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# taz.de -- Elektro wird Hiphop-iger: Fette Beats statt Gefrickel
> Hiphop und Breakbeats aus den Ghettos werden für immer mehr Elektroniker
> zum Wegbereiter auf den Dancefloor. Dabei darf es schon mal richtig
> knallen.
Bild: CLP: Die Berliner Chris de Luca und Phon.o.
Die Zeichen stehen auf Rumms. Waren zu Beginn des Jahrtausends noch
filigrane Schnipselarbeiten mit digitalen Störgeräuschen oder pluckerndem
Minimalismus der vorherrschende Ton der elektronischen Musik, so geht es
heute oft wieder direkter und krachender zu. Ein bisschen hat es den
Anschein, als sei das ganze mühsam zur Schau gestellte Geprökel für so
manchen Musiker nur Vorarbeit gewesen, um allmählich wieder lockerzulassen
und den entfesselten Groove ins Zentrum des Geschehens zu rücken. Gefragt
ist "Booty" vulgo Arsch.
Die Musiker um das französische Label Ed Banger haben in den vergangenen
Jahren vorgemacht, wie man softwaregestützte Detailversessenheit ohne
Reibungsverlust in Rockgesten überführen kann. Nun wenden sich Produzenten
vermehrt dem Hiphop zu, um ihn als hybride elektronische Musik in den
Techno-Club zu bringen. Bestes Beispiel für diesen Trend ist CLP, das
gemeinsame Projekt der Berliner Chris de Luca und Phon.o. Auf ihrem soeben
erschienen Debütalbum "Supercontinental" arbeiten sie mit jungen Rappern
wie Yo Majesty oder Mochipet zusammen, für deren Reimarbeit sie fette und
zugleich äußerst nuancierte Beat-Fundamente gelegt haben.
Chris de Luca hat sich zuvor als Hälfte des Filigranarbeiter-Elektronikduos
Funkstörung einen Namen gemacht. Für das inzwischen aufgelöste Projekt
spielte Hiphop eine wichtige Rolle, doch wurden die Rhythmen meist in fein
ziselierte Mikropartikel zerlegt, statt entspannt zu fließen. Wichtiger war
das Arbeiten mit einer Unzahl von digitalen Software-Effekten, den
mittlerweile in Verruf geratenen Plug-ins, um Verfremdungsvarianten aller
Art durchzuspielen.
"Man macht halt so Phasen durch. Ich muss sagen, dass ich mit Funkstörung
mehr als genug gefrickelt habe", resümiert de Luca. Gemeinsam mit Phon.o
wollte er diesmal eine Hiphop-Platte machen, "die schon sehr elektronisch
ist, auch wenn man es nicht so raushört. Da sind diese ganzen kleinen
Breaks, aber nicht ganz so offensichtlich." Statt Details um ihrer selbst
willen in die Stücke zu basteln, ging es ihnen um den Flow der Musik, und,
wie Phon.o ergänzt: "Wir wollten eine deutlichere, klarere Songstruktur,
ohne dass die Effekte im Vordergrund stehen." Anders als ihre rockenden
Kollegen aus Frankreich achteten sie auf einen "stimmigen und warmen" Klang
ohne fiepsige Frequenzen - ganz im Dienste der Party.
Ihre Vorliebe für partytaugliche Songs teilen sie mit der Hamburger
"Electric Super Dance Band" Deichkind. Bei den Rappern von der Elbe verlief
die Entwicklung in gegenläufiger Richtung, vom Hiphop zu einem Stil, der
weder mit Techno noch mit Glam Rock irgendein Problem hat. Sehr schön zu
hören auf ihrem neuen Album "Arbeit nervt", dessen Tour sie unter anderem
mit CLP zusammengeführt hat. "Die sind extreme Partysäue, trotzdem haben
sie gute Texte", bringt Phon.o seine Begeisterung für die norddeutschen
Grenzgänger auf den Punkt.
Grenzgänger mit einem nahezu unheimlichen Gespür für Trends sind auch die
Sick Girls aus Berlin. "In-ya-face-partying" lautet das Motto der DJ-Sets
von Alexandra Dröner und Johanna Grabsch, ein gerader Beat ist bei ihnen
die Ausnahme. Stattdessen spielen sie seit vier Jahren alle möglichen
Formen von Breakbeats. "Baile-Funk kombiniert mit den internationalen
Ghetto-Richtungen, also Bmore, Kuduro und Hiphop bzw. Grime", fasst Johanna
Grabsch zusammen. Sie spricht denn auch von "International Ghetto Music",
wobei Alexandra Dröner sogleich einschränkt: "Ghetto finde ich einen
ziemlich krassen Begriff. Viele Künstler, die ich spiele, sind alles andere
als Ghetto."
