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# taz.de -- Zweimal Harvey Milk im Film: Den Attentäter miterzählt
> Das Panorama zeigt mit Gus Van Sants neuem Biopic "Milk" und der
> Dokumentation "The Times of Harvey Milk" von 1985 zwei Filme über den
> legendären Gay-Rights-Aktivisten
Bild: Der echte Harvey Milk - Szene aus dem Dokumentarfilm "The Times of Harvey…
Manchmal ist es gut, wenn man sich nicht an die Reihenfolge hält. Gus Van
Sants Film "Milk" startet erst nächste Woche in den Kinos, das Panorama der
Berlinale zeigt ihn aus Anlass seiner 30-Jahr-Feier nun schon eine Woche
früher. Der Besucher bekommt so Gelegenheit zu einer Zeitreise der
besonderen Art: Er kann sich zuerst von Sean Penns Darstellung des
legendären Gay-Rights-Aktivisten Harvey Milk aus San Francisco erobern
lassen, von dessen positiver Ausstrahlung und charismatischen
Überzeugungskraft - um dann, einen Tag später, bei der Wiederaufführung des
Dokumentarfilms von 1985, "The Times of Harvey Milk", darüber zu staunen,
wie gut wiederum Milk den jungenhaften, selbstverliebten Charme von Sean
Penn darstellen konnte …
Es einmal umgekehrt zu machen, also nicht in voller Kenntnis der
historischen Ereignisse die Fiktion zu beurteilen, sondern den alten
Dokumentarfilm ganz im Licht des neuen Spielfilms zu schauen, lässt einen
das Ansinnen von Gus Van Sant besser verstehen. Man hat weniger Anlass zu
Kritik und Nörgelei, was eben auch ein Vorteil sein kann. Für sich
genommen, erscheint "Milk" nämlich als geradezu erstaunlich gewöhnliches
Biopic. Es beginnt mit einer klassischen Rahmenhandlung: Hier ist es die
Audiobotschaft, die Harvey Milk vor seinem Tod aufzeichnete, für den Fall,
dass auf ihn ein Attentat verübt wird. Aus ihr heraus wird Milks Lebenslauf
erzählt, nicht von Kindheit an, sondern beginnend mit seinem 40.
Geburtstag. Milk, ein braver Wall-Street-Angestellter, überredet einen
jungen Mann in der U-Bahn, mit ihm zu feiern, und macht ihm dabei das
Geständnis, in seinem Leben "noch nichts" getan zu haben. Milk zieht nach
San Francisco, eröffnet in der Castro Street einen Kameraladen und setzt
sich eines Tages in den Kopf, für San Franciscos Gemeinderat, das Board of
Supervisors, zu kandidieren. Es braucht einige Anläufe und eine Änderung
des Wahlrechts, bis Milk schließlich im Januar 1978 sein Amt antreten kann.
Die Wahl ist ein historischer Sieg für die amerikanische Schwulenbewegung.
Man kennt die Bilder: Harvey Milk mit Girlande um den Hals auf dem Dach
eines Cabrios sitzend und immer wieder die Faust in den Himmel werfend:
"Geschafft!" Robert Epstein beginnt mit diesen Szenen seinen
Dokumentarfilm. Man sieht, dass die echte Freude hier die inszenierte des
Spielfilms noch weit übertrifft. "The Times of Harvey Milk", 1985 mit dem
Oscar ausgezeichnet, hat etwas Wesentliches mit Van Sants Spielfilm
gemeinsam. Auch er ist formal total gewöhnlich: Archivaufnahmen lösen sich
mit Talking Heads ab und eine Erzählerstimme trägt nach, was in den
Interviews mit Zeitzeugen noch nicht ganz klar wurde.
Was herausragt aus der Konventionalität sowohl des Spielfilms als auch der
Dokumentation ist der Mann, um den es geht. Dass auch ein Regisseur wie Gus
Van Sant zum gängigen Biopic-Schema greift, um von Milk zu erzählen, kann
man als Strategie sehen, dessen Charakter zu betonen. Milk war kein
Exzentriker, sondern ein "pretty regular guy"; was ihn ungewöhnlich machte,
war sein Engagement, das nicht aus einer Ideologie, sondern aus eigener
Erfahrung kam. Nach nur elf Monaten Amtszeit wurde er - zusammen mit
Bürgermeister George Moscone - erschossen. Um seine Politik zu beurteilen,
war der Zeitraum zu kurz. Milk ist bis heute vor allem ein Zeichen, ein
Symbol.
Diese Symbolkraft verleiht dem Spielfilm noch immer ihre Wucht, nominiert
ist "Milk" für acht Oscars. Im Vergleich zum Dokumentarfilm wird klar, dass
es Sean Penn gelingt, das innere Leuchten dieses Mannes zur Anschauung zu
bringen, ebenso wird aber deutlich, was der Spielfilm alles auslässt, wie
etwa den historischen Rahmen der Zeit: Nur neun Tage vor dem Attentat an
Milk und Moscone begingen in Jonestown 909 Menschen, die meisten davon aus
San Francisco stammend, Massenselbstmord.
Die große Stärke des Spielfilms liegt woanders: darin, wie er die
Geschichte des Attentäters Dan White miterzählt. In Epsteins Dokumentation
ist White der Bösewicht von rechts, der den Schutz des Establishments
genießt. Van Sant gesteht ihm eine zwiespältigere Rolle zu, macht aus ihm
jenen "verängstigten, zutiefst verunsicherten" Mann, den Milk in seiner
Audiobotschaft an die Nachwelt abstrakt als künftigen Attentäter
beschreibt. Josh Brolin verleiht White sein verschlossenes "all american
cowboy face", dem die Niederlagen des politischen Kampfes als tiefe,
unerträglich werdende Demütigung eingeschrieben sind - und fügt der
komplexen Geschichte so eine bislang fehlende Facette hinzu.
9 Feb 2009
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Kolumne Unisex
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