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# taz.de -- Thomas Ostermeier inszeniert Ibsen: Nebel des Grauens
> Wie der Machtmensch behauptet, nur das Gute zu wollen, erzählt Henrik
> Ibsen in "John Gabriel Borkmann". Thomas Ostermeier hat den verblendeten
> Banker auf die Bühne gebracht.
Bild: Macht macht einsam, Scheitern auch: John Gabriel Borkmann (Sepp Bierbichl…
Es dampft und wabert, Nebel zieht dicht über den Boden hin, Wolken ballen
und lichten sich und lassen in schmalen Streifen dahinter die Tiefe des
unendlichen und dunklen Raums erahnen. Das ist sehr nordisch, das ist sehr
kalt und voll der Schrecken über die Macht der Natur. Der Nebel im
sachlichen Bühnenambiente, das Jan Pappelbaum für den Regisseur Thomas
Ostermeier und dessen Inszenierung von Henrik Ibsens "John Gabriel
Borkmann" gebaut hat, ist wie eine Hommage an die Maler unter Ibsens
Zeitgenossen.
Mit Johan Christian Dahl, berühmt für seine Wolkenstudien, ging der
Dramatiker, der selbst gern Maler geworden wäre, 1852 nach Kopenhagen und
Dresden auf Studienreise. Dahl hätte sicher sehr zu schätzen gewusst, wie
die Berliner Schaubühne das Wetter und andere atmosphärische Erscheinungen
auf der Bühne stattfinden lässt: eine Nachschöpfung der Welt mit ihren
Urgewalten. Der Bühnennebel also ist super, wie ja überhaupt in den letzten
Jahren an der Schaubühne und nicht nur dort Schnee, Regen und Matsch
grandiose Räume bilden. Doch diesmal ist der Nebel auch so ungefähr das
Beste an der ganzen Inszenierung und das ist so ziemlich das schrecklichste
Urteil, das man fällen kann.
Dabei schien die Produktion so eine sichere Nummer: Gerade mit seinen
Ibsen-Inszenierungen hat Ostermeier einen spannenden und unterhaltsamen
Theaterton gefunden, der um Parallelen zur Gegenwart nie verlegen war.
Gerade die Figur des uneinsichtigen Bankers John Gabriel Borkmann, der auch
nach dem Zusammenbruch seiner Bank noch immer glaubt, nur im Dienste der
ruinierten Anleger gehandelt zu haben, kann sich momentan großer
Aufmerksamkeit gewiss sein. Und dann diese Besetzung: der zerknitterte und
grummelnde Sepp Bierbichler als der gefühlskarge Borkmann, Kristen Dene als
seine harsche Ehefrau Gunhild, die seit Jahren kein Wort mehr mit ihm
geredet hat, und Angela Winkler als das ältliche Fräulein Ella Rentheim,
Gundhilds Zwillingsschwester, die Borkmann einst für einen Posten im
Vorstand der Bank verraten und verkauft hat.
Ja, was soll da noch schiefgehen, mochte man denken. Zumal der Produktion,
die in einem neuen Netzwerk europäischer Theater vor Berlin schon im
bretonischen Rennes Premiere hatte, aus Frankreich ein sehr positives Echo
vorauseilte. Und dann das: Figuren, so eindimensional, wie ein Blatt
Papier. Zwei alte Frauen, die alle bösen Klischees über klammernde Mütter
und zu kurzgekommene alte Jungfern erfüllen. Borkmanns Sohn Erhard
(Sebastian Schwarz) erscheint als Riesenbaby, der mit jedem tolpatschigen
Auftritt kleine Lacher erzeugt. Dazu kommt eine Textbearbeitung durch den
Schaubühnen-Hausautor Marius von Mayenburg, die zwar jeden Dialogsatz ganz
glaubhaft nach Gegenwart klingen lässt, den Figuren aber nicht den
kleinsten Zipfel von mehr lässt, von Unausgesprochenem.
Diese Ella zum Beispiel, die todkrank gekommen ist, um ihren Neffen, den
sie großgezogen hat, als Trost ihrer letzten Tage zu sich zu holen: Wie sie
nur auf der Stuhlkante Platz nimmt, die Knie zusammengedrückt, als wäre ihr
der eigene Körper peinlich; wie ihre Blicke am Boden haften und nur kurz
über die Gesichter der anderen huschen; wie sie schiefin der Gegend steht,
Nacken gebeugt, Kopf geneigt, als wäre der Abstand zur kaltherzigen
Schwester fest wie ein Stein, über den sie sich krümmen muss: Angela
Winkler rührt schon an, und man weiß nicht, ob ihre übergroße Demut und
Bescheidenheit, das fast sich selbst Aus-der-Welt-Nehmen, nur zur Rolle
gehört oder eben Winkler selbst ist: Ein einziger Aufschrei gegen die
Forderung der Gesellschaft, Präsenz zu zeigen. Auch Bierbichler neigt zum
Understatement, unterstreicht die großen Visionen des Unternehmers, der mit
Bergwerken, Fabriken, Eisenbahnen, Schifffahrtslinien eine Welt erschaffen
wollte, nicht mit großen Gesten. Man nimmt ihm ab, nach seiner Zeit im
Gefängnis noch immer den Fantasien über die Rückkehr zur Macht
nachzuhängen. Und sich keine Sekunde in die hineinversetzen zu können,
denen seine Spekulationen alles genommen haben.
Und trotzdem kommt keine Spannung auf, trotzdem fehlt eine Idee davon, was
diese Figuren uns eigentlich erzählen wollen. Es gibt keinen Denkraum, in
dem sie sich entfalten; nichts, in dem die Inszenierung über ihre
Beschränkung hinausging. Geld zerstört Gefühle, lehrt schon die erste
Szene, und dabei bleibts. Ostermeier hat versucht, was ihm bei anderen
Ibsen-Dramen auch gelang, die Figuren ernstzunehmen und nicht an die
Karikatur zu verraten, aber man sieht dennoch nur Karikaturen, die mit der
eigenen Lächerlichkeit nicht umzugehen wissen.
Nach einer Stunde und 50 Minuten ist es vorbei. Erhard ist abgehauen aus
der Familiengruft, Borkmann gestorben, und die beiden Frauen blicken einsam
dem eigenen Ende entgegen. Die Nebel sind zu einer reißenden Drift in die
Tiefe geworden. Wirklich großartig, diese Nebel.
16 Jan 2009
## AUTOREN
Katrin B. Müller
## TAGS
Theater
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