# taz.de -- Auf Schlamm gebaut: Schanghai - die west-östliche Diva | |
> Die Gegenwart der chinesischen Boomstadt ist manchmal schwer zu ertragen, | |
> ihre Vergangenheit scheint sich aufzulösen. Doch Schanghais | |
> Uferpromenade, der Bund, soll wieder glänzen | |
Bild: Kapitalisierter Kommunismus in der Altstadt | |
Wir verabreden uns auf der Garden Bridge. Zwei Fremde in der Stadt, nach | |
langen Flügen am selben Tag angekommen. Er rief an, vom Hotel aus, als ich | |
am "Bund" entlangspazierte, Schanghais Uferpromenade. Die Garden Bridge | |
führt über den Suzhou Creek zum Bund, alles erbaut vor rund hundert Jahren. | |
Abenddämmerung taucht die schwere Luft in gnädiges Rosé. Ich suche die | |
Brücke. Sie ist verschwunden. Eine weitere staubige, laute Straßenbaustelle | |
stellt sich dem Verkehr in den Weg. Wieder ein Stück historisches | |
Schanghai, das der Moderne weichen muss. Befangen stolpern zwei Menschen | |
über Umwege, Steine und Schotter aufeinander zu. | |
Doch diese Geschichte hat ein gutes Ende, jedenfalls für die Brücke. Sie | |
liegt in einem Depot und wird renoviert, wie das gesamte einstige | |
Prunkstück von Schanghai, der Bund. "Bund" ist ein angloindisches Wort, es | |
bedeutet Kaimauer. Am Huangpu-Fluss hatten die Briten im 19. Jahrhundert | |
eine Niederlassung errichtet, außerhalb des historischen Schanghai. Der | |
Kolonialhandel nahm zu, die Grundstückspreise stiegen, es wurden immer | |
höhere Gebäude errichtet, in prunkvollem Stil, genauer gesagt: in allen | |
Neostilen, die in Europa gerade en vogue waren. 52 solcher Paläste, Banken, | |
Hotels, Handelshäuser, schoben die Skyline Schanghais in den Himmel. Der | |
Bund war das Herz des kolonialen Schanghai, an der breiten Promenade gab es | |
einen britischen Park, Chinesen hatten keinen Zutritt, was für Aufruhr | |
sorgte. 1865 erleuchteten Gaslaternen die Straße, das muss mindestens so | |
aufsehenerregend gewesen sein wie die heutige nächtliche Neonillumination. | |
Hier wurde, vor allem mit dem Opiumhandel, viel Geld verdient. Kein Wunder, | |
dass nach der Machtergreifung der Kommunisten der Bund demontiert wurde. | |
1949 waren die Gebäude enteignet worden, Stuck und Schmuck an den Fassaden | |
wurden abgeschlagen, Fenster zugemauert, Räume verrammelt. Erst in den | |
1990er-Jahren, als der Kapitalismus zurückkam nach Schanghai, besann man | |
sich der west-östlichen Diva, die immer schon Kommerz und Eleganz, China | |
und Koloniales vereinte. Nun konnten die internationalen Banken ihre Häuser | |
zurückkaufen, doch die meisten zogen auf die andere Seite des Flusses, nach | |
Pudong, das moderne Hochhaus- und Finanzzentrum. | |
Die 1990er-Jahre waren in Schanghai der Beginn des Autozeitalters. | |
Entsprechend wurde der Bund umgestaltet. Die Promenade am Fluss wurde | |
erhöht, Bäume wurden gefällt. Für Fußgänger fast nicht mehr zu erreichen | |
sind seither die Kolonialbauten, durch den reißenden Verkehrsstrom vom | |
Huangpu getrennt. Nun fiebert Schanghai der Expo 2010 entgegen, dafür wird | |
die Stadt umgekrempelt, auch der Bund. | |
Entworfen hat den Masterplan das amerikanische Architektenbüro Skidmore, | |
Owings and Merrill (SOM). Die schufen schon in Pudong den eleganten | |
Wolkenkratzer Jin Mao Tower, bauen derzeit in Dubai mit dem Burj Dubai das | |
