# taz.de -- Petentin Susanne Wiest: "Probiert doch mal das" | |
> Die Tagesmutter formulierte eine Petition für das bedingungslose | |
> Grundeinkommen. Mit unerwartetem Erfolg. Über die Frau, die für ein | |
> "würdevolles Leben" aller streitet. | |
Bild: "Mit Armut, Arbeitslosigkeit und Hartz IV geht bei uns genau das verloren… | |
Noch nie hat Susanne Wiest eine Demonstration organisiert. Nun aber steht | |
sie in der ersten Reihe. Hinter ihr haben sich schon 20.000 Menschen | |
eingereiht, und stündlich werden es mehr. Sie schreien keine Parolen. Auch | |
Transparente tragen sie nicht vor sich her. | |
Eine solch lautlose Art, ihre Meinung zu sagen, passt zu Susanne Wiest. Die | |
Münchnerin, die seit drei Jahren in einem Vorort von Greifswald lebt, | |
direkt am Bodden, ist keine Marktschreierin. Massenauftritten gegenüber ist | |
sie skeptisch. Zu dem, wovon sie sich vereinnahmt fühlen könnte - Konsum | |
und Krawall, Weltanschauungen und Wahnsinn -, wahrt sie Distanz. Dabei ist | |
Wiest durchaus eine Erscheinung mit ihren langen, lockigen, rotbraunen | |
Haaren und den großen, grünen Augen. | |
Wiests Demo findet auf keiner Straße statt, sondern im Internet: Sie hat | |
dem Bundestag eine Petition geschrieben. Eine elektronische Petition - | |
diese Möglichkeit gibt es seit 2005. | |
In höflichem Ton ersucht sie die Politiker um Einführung eines | |
Grundeinkommens. Zur Begründung schreibt sie, das Finanz- und Steuersystem | |
sei sehr unübersichtlich und die Arbeitslosenquote zu einer festen Größe | |
geworden. "Um nun allen Bürgern ein würdevolles Leben zu gewährleisten, | |
erscheint mir die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein | |
guter Lösungsweg." | |
Susanne Wiest wusste nicht, dass ihre schlicht formulierte Bitte, die zwei | |
Tage vor Silvester vom Petitionsausschuss akzeptiert und ins Internet | |
gestellt wurde, so viele Menschen anspricht. Ein Halbsatz ihrer Petition | |
gibt dabei den Ausschlag: jener nämlich vom würdevollen Leben. "Mit Armut, | |
Arbeitslosigkeit und Hartz IV geht bei uns genau das verloren - die Würde, | |
die Selbstachtung," sagt sie. Auch findet sie es unwürdig, dass es arme und | |
reiche Kinder gibt. "Das sind doch wir, die das zulassen. Das nimmt uns | |
selber die Würde." Mit ihrer Petition will sie dem Bundestag sagen: "Was | |
wir jetzt haben, ist nicht mehr gut. Probiert doch mal das." Sie dachte, | |
sie bliebe allein damit. | |
Geplant hat sie ihr Manifest nicht. Denn Vorgezeichnetem verweigert sich | |
Wiest. Auch ihr Lebensweg folgt keinem Plan. Wiest, ein Einzelkind; ihre | |
Eltern - Arzt, Lehrerin. Das klingt nach guten Bedingungen. Obwohl Wiests | |
Leben dann nicht nach Plan verlief, brach der Kontakt zu ihren Eltern nie | |
ab. Nur manchmal, erzählt sie, sagen die: "Du hättest es leichter haben | |
können." | |
Anstatt sich über Ungerechtigkeiten zu ärgern, hat sich Wiest, die lange | |
alleinerziehend war, vor ein paar Jahren angewöhnt, Briefe zu schreiben. | |
Die schickt sie dahin, wo sie glaubt, dass man zuständig ist für das | |
Problem. | |
Ursprünglich wollte sie sich beim Petitionsausschuss nur über einen | |
Missstand beklagen, der sie direkt betrifft: Als Tagesmutter muss sie seit | |
Januar ihr Einkommen anders versteuern als zuvor. Dadurch verdient sie, die | |
ohnehin wenig verdient, noch weniger. Zudem findet sie es ungerecht, dass | |