Auf die Herkunft der einzelnen Genres trifft die Bezeichnung freilich zu.
"Baile-Funk" heißt eine brasilianische Spielart des Hiphop aus den Favelas
von Rio de Janeiro. Hinter dem Ausdruck "Baltimore" oder "Bmore" verbirgt
sich ein in der als "Body-More" bekannten Stadt entstandener Bastard aus
House und Hiphop. Kuduro ist eine in Angola und Lissabon verbreitete
Kreuzung von House und karibischen Rhythmen.
In Berlin waren die Sick Girls die ersten DJs mit einem derartigen Stilmix
im Programm. Vielleicht waren sie dort auch die Ersten, die diese
Richtungen überhaupt kannten. "Das ist ein Anspruch von uns, alles Neue zu
hören und zu wissen", sagt Dröner. Mittlerweile legen die beiden auf großen
internationalen Festivals auf. Der wachsende Zuspruch für ihre Kombination
von Booty-Sounds ist ihnen dabei nicht immer geheuer: Nach ihrem Auftritt
bei der Berliner Release-Party des Albums von CLP durften sie zu ihrer
großen Verwunderung drei begeisterten jungen Männern die entblößten Gesäße
signieren.
Den äußerst perfektionistischen Sick Girls sind sogar Selbstzuschreibungen,
mit denen andere DJs ohne Bedenken kokettieren würden, erst einmal suspekt.
Wenn sie auflegen, mischen sie die Stücke auf so "kleinteilige Weise", wie
Dröner es nennt, dass sie die Musik im Grunde live remixen. Doch Grabsch
schränkt ein: "Für uns ist das aber noch lange kein Remix." Bei ihnen
dauere einfach alles länger, unter anderem weil sie laut Grabsch "manchmal
eine zu intellektuelle Herangehensweise" haben. Vermutlich gilt das auch
für ihr geplantes Debütalbum, auf das man sehr gespannt sein kann.
Ein von den Sick Girls hoch geschätzter Verwandter im Geiste ist der
Berliner Baile-Funk-Experte Daniel Haaksman. Mit seinem Label Man
Recordings konzentriert er sich seit drei Jahren auf den
ungeschliffen-aggressiven "Rio Funk", wie er auch genannt wird, und liegt
damit quer zur ansonsten in Berlin veröffentlichten elektronischen Musik.
Vielleicht ändert sich das mit der aktuellen Compilation "Bossa Do Morro",
die pünktlich zum fünfzigsten Geburtstag der Bossa Nova erscheint.
Klassiker wie "Desafinado" oder "Insensatez" werden von
Baile-Funk-Produzenten mit gebührender Respektlosigkeit bearbeitet und
elektronisch verfremdet. Beim "Girl From Ipanema" wird einfach so lange am
Arrangement herumgefummelt, bis nichts mehr richtig zusammenpasst. Heraus
kommt eine etwas andere Elektronik-Bossa jenseits von loungegefälligem
Brazilectro.
Interesse an musikalischen Mischformen im Namen des Booty besteht
keinesfalls nur in Berlin. So kombiniert das Washingtoner
Produzentenquartett Fort Knox Five auf seinem Debütalbum "Radio Free DC"
traditionelle Funk-Arrangements mit harten Breakbeats, ohne
Berührungsängste mit Latin oder Reggae zu zeigen, während der aus New York
stammende Sänger Chelonis R. Jones unter dem Namen 4gottenfloor
geradlinigen House und knalligen R & B verdrahtet. Ob ein flächendeckender
Trend ins Haus steht, bleibt abzuwarten. Bis auf Weiteres gilt das Wort,
mit dem Rapper Tunde Olaniran das Album von CLP eröffnet: "Make the bass
shake the ground".
CLP "Supercontinental" (Shitkatapult), Deichkind "Arbeit nervt" (Vertigo),
"Daniel Haaksman Presents: Bossa Do Morro" (Man Recordings), Fort Knox Five
"Radio Free BC" (Fort Knox), 4gottenfloor "The Forgotten Floor" (Jato
Music)
2 Jan 2009
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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