höchste Gebäude der Welt und machten aus den London Docks die moderne | |
Canary Wharf. Der Bund soll Fußgängerzone werden, Bäume sollen die | |
Promenadenatmosphäre wiederherstellen. Der Fluss soll wieder Teil der Stadt | |
werden, statt sie zu teilen. Gigantische Gräben klaffen nun vor den | |
kolonialen Fassaden, der Verkehr soll unterirdisch mehrstöckig sechsspurig | |
fließen. Es werden zwei neue Tunnel unter dem Fluss nach Pudong gebaut. Und | |
dann wird die 1906 gebaute Garden Bridge auch wieder über den Nebenfluss | |
Suzhou gehievt. | |
Dabei wurde der Bund auf Schlamm gebaut. In den 1920er-Jahren fanden auch | |
dreihundert Meter tiefe Bohrlöcher keinen festen Grund. Tausende von | |
importierten Baumstämmen stützten die Häuser auf Stelzen. Ein Architekt | |
sagte damals, Schanghai könne höchstens sechs Stockwerke hoch bauen, London | |
sechzig, New York und Hongkong beliebig hoch. Heute zählt Schanghais | |
höchstes Gebäude 101 Stockwerke. | |
Markante Säulen der kolonialen Skyline sind die Bank of China, ein | |
Hochhausturm wie im frühen New York, der Uhrturm "Big Ching" des ehemaligen | |
britischen Zollhauses, der wie Big Ben schlägt, der Kuppelbau der Hongkong | |
and Shanghai Bank. Und natürlich das 1930 erbaute Sassoon House mit seinem | |
Turm mit grüner Haube. Es muss eines der elegantesten Hotels in Asien | |
gewesen sein. Vicki Baum hat ihren Roman "Hotel Schanghai" wohl dort | |
angesiedelt. Zuletzt hieß es Peace Hotel, ist aber nun schon einige Jahre | |
geschlossen. | |
Nicht so "Bund 18". Das ehemalige Bankgebäude mit mächtigen Säulen an der | |
Fassade ließ ein taiwanisches Unternehmen von dem venezianischen | |
Architekten Filippo Gabbiani renovieren. Dessen Familie hatte, als Filippo | |
noch ein Kind war, Marco Polos Haus in Vendig gekauft. Seit damals, so der | |
Architekt, habe ihn China fasziniert. Ein Jahr dauerte die Restaurierung | |
des Hauses mit rosafarbenem Marmor, bronzener Eingangstür und aufwendigem | |
Treppengeländer - und bekam eine Unesco-Auszeichnung für gelungene | |
Renovierung. Die Granitfassade hatte unter der Luftverschmutzung gelitten, | |
dreißig Arbeiter reinigten sie in zwei Monaten von Hand, nach einer | |
Methode, die bei venezianischen Palästen angewandt wird. | |
In der Boutique "Younik" im selben Haus stellt Chen Ping ihre Mode aus. Sie | |
entwirft das Outfit für die erfolgreichen Frauen von Schanghai. Somit sind | |
die meisten ihrer Kleidungsstücke schwarz, dunkelgrau oder anthrazit. Chen | |
Ping ist 36 Jahre alt, wirkt jung, wie all die grazilen Menschen, die in | |
dem Laden an den weißen Wänden lehnen oder am Kassentisch stehen wie | |
Schilfgras an einem Bach. Chen Ping möchte die "Klarheit unserer alten | |
Kultur wiederaufnehmen". Die Kulturrevolution habe diese Verbindung | |
unterbrochen, "wir hatten nur noch Einheitskittel". Mit ihren Entwürfen | |
orientiere sie sich an der Song-Dynastie. Wann war das noch gleich? Auf | |
diese Frage hin kommt Bewegung in die schwarz gekleideten Gräsergleichen, | |
eine rege Unterhaltung beginnt, die zu keinem Ergebnis führt. "Sehen Sie", | |
sagt Chen Ping, "wir wissen nicht einmal das mehr genau. Die Verbindung zu | |
unserer Vergangenheit wurde zerschnitten." | |
