| # taz.de -- Roger Willemsen über Guantánamo: "Gerne wäre ich weniger emotion… | |
| > Dass Herr Schäuble keinem Exhäftling aus Guantánamo Asyl gewähren möchte, | |
| > findet Roger Willemsen obszön. Man muss es immer wieder sagen, die | |
| > Häftlinge sind unschuldig. | |
| Bild: Auch die deutschen Medien haben bei der Berichterstattung über die Folte… | |
| taz: Herr Willemsen, Obama will Guantánamo innerhalb eines Jahres schließen | |
| lassen. Innenminister Schäuble erste Reaktion war: Er möchte keinem der | |
| Exhäftlinge Asyl gewähren. Wie finden Sie das? | |
| Roger Willemsen: Alles andere hätte mich bei Schäuble gewundert. Mich | |
| erstaunt eher, dass man sich nun um den Verbleib von 200 Häftlingen sorgt. | |
| Es sind ja bereits 800 Häftlinge für unschuldig befunden, entlassen und in | |
| die Arme der nächsten Folterern geschickt worden. Die beiden russischen | |
| Häftlinge etwa, die ich 2006 interviewt habe, sind sofort auf dem Flughafen | |
| in Russland gefesselt, ins Gefängnis verbracht und dort gefoltert worden. | |
| Warum fokussiert man sich jetzt auf die verbliebenen 200 Häftlinge? | |
| Man versucht im Nachhinein, sein Gewissen etwas zu verbessern. Hätte es | |
| irgendeinen tatkräftigen Einspruch gegen Guantánamo gegeben, hätte man ja | |
| sagen können: Wir kümmern uns um die, die aus dem Lager herausgekommen | |
| sind, also wir kümmern uns um das, was sie zu sagen haben, und sorgen | |
| zweitens dafür, dass sie unter menschenwürdigen Bedingungen existieren | |
| können. | |
| Stattdessen diskutieren wir erneut darüber, wie gefährlich diese Leute wohl | |
| sind. | |
| Jetzt stellen wir die Sache mal auf die Füße: Die Amerikaner entließen | |
| Leute aus dem Lager, die sie für unschuldig erklärt haben - nachdem sie sie | |
| gefoltert haben. Und dann kommt ein deutscher Innenminister und erklärt: | |
| Diese Opfer sind bedrohlich, ich möchte nichts mit ihnen zu tun haben. Das | |
| ist obszön. Man muss es wieder und wieder sagen: Die sind unschuldig! | |
| Und jetzt gefährlich, just weil ihnen Unrecht getan wurde? | |
| Ach Quatsch! Das sagen auch wieder Leute, die niemals mit irgendjemanden | |
| von denen gesprochen haben. Keiner von den Entlassenen ist bislang | |
| rhetorisch oder praktisch gegen die USA auffällig geworden. Man stelle sich | |
| mal vor, was passieren würde, wenn muslimische Staaten 1.000 westliche und | |
| amerikanische Häftlinge ohne Prozess in ein Lager sperren würden, um sie | |
| dort zu foltern. Das böte das Potenzial, aus dem dritte Weltkriege gemacht | |
| werden. | |
| Warum sperrt sich auch die liberale Öffentlichkeit gegen eine | |
| Unschuldsvermutung? | |
| Weil das antimuslimische Ressentiment flächendeckend geworden ist. Ein | |
| Gewürzhändler war am falschen Tag am falschen Ort, wird von den Taliban | |
| angeschossen und dann von Kopfgeldjägern nach Guantánamo verschleppt - aber | |
| niemand gesteht ihm Unschuld zu. Da muss man von Propaganda sprechen. Es | |
| tut mir Leid, ich würde gerne mit etwas weniger Emotion über diese Sache | |
| reden, aber solches Ressentiment auch hierzulande arbeitet daran mit, dass | |
| so etwas wie Guantánamo möglich ist. Die Tatsache, dass das Lager bis heute | |
| besteht, zeigt, dass Politik und Öffentlichkeit nicht genug getan haben. | |
| Werden die Medien jetzt umschwenken und dem von Barack Obama beschrittenen | |
| Weg folgen? | |
| Bevor wir von einem Weg reden können, müsste sichergestellt sein, dass | |
| Obama mit seinem neuesten Beschluss, alle CIA-Geheimgefängnisse zu | |
| schließen, auch die Lager in Kandahar und Bagram meint. Dort sind noch mehr | |
| Leute umkommen als in Guantánamo. Zwei Häftlinge berichteten mir, sie seien | |
| dort auch auf Deutsch verhört worden. Aber das mag offenbar niemand | |
| nachrecherchieren. Dabei ist nichts von dem, was die Häftlinge mir gesagt | |
| haben, bisher falsifiziert worden. Einer erzählte mir, dass er von seinem | |
| Zellenfenster aus auf eine deutsche Fahne gucken konnte. Ich wüsste gern | |
