| # taz.de -- Montagsinterview zum Comeback von DAF: "Wir waren eine Zukunftsvisi… | |
| > Durch einen Autounfall hat Robert Görl, die Menschmaschine von | |
| > Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), zum Buddhismus gefunden. 30 | |
| > Jahre nach ihrer Gründung gehen die Wegbereiter des Techno wieder auf | |
| > Tour. | |
| Bild: Eine Zukunftsvision: Robert Görl von DAF | |
| taz: Herr Görl, Sie haben als Treffpunkt die Weltzeituhr am Alex | |
| vorgeschlagen. Warum? | |
| Robert Görl: Gerade weil ich zurzeit keinen Bezug mehr habe. Keinen mehr | |
| haben will. Zeit zerhackt, Zeit macht einen zum Sklaven. | |
| Dafür waren Sie aber sehr pünktlich. | |
| Ja, pünktlich bin ich. Das ist eine Frage der Höflichkeit. Und mir ist | |
| natürlich klar, dass auch ich in Zeit eingespannt bin. Die Zeit ist ja auch | |
| etwas Natürliches, die Sonne geht auf und wieder unter, und das kann man | |
| bis auf die Sekunde errechnen. Aber arbeiten nach einer Stechuhr, das ist | |
| doch Unterdrückung. Wenn überhaupt, dann lebe ich in einer anderen Zeit. | |
| In einer anderen Zeit? | |
| Ja, ich lebe nicht im Jahr 2009, sondern im Jahr 2551 nach Buddhas | |
| Zeitrechnung. | |
| Sie sind Buddhist seit einem schweren Autounfall 1989. | |
| Ich war fast tot. In der Kurve war Glatteis, und wenn man mit überhöhter | |
| Geschwindigkeit, mit mehr als 100 Stundenkilometern, kerzengerade auf einen | |
| Baum drauffährt, dann holen sie die Leute normalerweise tot aus dem Auto | |
| raus. | |
| Erleuchtung durch Nahtoderfahrung? | |
| Das war ein bisschen schräg. Ich hab es geschafft aus dem Auto | |
| rauszurobben, saß dann halbtot auf dieser vereisten Straße, und plötzlich | |
| hat sich mein Schädel geöffnet. Ich hatte das Gefühl, ich spüre das ganze | |
| Universum. Ich habe wirklich ganze Galaxien gesehen, völlig abgefahren. Im | |
| Krankenhaus dann, nach den Notoperationen, haben die mich gefragt, ob ich | |
| fernsehen will. Und als die Krankenschwester den Fernseher über mir | |
| anschaltet, erscheint da ein buddhistischer Mönch. Genau in dem Moment | |
| läuft eine Sendung über Buddhismus im deutschen Fernsehen. Dann bin ich | |
| nach Asien gegangen und wollte wissen, was es damit auf sich hatte. Fast | |
| drei Jahre war ich dann in Klöstern unterwegs, in Thailand, Indien und | |
| hauptsächlich in Nepal. Ich bin von Kloster zu Kloster gewandert und habe | |
| viel über mich erfahren. | |
| Wollten Sie selbst Mönch werden? | |
| Wollte ich eine Zeit lang, ja. Aber dann habe ich festgestellt, dass der | |
| Buddhismus mittlerweile auch zur Kirche geworden ist. Und das ist für mich | |
| Antibuddhismus. Den Buddhismus, den ich lebe, der ist eine ursprüngliche | |
| Form. Eine Aussage des historischen Buddhas ist: Keine Rituale. Die meisten | |
| Mönche aber folgen Ritualen sklavisch. Aber ein wirklicher Buddha sprengt | |
| Traditionen. | |
| Haben Sie Kontakt zur buddhistischen Gemeinde hier in Berlin? | |
| Nein, ich bin ein gemeindeloser Mensch. Ich bin auch ein staatenloser | |
| Mensch. Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber ich fühle mich nicht | |
| deutsch. Mit Zugehörigkeit, mit Traditionen, mit Ritualen, damit kann ich | |
| nichts anfangen. Ich habe festgestellt: Ich kann überall hingehen und fühle | |
| mich überall gleich. Egal, ob ich in München bin, in Paris, New York, | |
| Bangkok, Katmandu oder momentan eben in Berlin. | |
| Trotzdem leben Sie schon sieben Jahre hier. | |
| Ja, ich bin hier hängengeblieben. Das war eher Zufall. Ich wollte 2001 | |
| eigentlich nur ein halbes Jahr bleiben, um mit Gabi [Delgado-López, die | |
| andere Hälfte von DAF, d. Red.] unsere letzte Platte "Fünfzehn neue | |
| DAF-Lieder" vorzubereiten und aufzunehmen. Hotel wäre zu teuer gewesen, und | |
| immer nur bei Freunden auf der Couch schlafen, das geht auch nicht, also | |
| hab ich mir ein Apartment gemietet. Und jetzt bin ich eben immer noch hier. | |
| Warum sind Sie geblieben? | |
| Berlin ist schon eine schöne Stadt. Ich geh gern durch die Stadt. Denn auch | |
| wenn ich ein Buddhist bin und gelernt habe, meine Sinne komplett | |