Seit zehn Jahren etablieren sich chinesische Modemarken. Einige Designer | |
haben sich zusammengeschlossen zur Boutique Younik im "Bund 18". Der | |
Standort ist an Exklusivität kaum zu überbieten, im Erdgeschoss des | |
Kolonialgebäudes sind Cartier und Ermenegildo Zegna eingezogen, auf der | |
Dachterrasse trinken am Abend die Reichen und Schönen in der "Bar Rouge" | |
für acht Euro Mango Mojito mit Blick auf die Skyline von Pudong. Auch in | |
den Häusern nebenan logiert, was über die Laufstege der Welt stöckelt, aber | |
auch die taiwanische Edelschneiderei Shiatzy Chen und die Hongkonger | |
Konkurrenz Shanghai Tang, zwei exklusive Modemarken im chinesischen Stil. | |
Der letzte Morgen in der Stadt. Sechs Uhr früh. Vom Hotelzimmer aus breitet | |
sich der Bund in leichtem Schwung am Ufer des Huangpu aus. Fahles | |
Dämmerlicht liegt über der Stadt. Als ich den Bund erreiche, glimmt die | |
Sonne zwischen den himmelhohen Häusern von Pudong, auf der anderen Seite | |
des Flusses. Einige Jogger treffen sich auf dem leeren Pflaster. Ein paar | |
wundersame Menschen rennen rückwärts. Am Denkmal des Volkshelden reiht sich | |
ein Dutzend Chinesinnen auf, übt zu zarter chinesischer Musik Tai Chi. | |
Gekleidet in tiefrote Samtanzüge mit Kordelknöpfen. Die Sonne scheint in | |
ihre Gewänder zu fließen. Sanfte Bewegungen. Ein alter Mann winkt mich zu | |
sich. Ob ich Tai Chi mag? Ja, sage ich. Machen Sie mit, fordert er mich | |
auf. Es ist ganz einfach. Das ist es vermutlich auch. Wenn man es sein | |
Leben lang geübt hat, jeden Morgen. Ich lehne freundlich ab. Der alte Herr | |
sagt: "Dont be shy, my dear Madame." | |
Ich gehe weiter den Bund entlang. Eine Handvoll Frauen, robuste Figuren in | |
Jogginganzügen, stellt sich in Positur. In ihren Händen halten sie rote | |
Fächer, die sie synchron in anmutigen Posen öffnen, über ihre Köpfe ziehen, | |
mit angewinkelten Händen in die kühle Morgenluft strecken. Die Sonne | |
gewinnt an Kraft, steigt auf zwischen Jin Mao Tower und dem World Financial | |
Center, den gläsernen Wahrzeichen der Stadt. Am Bund leuchten die | |
Kolonialbauten in sattem Morgengelb. Davor glühen die roten Fächer der | |
Chinesinnen. Schanghais Gegenwart ist manchmal schwer zu ertragen. | |
Baustellen, verschwindende Häuerblocks und Brücken, Lärm, Smog, | |
Menschengedränge. Schanghais Vergangenheit scheint sich aufzulösen. Die | |
Zukunft klingt für viele vielversprechend und macht anderen Angst. An einem | |
Sonntagmorgen am Bund verschmelzen die Zeiten. | |
Verschlafen kommen die ersten Verkäufer auf den weiten Boulevard. Nun wird | |
es bald voll. Anstrengend. Touristen aus der ganzen Welt, Chinesen aus dem | |
ganzen Land, flanierende Einwohner Schanghais, manche wieder reich geworden | |
auf dem Weltmarkt, und Kleinsthändler mit Papierdrachen und Yasmintee, mit | |
fiependen, glitzerndem Krimskrams. Alle wollen teilhaben am | |
Glücksversprechen der Stadt, am Ufer der Huangpu. "... und sie können keine | |
andere Luft mehr atmen als die heiße, schwere Luft von Schanghai", schrieb | |
Vicky Baum. Die Frachtkähne tuten in tiefem Moll. | |
11 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schaefer | |
## TAGS | |
Reiseland China | |
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