| warum? Vielleicht ist es harmlos und es handelt sich nur um einen Flughafen | |
| oder Stützpunkt. | |
| Immerhin bedeuten die Schritte von Obama ein offizielles | |
| Schuldeingeständnis. | |
| Ein Schuldeingeständnis ist so viel wert wie das Geld, das man für dieses | |
| Schuldeingeständnis zahlt. Solange man nicht an erster Stelle sagt: Die | |
| dort inhaftierten Männer waren ausnahmslos keine gesetzlosen Kämpfer, | |
| sondern haben ein Recht auf einen Prozess und auf Haftentschädigung - | |
| solange sehe ich nicht, wie belastbar dieses Schuldeingeständnis der USA | |
| sein sollte. | |
| Und die aktuelle Diskussion über ein mögliches Asyl … | |
| … ist Kosmetik auf den letzten Metern. Kümmere man sich doch mal um | |
| diejenigen, die jetzt außerhalb von Guantánamo gefoltert werden, weil sie | |
| in Guantánamo gewesen sind. Mir kommt es so vor, als wolle die Welt zuletzt | |
| und unter der Glorie von Obama, dem das anzurechnen ist, dass er sofort | |
| etwas unternommen hat, die Bilanz schönen. Aber an dieser Bilanz gibt es | |
| nichts zu schönen, weil diese Welt zugeguckt hat. | |
| In seiner Antrittsrede adressierte Obama die Muslime als Amerikaner. Könnte | |
| diese Geste der Versöhnung den Weg für eine Entschädigung ebnen? | |
| Zumindest war es ein wichtiger Aspekt. Es gab sogar eine noch | |
| folgenschwerere Aussage. Er hat nämlich mal ganz nebenher gesagt, dass die | |
| Gründungsväter Amerikas in Zeiten erheblich größerer Bedrohungen die | |
| Freiheit über die Sicherheit gestellt haben. Das waren ansatzweise radikale | |
| Gedanken. | |
| Wie ließe sich die Öffentlichkeit jetzt mobilisieren? | |
| Ich hatte früher ein größeres Vertrauen in das Schaffen von | |
| Gegenöffentlichkeit. | |
| Warum empört die Äußerungen von Schäuble kaum jemanden? | |
| Alle sind sich einig darüber, dass ihr Handeln weitgehend folgenlos ist. | |
| Außerdem ist die Publizistik sehr viel länger auf Bush-Linie gewesen als | |
| die Bevölkerung. Bei der Schröder-Wahl war es ähnlich. Auch hier hat die | |
| Bevölkerung anders gedacht, als alle Meinungsumfragen und Zeitungen | |
| unterstellt haben. Die Leser eignen sich zunehmend ihre Meinung durch | |
| Konträrfaszination an. | |
| Was heißt das? | |
| Sie kaufen fasziniert eine Zeitung, die einen anderen Standpunkt vertritt, | |
| und bestrafen die Zeitung, indem sie ihren latenten Wahlempfehlungen nicht | |
| folgen. | |
| Weil die Medien konservativer sind als die Bevölkerung, fühlt sich diese so | |
| ohnmächtig? | |
| Ja. Die Folgenlosigkeit des Wissens um Dinge wie Guantánamo stellt vor | |
| allem eine Frage an die Medien. Zumal die deutschen. | |
| Es gibt eine spezifisch deutsche Blockade? | |
| Blockade ist zu viel gesagt. Aber im Vergleich zu dem, was der Guardian, | |
| BBC, Chanel 4 über Guantánamo berichtet haben, blieb das, was ARD, ZDF, der | |
| Spiegel und der Stern gemacht haben, deutlich unter den publizistischen | |
| Möglichkeiten. Schlüsselfragen, wie etwa die deutsche Beteiligung an | |
| Verhören müssten deutsche Journalisten doch brennend interessieren. | |
| Radikalität ist die einzige humane und diskutable Haltung gegenüber diesen | |
| Lagern. Diese Radikalität sehe ich fast nirgends. Aber - wollen wir nicht | |
| mit etwas Positivem aufhören? | |
| Na? | |
| Ganz positiv ist: Es gibt jetzt Gott sei Dank ein Lied von Howard | |
| Carpendale für Obama. Und das heißt: "Yes, we can". Es beginnt mit den | |
| Worten (singt): Am Anfang war isch kritisch. Ne, falsch: "Am Anfang war | |
| isch skeptisch, doch am Ende war mir klar: Wenn einer etwas ändert, dann | |
| ist es sicher er." Das wahre Crescendo aber kommt jetzt: "Und ich hätt auch | |
| mit geschrien, wenn ich dabei gewesen wär. Yes, we can." | |
| 23 Jan 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Publizist Roger Willemsen ist tot: Der Mann des Bildungsfernsehens | |
| Er war der belesenste TV-Moderator der letzten 20 Jahre, ein Idol des | |
| Bildungsbürgertums. Am Sonntag ist Roger Willemsen gestorben. |