# taz.de -- Wahlen zur Knesset: Rechtsruck in Israel | |
> Nach Auszählung fast aller Stimmen ist Zipi Livnis Kadima-Partei knapp | |
> vorn. Doch mit nur der Hälfte der nötigen Sitze ist sie kaum in der Lage | |
> eine Regierung zu bilden. | |
Bild: Hat nun die besseren Chancen auf die Regentschaft: Benjamin Netanjahu. | |
JERUSALEM taz Die israelischen Parlamentswahl hat zwei Sieger. "Das Volk | |
hat heute für Kadima entschieden", jubelte Zipi Livni am späten | |
Dienstagabend und gab sich zuversichtlich: "Wir werden die nächste | |
Regierung stellen." Fast im selben Moment wandte sich der bisherige | |
Oppositionsführer Benjamin ("Bibi") Netanjahu an seine begeisterten Fans: | |
Das israelische Volk habe eindeutig entschieden, "der nationale Block unter | |
der Führung des Likud" habe "einen Sieg par excellence erzielt." | |
Seltsamerweise haben beide recht. Livni hat zwar entgegen sämtlichen | |
Prognosen einen knappen Sieg für sich und ihre Kadima-Partei errungen. Doch | |
zugleich ist das linke Spektrum des Parlaments derart dramatisch | |
zusammengeschrumpft, dass es ihr ohne Netanjahu und ohne den | |
rechtsnationalen Avigdor Lieberman von der Israel Beitenu ("Unser Haus") | |
kaum gelingen wird, die nötigen 61 der insgesamt 120 Abgeordneten für eine | |
Koalition zu finden. Damit ist das Land wieder dort, wo es schon vor fünf | |
Monaten stand, als Livni die Parteiführung von Ehud Olmert übernahm, es ihr | |
aber nicht gelang, eine Regierungskoalition zu bilden. | |
Nach einem besseren Gelingen sieht es heute nicht aus. Zu deutlich hat sich | |
das Kräfteverhältnis zu ihren Ungunsten verschoben. Schon ist aus den | |
Reihen der Kadima der Ruf nach dem rotierenden Ministerpräsidenten zu | |
hören, wie man es Ende der Achtzigerjahre schon einmal hatte, als sich | |
Schimon Peres und Jitzhak Schamir in der Führung der Regierung ablösten. | |
Doch davon will man im Likud derzeit nichts hören. Netanjahu hofft auf die | |
Ultrarechten von Israel Beitenu, die mit 15 Mandaten zwar hinter den | |
Erwartungen zurückblieben, aber die drittgrößte Fraktion stellen. | |
Erst dahinter auf dem vierten Platz landete die Arbeitspartei, sie musste | |
die schwerste Niederlage seit der Staatsgründung einstecken. Wenn man | |
Fraktionsmitgliedern trauen will, wird sich die traditionsreiche Partei in | |
die Opposition begeben, um dort über einen grundlegenden Neuanfang | |
nachzudenken. Selbst Parteichef Ehud Barak warnte die beiden Wahlgewinner | |
davor, die Arbeitspartei als selbstverständlichen Koalitionspartner zu | |
betrachten. | |
Livnis Sieg ging vor allem zulasten der Arbeitspartei und der links von ihr | |
stehenden Meretz, die lediglich drei Mandate errang. Noch Anfang Dezember - | |
als der weltbekannte Schriftsteller Amos Oz und einige Abtrünnige der | |
Arbeitspartei zu der "Neuen Linksbewegung Meretz" stießen - hatten gar | |
zweistellige Zahlen kursiert. Hätte es kein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen | |
Livni und Netanjahu gegeben, wäre das Ergebnis für die Linke anders | |
ausgefallen. In dieser Situation aber zählte jede Stimme, und um das in | |
ihren Augen Allerschlimmste, nämlich einen Sieg des stramm konservativen | |
Netanjahu zu verhindern, stimmten viele traditionelle Wähler der Linken für | |
das kleinere Übel, das in diesem Fall Kadima hieß. | |
Die Lage ist so vertrackt wie präzedenzlos. Einen Wahlsieger, der den | |
insgesamt schwächeren Block repräsentiert, hat es in Israel noch nicht | |
gegeben. Staatspräsident Schimon Peres steht vor der schweren Aufgabe, | |
innerhalb von nur einer Woche darüber zu entscheiden, wen er mit der | |
Regierungsbildung beauftragt. | |
Egal ob Livni oder Netanjahu - beide signalisierten Bereitschaft, Lieberman | |
in eine Koalition einzuladen. Netanjahu hatte dem rechtsnationalen | |
Politiker schon vor den Wahlen einen "wichtigen Ministerposten" in Aussicht | |
gestellt. | |
Livni und Lieberman, der seinen Wahlkampf in erster Linie gegen die | |
israelischen Palästinenser richtete, liegen gar nicht so weit auseinander. | |
Die Kadimavorsitzende hatte schon vor Wochen den arabischen Staatsbürgern, | |
"denen es hier nicht gefällt", nahegelegt, "sich ein neues Zuhause zu | |
suchen". Damit trifft sie ganz den Ton von Liebermans Wahlspruch: "Ohne | |
Loyalität keine Staatsbürgerschaft". | |
Der Erfolg des ruppigen Exrussen ist auch eine Protestwahl gegen das | |
Establishment. Gerade unter den Erstwählern genießt er seltsame Sympathien. | |
Lieberman kämpft zudem derzeit allein an der antireligiösen Front. Er | |
fordert die Auflösung des orthodoxen Monopols im Bereich des Eherechts. Bis | |
heute ist es in Israel nicht möglich, standesamtlich zu heiraten. | |
"Alle sagen, dass wir den Schlüssel zur nächsten Regierung in der Hand | |
halten", resümierte Lieberman am Wahlabend. "Auf unseren Schultern liegt | |
eine große Verantwortung, und die Entscheidung wird keine leichte sein." | |
Wenn Israel Beitenu in die Regierung von Livni einzieht, wird sie das | |
Kräfteverhältnis so weit nach rechts verlagern, dass der Kadimavorsitzenden | |
kaum noch Handlungsfreiheit gegenüber den Palästinensern bleibt. Umgekehrt | |
könnte sich Netanjahu auf Liebermans Unterstützung verlassen, sollte er | |
einen erneuten militärischen Vorstoß zur Zerschlagung der Hamas im | |
Gazastreifen unternehmen wollen, wie er es während seines Wahlkampfes | |
ankündigte. | |
11 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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