# taz.de -- Architekt Hübner über bessere Bildungsorte: "Schulen sind in Wahr… | |
> Wer Schule zu Kraftorten machen will, der soll Konjunkturmilliarden nicht | |
> verkleckern, findet Architekt Peter Hübner: Das Klassenzimmer von gestern | |
> darf nicht Maßstab für das Lernen von morgen sein! | |
Bild: "Ich sehe nicht, wo in den Einheitsschulbauten der Augensinn der Kinder a… | |
taz: Herr Hübner, jahrelang haben die Schulen vor sich hingeschimmelt. | |
Jetzt kommt die große Bundeskohle aus dem Konjunkturprogramm. Freuen Sie | |
sich darüber? | |
Peter Hübner: Ja und nein. Gut, dass die Schulleiter jetzt die Klos wieder | |
festschrauben lassen können, die Wände neu malern und die Türen erneuern. | |
Die Maler und Schreiner werden ad hoc damit beauftragt. Das Geld kann | |
sofort abfließen, prima. Allerdings macht das Schulen noch lange nicht zu | |
Leuchttürmen. | |
Wo liegt das Problem? | |
Es ist die Gießkanne. Wir haben 40.000 Schulen in Deutschland. Wenn jede | |
gleich viel bekommen soll, dann verkleckern die knapp neun Milliarden ganz | |
schnell. An die Banken gehen hunderte von Milliarden Euro - aber in die | |
Schulen investieren wir nur einen Bruchteil davon. Obwohl die Schulen, | |
genau besehen, unsere Banken der Zukunft sind. Denn dort wird unser großer | |
Schatz gehütet, die Talente, die Kreativen, die Manager von morgen. | |
Wie viel Geld bräuchte man, um die Lehranstalten zu Orten des Lernens zu | |
verwandeln? | |
Ich schätze, wir müssten die Investitionen um den Faktor 10 erhöhen. Erst | |
dann könnten wir zukunftsweisende Gebäude umgestalten und bauen, in denen | |
unsere Kinder neu und besser lernen könnten. Wir haben ein miserables | |
öffentliches Bildungswesen. Das können wir an den schlechten | |
Pisaergebnissen genauso sehen wie an den hässlichen und kalten | |
Schulhäusern. Wenn wir jetzt nicht das Geld und die Ideen aufbringen, dann | |
betonieren wir ein altes pädagogisches Konzept auf Jahre hinaus fest. Ich | |
glaube nicht, dass wir uns das leisten können. | |
Was stört sie an Schulen: dass sie verwahrlost sind - oder dass sie falsch | |
gebaut sind? | |
Mich irritiert stets, dass sie in Wahrheit gar keine Schulen sind. Wir | |
sehen keine Orte für das Leben und das Lernen, sondern Kasernen. An langen | |
Fluren steht ein Raum neben dem anderen stramm. Alle Klassenzimmer haben | |
dieselbe Form. Die Kinder werden hineingepfercht, alle nach vorne zur Tafel | |
ausgerichtet. Der Lehrer schreibt an, die Kinder schreiben ab. Das ist eine | |
industrielle Anordnung, der die Massenabfüllung als Idee zugrunde liegt. | |
Übertreiben sie nicht? | |
Hand, Herz und Kopf müssen gleichzeitig entwickelt werden. Ich sehe nicht, | |
wo in den Einheitsschulbauten der Augensinn der Kinder angesprochen wäre. | |
Damit geht eine Verarmung der Sinne einher. Wir leisten der Erzeugung von | |
"Gefühlskrüppeln" Vorschub. Die Kinder werden in den standardisierten | |
Klassenzimmern zu Mitläufern dressiert, sagt Wolfgang Harder, der ehemalige | |
Rektor der Odenwaldschule. Denn das hat nichts mit dem zu tun, was wir im | |
21. Jahrhundert brauchen: Das Potenzial jedes Einzelnen zu erkennen und zur | |
Geltung zu bringen. Die Freiheit zu haben, je nach Thema und Aufgabe Teams | |
von Schülern bilden zu können. Zu experimentieren, zu forschen, zu denken. | |
Auf dem Münsteraner Konvent werden wir mit dem Archiv der Zukunft darüber | |
nachdenken, wie man Architektur und neues Lernen zusammenbringt. | |
Haben Sie selbst denn im Klassenzimmer nichts gelernt? | |
Habe ich, aber das Gestern kann doch kein Maßstab für das Lernen von morgen | |
sein! Ich sehe meine beiden Enkel, die zwei und vier Jahre alt sind. Und | |
ich frage mich, was uns dazu bringt, die Neugier und das Interesse dieser | |
kleinen Forscher abzuwürgen, indem man sie mit Gleichaltrigen in ein Zimmer | |
sperrt. Für viele verschiedene Lernformen brauche ich verschiedene Räume, | |
eine differenzierte Lernlandschaft: große und kleine Klassenräume, Aulen, | |
Lernnischen, Labore und Werkstätten. Niemand von uns kommt, wenn man ihm | |
eine komplexe Aufgabe im Beruf stellt, auf die Idee, sich in ein | |
Klassenzimmer zu begeben, um dort nachzudenken. Niemand. Aber unseren | |
Kindern muten wir das zu. Manchmal frage ich mich, in welchem | |
Entwickungsstadium sich eine Gesellschaft befindet, die ihre | |
wissbegierigsten Köpfe in Schulbänke setzt und einnordet. Die ersten | |
beginnen schon, sich dagegen zu wehren. | |
Was meinen Sie damit? | |
Unsere öffentlichen Schulen sind in einem so erbärmlichen Zustand, dass die | |
