# taz.de -- Interview über Behandlung von Häftlingen: "Psychisch kranke Straf… | |
> Frank Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, | |
> Psychotherapie und Nervenheilkunde, fordert eine fachgerechte Therapie | |
> für psychisch gestörte Straftäter. | |
Bild: "Menschen mit psychischen Störungen sind Menschen wie Sie und ich, in di… | |
taz: Herr Schneider, wieso bleiben in der Haft psychische Erkrankungen | |
unerkannt? | |
Frank Schneider: Die Inhaftierten werden bei Haftantritt einem Arzt | |
vorgestellt. Das geht in der Regel sehr schnell. Dieser Arzt ist ein | |
Allgemeinmediziner oder Chirurg - jedenfalls nach meinem Wissen nie ein | |
Psychiater. Die Erkennensrate von psychischen Störungen durch nicht | |
psychiatrisch ausgebildete Fachärzte ist sehr gering. | |
Mit welchen Folgen? | |
Wenn die Untersuchung ohne wesentlichen Befund abgeschlossen wird, dann | |
steht das so in der Akte und es gibt erst mal keinen Grund, die psychische | |
Gesundheit weiter zu überprüfen. Die Beamten sind auch nicht dazu | |
ausgebildet, um psychische Erkrankungen im Vollzugsalltag zu erkennen. | |
Falls ein Gefangener dann doch einem Psychiater vorgestellt wird, hat | |
dieser kaum Einflussmöglichkeiten. Eine normale Psychotherapie ist unter | |
den Bedingungen einer Haft schlicht nicht möglich. | |
Macht der Knast die Menschen also krank? | |
Dazu haben wir keine Daten. Wir gehen für alle psychischen Störungen von | |
dem sogenannten Verletzlichkeits-Stress-Modell aus. Das besagt: Man muss | |
für eine psychische Krankheit eine biologische Anlage haben. Eine | |
Depression, Psychose oder Angststörung bricht aber nur aus, wenn sie unter | |
Stress stehen. Der Strafvollzug kann diesen Stress auslösen. Gefangene sind | |
isoliert, viele Stunden am Tag allein in ihrer Zelle und leben unter sehr | |
artifiziellen Bedingungen. Sie sind völlig raus aus ihrem sozialen Umfeld. | |
Dennoch muss man den Einzelfall untersuchen, und selbst dann kann man | |
vermutlich auch nicht beweisen, dass die Inhaftierung der Auslöser ist. | |
Ihre Untersuchung lässt nur den Schluss zu, dass der Strafvollzug | |
grundsätzlich überprüft werden muss. Rechnen Sie mit einer Reform ? | |
Eine Konsequenz könnte sein, dass der Strafvollzug ganz anders organisiert | |
werden muss. Ich bin kein Ethiker, Jurist oder Politiker, aber die Frage | |
ist doch: Ist der Strafvollzug darauf angelegt, dass die Menschen | |
resozialisiert werden sollen? Oder geht es um Sühne? Wenn man auf die | |
Resozialisierung abzielt, dann muss man natürlich versuchen, das Potenzial | |
eines Menschen - und jeder Mensch hat Potenzial, egal wofür er verurteilt | |
wurde - zu fördern. In dem Sinne, dass er wieder auf sogenannte gute Bahnen | |
gelenkt wird. | |
Wie können Verbesserungen realistisch umgesetzt werden? | |
Sie müssen psychiatrische und psychotherapeutische Kompetenz in die | |
Gefängnisse bringen, zum Beispiel durch die Integration von Psychiatern, | |
Psychotherapeuten und klinisch ausgebildeten Psychologen in die ärztlichen | |
Teams der Anstalten. Zusätzlich benötigt man einfache Mittel. Durch | |
regelmäßige Besuche von psychiatrischen Fachkrankenschwestern oder durch | |
Ergotherapieangebote zum Beispiel für schizophrene Patienten. | |
Was würde das bringen? | |
Gerade die Verhaltensauffälligen und Schwachen haben schlechtere Chancen im | |
Knast, Arbeit zu finden. Sie sind nicht leistungsfähig und keiner will | |
etwas mit ihnen zu tun haben. Aber soziale Kontakte und andere Formen der | |
Beschäftigung sind besonders wichtig. Darüber hinaus müssen die | |
Justizbeamten weitergebildet werden, damit sie Frühwarnzeichen bei | |
Gefangenen richtig deuten können. Eine weitere Maßnahme könnte darin | |
bestehen, dass man die Gefangenen vor ihrer Entlassung und danach intensiv | |
psychiatrisch-psychotherapeutisch betreut, zum Beispiel in dem man | |
Ambulanzen schafft für entlassene Strafgefangene oder Hausbesuche bei | |
auffälligen Personen organisiert. | |
Was muss am Ende der Diskussion stehen? | |
Dass ein Patient im Gefängnis die gleiche leitliniengerechte Behandlung | |
erhält wie ein Patient draußen. Menschen mit psychischen Störungen sind | |
Menschen wie Sie und ich, in dieser Hinsicht existiert in der Gesellschaft | |
ein verzerrtes Bild. Aber sie haben keine Lobby. Psychisch kranke | |
Straftäter erst recht nicht, deswegen gibt es im Gefängnis auch zu viele | |
falsche Freiräume, wie mit den Betroffenen umgegangen wird. | |
7 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Lutz Bernhardt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Häftlinge mit psychischen Störungen: Der Gesundheitsentzug | |
Bei der psychologischen Behandlung von Häftlingen versagt das Justizsystem. | |
Sie bleiben sich selbst überlassen - keine gute Voraussetzung für die | |
Resozialisierung. |