alles, was sie tut, mit bürokratischen Vorschriften belegt ist. Ständig | |
muss sie Zettel schreiben, wann warum welches Kind bei ihr ist. "Als ich | |
meine Petition zu Tagesmüttern las, dachte ich: Jetzt machst du wieder nur | |
Stückwerk. Aber das Große bleibt ungesagt." Und was ist das Große? "Dass | |
wir hier gut zusammenleben und uns nicht ständig Steine in den Weg gelegt | |
werden", antwortet sie. Deshalb formulierte sie die Petition für das | |
uneingeschränkte Bürgereinkommen dazu. | |
Anfangs waren es nur ein paar Dutzend, die täglich ihren Namen mit unter | |
die Petition setzten. Seit Februar aber kamen fast jede Minute neue | |
Unterschriften dazu. Die Petition von Wiest ist derzeit die | |
meistunterzeichnete. Der Ansturm ist so stark, dass die Website am | |
vergangenen Wochenende nicht mehr richtig aufzurufen war. Kämen 50.000 | |
Stimmen zusammen, hätte Wiest die Möglichkeit, ihren Antrag vor dem | |
Petitionsausschuss zu begründen. Aber auch so könne der Ausschuss | |
entscheiden, sie einzuladen, meint sie. | |
Sie sitzt vor dem Computer in ihrer mit hellen Möbeln eingerichteten | |
Wohnung unterm Dach im alten Zollhaus am Hafen und verfolgt die ständige | |
Zunahme der Unterschriften unter ihre Petition. Die Frage, ob sie es toll | |
findet, dass so viele Menschen ihre Meinung teilen, weist sie zurück. | |
"Sie teilen nicht meine Meinung, aber sie wollen wie ich das | |
uneingeschränkte Grundeinkommen." Woher sie das weiß? Durch die | |
Diskussionen. Im Forum, das die Petition begleitet, diskutieren über 4.000 | |
Leute. In fast allen Beiträgen schwingt das Thema Gerechtigkeit mit. Wie | |
kann eine gerechte Gesellschaft aussehen? Wie kann eine Gesellschaft | |
aussehen, in der Armut alle angeht? | |
Angeregt wird diese Debatte auch durch Wiests Argumentation. Denn sie setzt | |
das Grundeinkommen bei 1.500 Euro für jeden Erwachsenen und 1.000 Euro für | |
jedes Kind an. Finanziert werden soll es über eine hohe Konsumsteuer. | |
Bisherige Transferleistungen, Steuern und Subventionen sollen eingestellt | |
werden, schreibt sie. Viele, die sich in die Diskussionen im Forum | |
einmischen, glauben, dass 1.500 Euro zu viel und nicht finanzierbar ist und | |
dass die Konsumsteuer ungerecht ist. Sie diskutieren darüber, wie das | |
Bürgereinkommen, das die meisten von ihnen gut finden, gestaltet sein muss, | |
damit es gerecht ist. | |
Im Forum zur Petition mischen sich viele Leute ein, deren Leben mit | |
Grundeinkommen leichter wäre. Es ist Wiests Verdienst, dass die Diskussion | |
nun offen für alle ist. Bisher nämlich verhandelten in der Öffentlichkeit | |
vor allem Experten und Leute aus der Politik das Für und Wider des | |
Grundeinkommens. Der Nochministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, | |
ist dafür. Genauso der Chef des Drogeriemarkts dm. Die Grünen sind im | |
Prinzip dafür, Fritz Kuhn allerdings ist dagegen. SPD und Gewerkschaften | |
sind dagegen. Die Linkspartei ist in großen Teilen dafür. Der CDU wird | |
vorgeworfen, sie benutze das Grundeinkommen nur dazu, den Sozialstaat noch | |
weiter zu demontieren. Meistens allerdings streiten sich die Experten nur | |
über die Finanzierbarkeit. | |
Auch Michael Quadflieg, ein Freund, der bei Wiest zu Besuch ist, mischt | |
sich ein. Er findet 1.500 Euro zu viel. Dann gibt er zu bedenken: "Wenn | |
