# taz.de -- Kontrollen für Biobetriebe: Alles Bio, oder was? | |
> Der Betrug mit falschen Bioprodukten setzt die Ökobranche unter Druck. | |
> Vor der Messe BioFach in Nürnberg beraten die Kontrollstellen: Wie kann | |
> man solche Fälle verhindern? | |
Bild: Taugt nur etwas, wenn die Kontrollen stimmen: das Biosiegel. | |
Nach einer Stunde wird die Biokontrolle für Betriebsleiter Bernd Voigt | |
etwas unangenehm. Der Chef der Öko-Ochsenmast Grünland GmbH im | |
brandenburgischen Dorf Manker hat vergangenes Jahr einen Bullen zum Decken | |
von Kühen gekauft. Kontrolleur Jens Freitag will das Biozertifikat des | |
Lieferanten sehen. Das soll belegen, dass das Tier aus einer Ökozucht | |
stammt. Voigt stöhnt, blättert einen Aktenordner durch - und muss | |
schließlich passen. Er findet das Papier nicht. "Da haben wir jetzt einen | |
Dokumentationsfehler entdeckt. Das vermerke ich unter Mängel", sagt | |
Freitag. Er lässt seinen Kugelschreiber auf dem Prüfprotokoll landen. Voigt | |
wirkt nun ein bisschen eingeschnappt. | |
Dieser Mangel kann alles mögliche bedeuten: Vielleicht ist der Lieferant | |
tatsächlich bio, und Voigt hat einfach nur vergessen, sich das Zertifikat | |
geben zu lassen. Aber der Fehler könnte auch eines von mehreren Indizien | |
dafür sein, dass hier konventionelle Tiere als öko verkauft wurden. | |
"Misstrauen ist halt eine Berufskrankheit", sagt Freitag, ein 43-Jähriger | |
mit einer äußerst akkurat geschnittenen Frisur, der seinen Laptop gern in | |
einer ledernen Lehrertasche trägt. Sollte das Zertifikat am Donnerstag | |
immer noch nicht vorliegen, handelt sich Voigt eine "Belehrung" ein. Kommt | |
das noch einmal vor, werden Sanktionen fällig, die irgendwann zum Entzug | |
des Bio-Siegels führen können. | |
Dass Misstrauen der Biokontrolleure berechtigt ist, hat der jüngst | |
aufgedeckte Ökoschwindel des einst größten Biogeflügelhändlers in | |
Deutschland, Berthold Franzsander, gezeigt. Franzsander hatte seine Puten | |
in verbotenem Maße mit normalem statt mit ökologischem Futter versorgt. | |
Auch konventionelles Fleisch soll seine Firma zugekauft haben. Franzsander | |
habe Bioware auf den Markt gebracht, die gar keine war, kritisierte das | |
zuständige Landesamt für Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen. | |
Das war unangenehm für die privaten Kontrollstellen, die mit Lizenz der | |
Behörden Biobauernhöfe, Biofabriken und Bioläden begutachten. Die | |
Inspekteure müssen überprüfen, ob die Betriebe die Ökoverordnung der | |
Europäischen Union einhalten - im Fall Franzsander bemerkten sie jahrelang | |
nichts. Aufgeflogen ist Franzsander nicht durch eine Kontrolle in seinem | |
Betrieb, sondern durch Zufall: Bei einer Inspektion einer konventionellen | |
Futtermühle ist einem Beamten aufgefallen, dass sie auch an eine Biofirma | |
des mutmaßlichen Betrügers lieferte. | |
"Das Ökokontrollsystem hat hier wirklich nicht funktioniert", sagt | |
Agrarreferentin Jutta Jaksche vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. | |
"Die Verbraucher haben für etwas bezahlt, was sie nicht bekommen haben." | |
Und das ist nicht der einzige Fall. Vergangene Woche verurteilte das | |
Landgericht Kiel eine Landwirtin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und | |
einer Geldstrafe. Jahrelang hatte sie Reformhäuser und Naturkostläden in | |
Schleswig-Holstein und Hamburg mit tausenden falschen Bio-Eiern beliefert, | |