| auszuschalten, arbeite ich als Musiker ja auch noch mit meinen Sinnen. Ich | |
| nehme Dinge auf und verarbeite sie. Aber ich fühle mich nicht zugehörig, zu | |
| nichts mehr. Dass ich jetzt sieben Jahre hier bin, das ist Zufall. Ich | |
| hänge an nichts. | |
| Außer an Gabi Delgado. | |
| Nein, auch an dem nicht. Deshalb trennen wir uns ja auch so oft. | |
| Aber Sie kommen immer wieder zusammen. | |
| Der Gabi Delgado und ich, wir haben halt auch ein paar richtig gute Sachen | |
| zusammen gemacht. Aber immer, wenn wir ein paar Jahre zusammenwaren, dann | |
| streiten wir uns ziemlich kräftig. Jeder Streit verblasst wieder. Es ist ja | |
| auch nicht gesund, jemandem zu lange böse zu sein. Und deshalb gibt es halt | |
| schon das dritte DAF-Comeback. | |
| Das ist der einzige Grund? | |
| Der andere ist, dass wir uns 30 Jahre kennen, dass es DAF 30 Jahre gibt. | |
| Das ist doch ein gutes Date, um zurückzukommen. | |
| Finanzielle Gründe gibt es nicht? | |
| Doch, auch, natürlich. Da bin ich ehrlich: DAF ist meine beste Geldquelle. | |
| Mit meinen Solo-Aktivitäten verdiene ich auch Geld, aber da muss ich mehr | |
| strampeln, um meine Miete zu zahlen. Aber es wäre nicht fair, das aufs | |
| Finanzielle zu reduzieren. Wir wurden gefragt, ob wir was zum 30-Jährigen | |
| machen wollen, und deshalb haben wir angefangen im vergangenen Sommer | |
| wieder aufzutreten und gehen nun auf Tour. Und das wird auch eine reine | |
| Hittour. Wir wollten nicht auf die Schnelle ins Studio, was Neues aufnehmen | |
| und raushauen, egal wie die Nummern sind. Nein, wir spielen nur die ganzen | |
| Klassiker. Das wird: Greatest Hits von DAF. | |
| Erklären Sie mal einem jungen Menschen, warum er sich heute wieder DAF | |
| anhören soll. Was war so einzigartig an DAF? | |
| Da komme ich wieder zurück zur Zeit, von der ich mich nicht abhängig machen | |
| will. Denn Musik ist ja auch Mathematik. Mit DAF haben wir immer versucht, | |
| die Strukturen von Musik, ihren zeitlichen Ablauf zu sprengen. Wir gehörten | |
| zu den ersten, die damals in den frühen 80er-Jahren dafür gekämpft haben, | |
| sich nicht mehr sklavisch Songstrukturen zu unterwerfen. Intro, Strophe, | |
| Refrain, das war bis dahin ein Muss in der Rock- und Popmusik. Ganz kann | |
| man die Zeit natürlich nicht aufheben, aber wir haben zumindest gewisse | |
| Strukturen aufgehoben, wir haben diese Konventionen gesprengt. Wir waren | |
| nicht die Erfinder der freien Komposition, da gab es vor uns elektronische | |
| und moderne Musik. Aber DAF waren die Ersten, die versucht haben, die freie | |
| Komposition in den Popsektor zu bringen. Das hat vor uns tatsächlich | |
| niemand versucht, diese Freiheit im Pop durchzusetzen. | |
| Eine Freiheit, die Techno später aufnahm. | |
| Ja, Techno funktioniert genauso wie eine DAF-Nummer. Die fängt an und kann | |
| wohin auch immer gehen, kann drei Minuten dauern oder zehn. | |
| Als sie Anfang der 90er-Jahre, zurück aus Asien, dann Techno entdeckt | |
| haben, war das ein Gefühl wie nach Hause zu kommen? | |
| Das war ein zwiespältiges Gefühl. Wir hatten den Samen in die Welt gelegt | |
| und der ging auf. Wenn andere deine Ideen übernehmen, wenn die Blumen | |
| blühen, dann ist das erst einmal ein tolles Gefühl: Endlich wird man | |
| verstanden. Aber auf der anderen Seite ist es mir halt auch passiert, dass | |
| ich in Clubs gegangen bin und dort Bands gehört habe, die genauso klangen | |
| wie DAF. Dass die große Zeit der Kopisten ausbricht, das muss man dann halt | |
| auch akzeptieren, aber komisch ist es erst mal. | |
| Haben Sie das Gefühl, Ihre Pionierarbeit wird - im Gegensatz zu Kraftwerk | |
| etwa - nicht angemessen gewürdigt? | |
| Es kann sein, dass es mehr Ahnengalerien gibt, in denen Kraftwerk einen | |
| höheren Stellenwert hat als DAF. Aber in einigen Ahnengalerien haben wir | |
| schon den Platz, der uns zusteht. Das sind zwei verschiedene Linien. Wir | |
| wollten keine Fortsetzung von Kraftwerk sein, wir waren Anti-Kraftwerk. | |
| Kraftwerk, das waren Söhne reicher Eltern, deren Synthesizer | |
| hunderttausende von Mark gekostet haben. Das war elitär. Wir hatten | |