Diskussionen, wie es uns gut gehen könnte, von vornherein nur reduziert | |
werden auf die Finanzierung, kommen wir nicht weiter." Er wohnt seit mehr | |
als 20 Jahren in Wagenburgen, mit wenig Platz und wenig Ressourcen - das | |
ist der Preis, den er für seine persönliche Freiheit zahlt. | |
Wiest hat nach dem Abitur selbst zwölf Jahre im Wagen gelebt. Mal in | |
Berlin, mal in anderen Städten, mal auf dem Land. Sie erzählt es auf einem | |
Spaziergang zur Spitze der kleinen Mole in Wieck, dem Greifswalder Vorort, | |
wo sie wohnt. Von dort hat man einen fantastischen Blick auf den Bodden. In | |
der Dämmerung verschmilzt das dunkle Blau des Himmels mit dem des Wassers. | |
In der Schule, erzählt Wiest, habe sie gemerkt, dass man sich für das, was | |
sie denkt, nicht interessiert. Was aber sollte sie mit ihren Gedanken | |
anfangen? Da ist sie nach dem Abitur in einen Wagen gezogen und hat ohne | |
fließend Wasser, ohne Strom gelebt. "Ich wollte mich an keinem Ort heimisch | |
fühlen, sondern die Gesellschaft von außen sehen. Und später bin ich wieder | |
in die Gesellschaft rein. Eigentlich mag ich Menschen." | |
Vor sieben Jahren ist sie in ein einfaches Haus, 37 Kilometer von | |
Greifswald, gezogen und ein paar Jahre später doch in die Stadt. Seit sie | |
in Greifswald lebt, betreut sie in ihrem Häuschen auf dem Land als | |
Tagesmutter zusammen mit einer anderen Frau acht Kinder. Die Kleinen dürfen | |
bei ihr viel - im Matsch herumstiefeln, mit Ton bauen, mit Wolle filzen, | |
sich riesige Papierburgen bauen, ja selbst Lagerfeuer machen. Neulich | |
sollte einer zur Vorschuluntersuchung, erzählt Wiest. "Sein erster | |
richtiger Termin im Leben." Der Kleine flehte Wiest an, ja nichts Tolles zu | |
machen an diesem Tag. Sonst würde er zu ihr kommen und nicht zur | |
Untersuchung gehen. "Das ist meine Bestätigung." | |
Tagesmutter sein ist eine Nische. Der Betreuungsschlüssel stimmt. Die | |
Kinder gewinnen. Weil sie selbst wenig verdient, unterstützen ihre Eltern | |
sie. Der Vater ihrer Kinder kann es kaum. | |
Es mag an der Dämmerung auf der Mole liegen, die über alles einen weichen | |
Schatten legt. Denn auf die Frage nach ihren zwei Kindern antwortet Wiest, | |
dass sie vier Kinder hat. Die beiden Älteren sind tot. "Auch wenn sie nicht | |
da sind, sind sie doch da." Das erste starb bald nach der Geburt. "Ein | |
schwerer Herzfehler." Und das andere? Susanne Wiest zögert. Wie soll sie | |
antworten? "Dass es nicht kitschig wird. Und ich nicht zu nackt dastehe." | |
Das Zweitgeborene starb mit 11. Ein Unfall. Sechs Jahre ist das her. "Ich | |
musste so schlagartig wachsen, um dieses Erlebnis verkraften zu können, | |
dass man meinte, meine Knochen krachen zu hören", sagt sie. Und dann: "Ich | |
habe seinen Tod als Anstoß verstanden." Anstoß für was? "Für | |
Verantwortlichkeit für das Leben. Alles Leben." | |
An der Spitze der Mole stehen drei aus Holz geschnitzte Köpfe mit großen | |
Ohren und tiefen Augen und Mündern. Sie wirken wie Mahner, die ja hören, ja | |
sehen, ja sprechen wollen. | |
Wiest strebt nicht nach dem Großen. Aber wenn etwas groß wird, so wie jetzt | |
die Petition, so wie damals der Tod des Kindes, dann flüchtet sie nicht. | |
10 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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