die sie aus einem konventionellen Betrieb mit Käfighaltung zukaufte. Die | |
Kaufbelege versteckte sie in einer "doppelten Buchführung". Erst eine | |
anonyme Anzeige überführte sie. "Die zuständigen Kontrollen waren nur pro | |
forma", sagte die Bäuerin unter Tränen aus. | |
"Solche Fälle nehmen schon deshalb zu, weil die Branche wächst", sagt | |
Jochen Neuendorff, der die Kontrollstelle Gesellschaft für Ressourcenschutz | |
leitet. Allein im vergangenen Jahr stieg der Umsatz mit Biolebensmitteln um | |
10 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro. "Damit wächst auch die Zahl der | |
Betriebe und das Potenzial für Betrug", sagt Neuendorff. | |
Den Experten beunruhigt vor allem eines: "Die Strukturen sind neuerdings | |
teilweise gigantisch." Immer mehr Großunternehmen springen auf den Biozug | |
auf, sie haben hunderte Mitarbeiter, tausende Tiere und zahlreiche | |
Tochterfirmen. Seit 2005 ist die Zahl der Erzeuger, Händler und Verarbeiter | |
von Bioprodukten in Deutschland um etwa 38 Prozent auf rund 30.000 | |
gestiegen. Gleichzeitig sind die Ökohöfe immer größer: Im Jahr 1999 | |
bewirtschaftete jeder im Schnitt 51 Hektar, acht Jahre später schon 60. In | |
dem Geschäft mischen nun auch Giganten wie die börsennotierte KTG Agrar AG | |
mit. Sie produziert auf mehr als 27.000 Hektar bio und konventionell. | |
Besonders stark wächst die Branche in der Verarbeitung von Ökorohware etwa | |
zu Produkten wie Saft oder Fertiggerichten. Experten schätzen, dass 80 bis | |
90 Prozent sowohl bio als auch konventionell produzieren. Auch Franzsander | |
war in beiden Märkten aktiv, berichtet der Vorsitzende der ökologisch | |
orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich | |
Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Er fordert mehr Überraschungsbesuche bei | |
Gemischtbetrieben. | |
Familie Franzsander spannte ein Netz von Firmen und Außenstellen, in denen | |
sich Unregelmäßigkeiten leicht verstecken ließen. Neuendorff will, dass | |
solche Unternehmen öfter unangekündigt kontrolliert werden. Bei risikoarmen | |
Betrieben wie kleinen Rindermästern könnten seiner Meinung nach wenige | |
Inspektionen reichen. "Aber der putenindustrielle Komplex zum Beispiel ist | |
eine völlig andere Nummer. Dort wechseln die Tiere ständig", sagt er. Die | |
überzüchteten Rassen brauchen besonders viel tierisches Eiweiß, das mit | |
ökologischem Futter kaum nachgefüttert werden kann. "Die Verlockung, | |
konventionelles Futter zu benutzen, ist groß", sagt der Kontrolleur. Auch | |
Vebraucherschützerin Jaksche verlangt mehr Kontrollen etwa bei weit | |
verzweigten Großbetrieben. | |
Niemand in der Öko-Gemeinde ist jedoch dafür, das Kontrollsystem komplett | |
zu verstaatlichen. Weiter soll der Kontrollierte den Kontrolleur bezahlen - | |
ähnlich wie andere Unternehmen sich ihre Bilanzen von selbst finanzierten | |
Wirtschaftsprüfern bescheinigen lassen. Die Behörden, so die Befürchtung, | |
könnten mangels Personal nicht so häufig kontrollieren wie die Privaten. | |
Kontrollstellenchef Neuendorff verlangt deshalb nur, das System aus | |
privater Inspektion und staatlicher Aufsicht zu verbessern. "Der | |
Inspizierte muss das Gefühl haben: Jeden Moment geht die Tür auf, und da | |
steht der Bioinspekteur", erklärt Neuendorff. Bisher ist das meist nicht | |
so: Die Biokontrolleure melden sich bei den meisten Betrieben Wochen vorher | |
