil sein, im
Gegenteil, erklärt Suhren. Sprechen die türkischen Eltern gut Deutsch und
erhält das Kind so Zugang zu zwei Kulturkreisen und Sprachen, "dann
erweitert sich der Horizont. Das trainiert das Gehirn und fördert die
Intelligenz."
Der Intelligenzquotient bleibt jedoch immer nur eine konstruierte Zahl. Die
Schwelle von 130 für "Hochbegabung" bedeutet nicht einen plötzlichen Sprung
in irgendwelche genialen Bereiche. Die Unterschiede etwa zwischen einem
Intelligenzquotienten von 128 oder 132 seien lediglich "graduell", räumt
das Bundesbildungsministerium ein, "da beginnt keine neue Welt".
Die neuere Begabtenförderung sieht sich daher auch nicht als Auslese
vermeintlicher Genies, sondern verfolgt einen pragmatischen Ansatz. Kaum
jemand käme auf die Idee, dass Spitzenleistungen etwa in der Musik anders
zu erreichen wären als durch langjähriges intensives Üben unter der
Anleitung von Experten, heißt es in der Schrift des Bildungsministeriums.
Nicht anders verhalte es sich mit der intellektuellen Leistungsfähigkeit,
die genauso trainiert werden müsse.
Mathematische Intelligenz ließe sich dabei durch Übungen leichter fördern
als etwa die sprachliche Intelligenz, sagte Ernst Hany, Professor für
Psychologie an der Universität Erfurt, im Gespräch mit der taz. Frühes
Training gilt hier als sinnvoll. In der Mathematik und Physik würden die
Höchstleistungen etwa im Alter von um die 25 Jahren erbracht, so Hany.
Schriftsteller hingegen erreichten oft erst im Alter von um die 50 Jahren
die Höhe ihrer Schaffenskraft.
Ob die Hochintelligenten später aber tatsächlich zur Leistungselite
gehören, steht auf einem anderen Blatt. Der Klassiker zu diesem Thema ist
eine jahrzehntealte Langzeitstudie des US-Amerikaners Lewis Terman, nach
der Hochbegabte später in guten beruflichen Positionen landeten, aber nur
wenige dabei wirklich brillant und hochkreativ wurden.
Lange galt die Annahme, dass sehr hohe Intelligenz keinen Unterschied mehr
mache beim beruflichen Erfolg. Die Berliner Psychologin Miriam Vock vom
Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen sieht dies
differenziert: "Auch hohe Intelligenz jenseits eines IQ von 130 kann noch
etwas ausmachen, wenn es um berufliche Leistungen in anspruchsvollen
Berufen geht, zum Beispiel in der Wissenschaft", hat sie festgestellt.
Von dieser Regel gebe es allerdings eine Ausnahme: "Bei Berufen, in denen
man seine Ideen vielen Menschen vermitteln muss, kann eine sehr hohe
Intelligenz hinderlich sein - weil die andern einen nicht verstehen. Das
betrifft etwa Manager, die viele Mitarbeiter führen müssen, oder Politiker.
In diesem Fall scheint eine hohe, aber nicht überragende Intelligenz von
etwa 120 optimal."
Auch Mathematikprofessoren müssen ihren Stoff vermitteln und in
Universitätsgremien mitarbeiten können, betont Andreas Kirsch,
Mathematikprofessor in Karlsruhe und in der Hochbegabtenförderung aktiv.
Und Software-Ingenieure basteln im Team an marktfähigen Produkten.
Die soziale Begabung, die oft über den Erfolg in Führungspositionen
entscheidet, ist aber kaum mit standardisierten Testverfahren zu
überprüfen. "Soziale Begabung kann man noch nicht verlässlich messen", sagt
Vock. Für die vielbeschworene "emotionale Intelligenz", also die Fähigkeit,
eigene und fremde Gefühlszustände wahrzunehmen und darüber zu
kommunizieren, hapert es noch an anerkannten Prüfmethoden. "Zur
,emotionalen Intelligenz' gibt es noch keine Testverfahren, die man
einsetzen könnte", schildert Vock.
Die hochintelligenten Kinder leiden zudem nicht selten unter einer
asynchronen Entwicklung: Sie werden oft als "erwachsener" wahrgenommen, als
sie in ihrem Gefühlsleben wirklich sind. Schulleiter Leeb aus Berlin
betont: "Unser Augenmerk muss daher immer auch den emotional-sozialen
Rückständen gelten."
24 Dec 2008
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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