Leute in die Privatschulen fliehen. Nicht nur in Berlin übergibt jeder, der | |
2,50 Euro übrig hat, seine Kinder den Privaten. Das darf der Staat nicht | |
zulassen. Wir müssen richtig viel Geld in die Hand nehmen und in jeder | |
Stadt eine Zukunftsschule bauen. Frau Merkel und Frau Schavan sollten sich | |
das vornehmen. Ich verstehe auch nicht, warum die Lehrer das mitmachen. | |
Schule sind ihre Orte, an denen sie die meiste Zeit verbringen. Die müssen | |
sich doch wohlfühlen. Wir bauen gerade in Moers eine Schule, da wird es | |
einen Chill-out-Raum für die Lehrer geben. Ein Ort, an dem sie sich auch | |
mal einen Moment hinlegen können. Alles von Schülern geplant. | |
Sie bauen und planen ihre Schulen mit den Schülern. Hand aufs Herz: Können | |
9-Jährige eine Schule planen? | |
Können sie. Wir machen es nie anders. Gerade haben wir in Berlin den Um- | |
und Anbau einer evangelischen Schule geplant. Es ist der Entwurf einer | |
wunderschönen Aula entstanden, die zwei Plattenbauten verbinden wird. Die | |
Kinder sind es, die uns die Ideen geben. Wir sind allenfalls die Berater | |
und diejenigen, die etwas umsetzen. Das Spannende dabei ist, dass die | |
Identifikation mit den dabei entstehenden Orten weit über die tatsächlichen | |
Teilnehmer hinausreicht. | |
Das verstehe ich nicht. | |
Wir haben vor 25 Jahren mit Kindern ein Jugendhaus gebaut. Und noch heute | |
sagen 10-Jährige dort: Das ist unser Haus - obwohl sie damals | |
selbstverständlich nicht dabei waren. | |
Wie kommt das? | |
Wir haben lange gebraucht, um herauszufinden, worin dieses Besondere | |
besteht. Wir nehmen an, dass es sich auf natürliche Weise entwickelt, wenn | |
man die Kinder selbst planen lässt, wenn man ihre Wünsche ernst nimmt. Das | |
ist nicht nur mühsam und zeitraubend, sondern ein fruchtbarer Prozess. Er | |
hinterlässt tiefe Spuren bei den Kindern. Es entsteht das Gefühl einer | |
selbst bestimmten, maßgeschneiderten Entwurfslösung. Loris Malaguzzi, der | |
Vordenker der Reggio-Pädagogik, sagt, dass der erste Lehrer die Kinder, der | |
zweite die Lehrer selbst und der dritte der Raum ist. Wir finden, dass die | |
viel gescholtenen Kinder von Natur aus nicht das Problem sind. Sie werden | |
als Entdecker und Erfinder geboren - und sie wissen offenbar am | |
allerbesten, wie man die Räume von Schulen zu Orten macht, die etwas mit | |
ihnen zu tun haben und von denen Kraft ausgeht. | |
Was sagen Sie zu dem Vorwurf: Wer jetzt große Projekte macht, der gibt das | |
Geld an die gutbürgerlichen und gut organisierten Schichten, die ohnehin | |
immer einen Plan in der Schublade haben. | |
Da ist was dran. Es wäre aber auch falsch zu sagen, wir bauen jetzt nur | |
noch Hauptschulen um. Wir erleben gerade so ein Projekt. Eine Schule, die | |
eigentlich ein zusammengewürfelter Rest ist. Wir merken, dass diese | |
angeblichen Rabauken wahnsinnig engagiert sind und sehr stolz auf das, was | |
sie da erschaffen. Es geht also auch woanders. Nur finde ich es falsch, auf | |
den anderen Schulen herumzuhacken. Jedes nicht gebaute schöne Schulhaus ist | |
ein Verlust. | |
Gibt es so etwas wie kleine Tricks, mit denen man einen verhunzten Schulbau | |
wenigstens übergangsweise leb- und lernbar machen kann? | |
Ja, das versuchen wir gerade mit der evangelischen Schule in Mitte. Es | |
entsteht ein neues Forum, wie es zum Konzept der Schule gehört. | |
Gleichzeitig wollen wir die bauliche Substanz der beiden Plattengebäude | |
umgestalten. An den Kopfenden soll es Klassenräume geben, in der Mitte wäre | |
es denkbar, größere Areale für das klassen- und jahrgangsübergreifende | |
Lernen entstehen zu lassen. Wenn alle Beteiligten sich zusammenraufen, | |
können wir aus der Platte dort eine schöne Schule machen. Wenn man die | |
Fassade noch renoviert, wird das wunderbar. Dann machen sie aus einer | |
Schule, in der die Gewerbeaufsicht heute keinen Betrieb zulassen würde und | |
die derzeit wegen ihrer famosen Heiztechnik den Bezirk Mitte warm hält, | |
eine ökologische und pädagogische Musterschule. | |
Was kostet das? | |
Ich habe es ja gesagt, mich frustriert die Gießkanne. Geben Sie mir 3 | |
Millionen Euro, und ich baue ihnen das so um, dass die Leute von überall | |
herkommen. | |
12 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
## TAGS | |
Privatschule | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neue Lernformen in Hamburg: Kita gründet Reggio-Schule | |
In Winterhude öffnet zum neuen Schuljahr Deutschlands erste an | |
Reggio-Pädagogik orientierte Grundschule. Bis jetzt sind noch nicht alle | |
Plätze belegt |