# taz.de -- Israel unter Berschuss: Ein scharfes Zischen und ein Knall | |
> Israels Militärschlag ist eine Reaktion auf den stetigen Raketenbeschuss | |
> aus dem Gazastreifen. Vor der Grenze fahren Panzer auf, Soldaten einer | |
> Spezialeinheit bereiten sich auf den Einmarsch vor. | |
Bild: Israelis auf der Suche nach Deckung: Die Hamas feuerte auch am Montag auf… | |
ASCHKELON taz Es war kurz vor ein Uhr mittags am Sonntag, als Sirenengeheul | |
die Luft über der beschaulichen Küstenstadt Aschkelon 45 Fahrminuten von | |
Tel Aviv entfernt durchschnitt. Ein Auto hielt an und der Fahrer duckte | |
sich hinter der nächsten Mauer; eine Gruppe von Menschen drängte sich zur | |
gleichen Zeit in den Eingang eines Einkaufszentrums, wohl wissend, dass sie | |
etwa 15 Sekunden Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen. Ein junger | |
äthiopischer Israeli ging ruhigen Schrittes vorbei, er ignorierte die | |
Panik. Als die Sirene verstummte, lächelte er und formte mit den Lippen die | |
Worte "es ist vorbei". Dann kam ein scharfes Zischen und ein lauter Knall. | |
200 Meter entfernt explodierte eine Rakete auf einem leeren Feld, | |
Rauchschwaden stiegen auf. Die Kurzstreckenrakete, abgefeuert im | |
benachbarten Gazastreifen, bohrte sich in den feuchten Boden. Nahum Gorin, | |
ein 59-jähriger Russlandstämmiger, kam von dem Feld herübergelaufen. Wie er | |
berichtete, sei er nur knapp von der Rakete verfehlt worden. | |
"Als ich die Sirene hörte, bin ich in die andere Richtung gelaufen", sagte | |
er und deutete auf einige Pinienbäume. "Ich war so töricht, mich nicht zu | |
ducken, und so sah ich die Explosion direkt vor mir." Für Israel sind die | |
Raketenangriffe ein Kriegsgrund. Dutzende von Raketen schlugen im | |
vergangenen Jahr in Aschkelon ein, mehrere hundert waren es in den Städten | |
und Dörfer an der Grenze zum Gazastreifen. | |
Am Samstag startete Israel bislang die tödlichsten Luftangriffe mit Ziel | |
auf die Hamas-Regierung im Gazastreifen - mehr als 300 Palästinenser wurden | |
bisher getötet. Während Israel beteuert, die meisten der Opfer seien | |
Militante, reklamieren die Palästinenser, dass bis zu einem Drittel der | |
Toten Zivilisten gewesen seien. | |
Eine kurze Fahrt vom Einschlagskrater entfernt schlug eine weitere Rakete | |
ein. Die Bewohner der Ami-Oz-Straße im Süden Aschkelons drängten sich um | |
das Loch, das die Rakete in den Asphalt gerissen hat. Diesmal war es eine | |
Kassam-Rakete, "home-made" in Gaza, die einen Hagel von Schrauben und | |
Metallsplittern in alle Richtungen verschoss. | |
Die Fassade eines zweistöckigen Hauses wurde durchlöchert und der Zaun | |
gegenüber zerstört. Die Straße war beinahe menschenleer, als die Rakete | |
einschlug. Nur die Kassiererin eines kleinen Lebensmittelladens, die eine | |
Zigarettenpause auf der Straße machte, wurde von den Granatsplittern an den | |
Beinen verwundet. Das Krankenhaus meldete später, die Verletzungen seien | |
nur leicht. | |
Der ehemalige Verteidigungsminister Efraim Sneh, der als Parteiloser für | |
die Knesset kandidiert, kam, um die Lage zu inspizieren. Sechs Wochen vor | |
den Parlamentswahlen zeigen die Politiker viel Präsenz in der von den | |
Raketenangriffen betroffenen Region. Sneh schüttelte den Kopf, als Kinder | |
ihm die aufgesammelten Granatsplitter zeigten. Er versuchte, auf die Klagen | |
der älteren Anwohner zu antworten. "Wir sollten alle in Gaza töten", rief | |
ein Anwohner, der als seinen Namen nur Ari nannte. "Schwangere und Kinder | |
sind mir egal - das sind sowieso alles Terroristen. Es macht mich | |
glücklich, wenn ich die Explosionen in Gaza sehe." Er sagte, er habe zwei | |
Söhne und eine Tochter in der Armee. | |
Etwa zwanzig Kilometer südöstlich von Aschkelon, am Rande fast gänzlich | |
verlassener Straßen, die sich durch die üppigen grünen Felder schlängeln, | |
bietet ein Beobachtungsposten einen weiten Blick über Gaza-Stadt. Die Stadt | |
mit ihren 1,5 Millionen Bewohnern zieht sich bis zum Horizont: Moscheen, | |
Hochhäuser, Smogwolken - alles glänzt in der hellen Sonne, dahinter liegt | |
das blaue Mittelmeer. | |
Ein paar Panzer werden für einen Bodenangriff vorbereitet; bei der kleinen | |
Gruppe von Soldaten stehen die Vertreter nahezu aller Medien, die vor Ort | |
berichten. Die Presse sammelt sich in einem steinernen offenen Baudenkmal, | |
ehedem errichtet für einen längst vergangenen Kampf um Gaza, als der | |
Landstrich noch von Ägypten kontrolliert wurde. Das war 1955. Von hier aus | |
scheint Frieden im Nahen Osten nur wie eine Pause zwischen dem letzten und | |
dem nächsten Krieg. | |
Kurz vor Sonnenuntergang bereitet sich eine Sondereinheit von israelischen | |
Soldaten unter den Eukalyptusbäumen auf die Nacht am Sicherheitszaun, der | |
Gaza von Israel trennt, vor. Sie drängen sich um fünf so genannte Humvees | |
("High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles"), komplett ausgerüstet mit | |
Maschinengewehren, Handgranaten und Handfeuerwaffen. | |
Sollten israelische Panzer nach Gaza eindringen, wäre es ihre Aufgabe, | |
ihnen den Weg zu weisen und diesen zu sichern. Zu Fuß. In der Dämmerung | |
bemalen sie ihre Gesichter mit grau-grüner Farbe, sie wappneten sich mit | |
ihren Fleecejacken gegen die Kälte und hörten ihrem Kommandeur zu. "Das | |
Entscheidende ist", sagte er mit gedämpfter Stimme, "ich möchte, dass ihr | |
absolut aufmerksam seid. Heute Nacht dürfte es ruhig sein, aber es kann | |
immer etwas passieren." | |
Der Kommandeur behält recht, die Nacht bleibt ruhig. Der nächste Tag | |
dagegen nicht. Sechs Raketen schlagen am Montag in Aschkelon ein. Ein | |
Anwohner wird getötet, ein Dutzend verletzt. Auf der palästinensischen | |
Seite kommen etwa 12 Menschen bei den Luftangriffen ums Leben. Der | |
Kreislauf der Gewalt setzt sich fort. | |
Aus dem Englischen von Frauke Böger | |
29 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Gil Kaufman | |
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