an und kommen auch nur einmal im Jahr vorbei. Im Jahr 2007 wurden nach | |
Angaben der Bundesanstalt für Ernährung die rund 30.000 Biobetriebe in | |
Deutschland insgesamt 35.000-mal kontrolliert. Die Bundesländer schreiben | |
den Kontrollstellen zwar vor, zusätzlich zehn oder mehr Prozent der | |
Inspektionen nicht anzukündigen. Aber das definieren die Aufsichtsbehörden | |
in den Bundesländern teilweise sehr eigenwillig. "In begründeten | |
Einzelfällen dürfen die unangekündigten Kontrollen auch angemeldet werden", | |
sagt zum Beispiel Karin Ohm-Winter, Dezernatsleiterin bei der hessischen | |
Aufsichtsbehörde. Das gelte für kleine Betriebe, wo die Kontrolleure sonst | |
vielleicht niemanden antreffen würden. | |
Neuendorff sieht dieses Problem nicht. Seine Kontrollstelle habe | |
vergangenes Jahr 600 ihrer 2.300 Inspektionen überhaupt nicht angekündigt - | |
und sei damit gut gefahren. "Es geht vor allem um Großbetriebe, und da ist | |
sowieso immer jemand im Büro. Man braucht also keine Angst haben, dass man | |
da umsonst hinfährt", meint er. "Das ist natürlich für alle Beteiligten die | |
unangenehmere und teurere Variante der Kontrolle. Aber das ist eben nötig." | |
Viele Branchenvertreter sehen Neuendorffs Vorschlag dennoch skeptisch. "Bei | |
den Unternehmen in Nordrhein-Westfalen waren wir regelmäßig zu | |
unangekündigten Kontrollen", berichtet Thomas Damm. Seine Kontrollstelle | |
ABcert hatte neben anderen dem Geflügelhof und einer Vertriebsfirma der | |
Franzsanders den Ökostempel verliehen. Ganze Ställe seien seinen | |
Mitarbeitern komplett verheimlicht worden. "Die hätten wir auch nicht bei | |
zusätzlichen unangemeldeten Inspektionen entdeckt", sagt Damm | |
Heute berät der Verband der Kontrollstellen über Franzsander, einen Tag vor | |
Eröffnung der BioFach-Messe in Nürnberg. Die Meinungen darüber, wie mit dem | |
Fall umgegangen werden soll, gehen auseinander. Martin Rombach, Leiter der | |
Kontrollstelle Prüfverein Verarbeitung ökologischer Landbauprodukte, hält | |
konkrete Konsequenzen für zu früh. Sein Kollege Heinz-Joachim Kopp von der | |
Kontrollstelle Lacon hingegen ruft nach dem Staat und fordert, dass die | |
Ämter die Lieferlisten konventioneller Futtermittelhersteller mit den | |
Adressen von Biobauern vergleichen. "Wir dürfen das gar nicht. Da müssen | |
uns die Behörden helfen", sagt Kopp. | |
Bei Stefan Dreesmann, der im niedersächsischen Agrarministerium die | |
Ökobranche überwacht, stößt er damit auf offene Ohren. "Wir haben auch | |
bisher schon konventionelle Futtermittelverarbeiter auf Biokunden | |
überprüft. In den nächsten zwei, drei Wochen hat das für unsere Prüfer | |
Priorität." Auf lange Sicht wird Niedersachsen dafür aber mehr Personal | |
bereitstellen müssen. Auch Nordrhein-Westfalen hat angekündigt, die | |
Futterbranche besser zu kontrollieren. Rheinland-Pfalz, Bayern und | |
Baden-Württemberg dagegen wollen im Wesentlichen alles beim Alten lassen. | |
Das ist der falsche Weg, glaubt man Verbraucherschützerin Jaksche. "Das | |
Kontrollsystem ist zwar viel besser als im konventionellen Bereich", sagt | |
sie. Aber wenn Verbraucher für Bio bezahlen und konventionell bekommen, | |
lasse schnell die Akzeptanz nach. "Die Branche", meint Jaksche, "muss sich | |
ändern, um ihren guten Ruf zu schützen." | |
17 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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