| überhaupt kein Geld, aber dann hat uns die technologische Entwicklung | |
| geholfen. Parallel zur DAF-Gründung 1978 kamen die ersten billigen | |
| japanischen Synthies von Korg für 1.000 Mark auf den Markt. Die haben wir | |
| uns sofort gekauft, und damit konnten wir unsere Visionen umsetzen. | |
| Kraftwerk klangen viel zu schön, das war uns viel zu steril. Bei uns | |
| mussten die Maschinen schwitzen. Deshalb haben wir ja die elektronischen | |
| Klänge gemischt mit dem Schlagzeug, das ich spiele. | |
| Der Körper wurde zum Rhythmusinstrument degradiert? | |
| Einerseits. Andererseits aber haben wie den Körper dadurch auch | |
| verherrlicht. Wir wollten seine Kraft zeigen, seine Muskeln, das aber dann | |
| koppeln mit puristischer, mechanischer Musik. Der Körper und die Maschinen | |
| sollten zusammen schwitzen. In Wirklichkeit waren DAF das, was Kraftwerk | |
| immer nur behauptet haben: Wir waren die echte Menschmaschine. Wir waren | |
| eine Zukunftsvision, wir waren Cyborgs. | |
| Einige fanden das faschistisch. | |
| Ja, wir haben provoziert. Wir haben mit Symbolen gespielt, auch mit | |
| faschistischen. Wir wollten mit gewissen Images die Leute ganz bewusst | |
| schockieren. Wir wollten Tabus brechen. | |
| Schockieren nur um des Schocks willen? | |
| Wir haben uns schon als Aufklärer gesehen. Heute glaube ich, dass ich schon | |
| immer den Buddha-Weg gegangen bin, denn der ist ein aufklärerischer Weg. | |
| Der Buddhismus sprengt genauso gesellschaftliche Tabus, wie es DAF gemacht | |
| hat. Auch im Buddhismus geht es darum, eingefahrene Denkstrukturen | |
| aufzubrechen, die Fesseln der eigenen Kultur zu sprengen. | |
| DAF wurde vorgeworfen, politisch verantwortungslos umzugehen mit gewissen | |
| Symbolen. | |
| Wir waren doch gar nicht politisch. Viele wollten uns so sehen, und wir | |
| haben natürlich auch mit politischen Motiven gespielt. Ein Lied wie "Der | |
| Sheriff" hat ja keine konkrete Aussage, es benutzt nur politische | |
| Schlagworte, genauso wie "Der Mussolini". Ich bin auch kein politischer | |
| Mensch, ich finde Politik blöd. In der Politik hängen lauter Machtmenschen | |
| rum, da will ich nichts mit zu tun haben. Aber es ist nun mal ein Thema, | |
| und wir haben uns solche Themen genommen und Keile reingehauen. Wir haben | |
| angegriffen, wir haben gesagt: Wir haben die RAF in unserer Jugend | |
| bewundert. Zu sagen, das waren tolle Menschen in der RAF, die hatten ihre | |
| Gründe für das, was sie getan haben, das ist doch heute noch ein Tabu. | |
| Das Schockieren funktioniert also noch? | |
| Das funktioniert immer noch. Wir haben es jetzt nur schon so oft getan, | |
| dass die Leute nur zum Feiern zu uns kommen. Aber grundsätzlich ist das | |
| Brechen von Tabus immer noch aktuell und wichtig. Die Gesellschaft ist | |
| lange nicht so aufgeklärt, dass es keine Tabus mehr gäbe. Es gibt immer | |
| noch Politik und Religion, es gibt immer noch Unterdrückungssysteme, die | |
| funktionieren. Deshalb gibt es auch immer noch einen Kampf dagegen. | |
| Das klassische DAF-Konglomerat allerdings, schwule und faschistische | |
| Ästhetik mit Punk zu vermengen, das provoziert heute nicht mehr. | |
| Das stimmt. Das ist fast schon Mainstream. Wir konnten Leute noch | |
| schockieren mit einem Lied, das "Verehrt euren Haarschnitt" hieß. Heute ist | |
| das Schwule sogar in der Politik angekommen. | |
| Wie passen Schockstrategie und militärisches Image mit dem Buddhismus | |
| zusammen? | |
| Der Buddhismus ist ja nicht auf Weichheit festgelegt. Buddhist zu sein | |
| bedeutet ja nicht, dass man nur zu Hause rumsitzt, mit einem Holzschlegel | |
| eine Messingschale zum Erklingen bringt und "Om" singt. Der Buddhismus | |
| stellt sich unbedingt allen weltlichen Dingen. | |
| 5 Jan 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
| ## TAGS | |
| Subkultur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ausstellung „Geniale Dilletanten“: Die Achtziger in der Zeitschleife | |
| Die Ausstellung in München feiert die deutschen Subkulturen der 80er Jahre. | |
| So langsam darf man fragen: Ist nicht auch mal gut mit dieser Zeit? |