# taz.de -- Studie aus Berlin: Antisemitismus in jedem Jugendclub | |
> Antijüdische Ressentiments bei muslimischen Jugendlichen werden durch den | |
> Nahost-Konflikt verschärft, stellt eine Studie über Jugendeinrichtungen | |
> in Berlin fest. | |
Bild: Eskalationen im Nahostkonflikt fördern Antisemitismus bei jungen Muslime… | |
BERLIN taz "Du Jude!" ist als Schimpfwort Alltag in vielen Jugendclubs. | |
"Das gehört zum guten Ton", sagt die Leiterin einer Jugendeinrichtung in | |
Berlin-Kreuzberg. Dort hat Amira, ein Projekt zu "Antisemitismus im Kontext | |
von Migration und Rassismus", insgesamt 40 MitarbeiterInnen aus | |
Jugendarbeit und Migrantenorganisationen befragt. Das Ergebnis: In fast | |
allen Jugendeinrichtungen in Berlins Multikulti-Bezirk gibt es | |
antisemitische Äußerungen, in Einzelfällen sogar gewalttätige Übergriffe. | |
Meist gehen sie von Jugendlichen mit arabischen oder palästinensischen | |
Wurzeln aus. | |
Cem Özdemir glaubt nicht, dass das eine Ausnahme ist. Antisemitische | |
Tendenzen bei Muslimen seien ein ernst zu nehmendes Problem, meint der | |
Bundesvorsitzende der Grünen. "Es gibt viele Spielarten des Antisemitismus, | |
und das ist eine davon", sagte er am Montagabend auf einer | |
Podiumsdiskussion in Berlin-Kreuzberg. Hintergrund war die Vorstellung | |
einer Broschüre zum Thema, die die Amadeu-Antonio-Stiftung herausgegeben | |
hat. Die AutorInnen sehen ein "neues Problemfeld, das in den großen urbanen | |
Wohnquartieren mit überwiegend muslimischer Wohnbevölkerung zu finden ist". | |
Wie groß das Problem wirklich ist, ist weitgehend unerforscht. Einen | |
Anhaltspunkt gibt eine Studie über "Muslime in Deutschland", die das | |
Bundesinnenministerium 2007 herausgegeben hat. Darin wurden 500 muslimische | |
SchülerInnen in einer Frage auch zu antisemitischen Ressentiments befragt. | |
Der Aussage "Menschen jüdischen Glaubens sind überheblich und geldgierig" | |
stimmten 15,7 Prozent zu. Bei den Deutschstämmigen waren es 5,4 Prozent. | |
Zudem steigt die Anzahl von antisemitischen Straftaten, für die muslimische | |
Tatverdächtige verantwortlich gemacht werden. Im Jahr 2006 waren es 88 - | |
doppelt so viele wie im Jahr zuvor. | |
Während das Thema häufig pauschal diskutiert wird, bemühten sich die | |
AutorInnen der Broschüre, von denen fünf neben Özdemir auf dem Podium | |
saßen, um Tiefgang. Mehrfach betonten sie, dass der Fokus hier zwar auf | |
muslimischen Jugendlichen liege, Antisemitismus aber mitnichten nur ihr | |
Problem sei. | |
Die AutorInnen sehen ein ganzes Bündel von Ursachen für das Problem. Eine | |
davon ist der Nahost-Konflikt. "Das ist der häufigste Grund für die | |
ablehnende Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden", sagte Mirko Niehoff von | |
der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die Bildungsarbeit in | |
Schulen macht. Mit dem eigentlichen Konflikt habe das, da waren sich die | |
ExpertInnen einig, aber nur begrenzt zu tun. "Dieser Konflikt wird auf die | |
eigene Identität projiziert", erläuterte Hanne Thoma vom American Jewish | |
Committee. "Das passiert, weil sich die Jugendlichen nicht auf Deutschland | |
beziehen können." Islamistische Organisationen, ergänzte Claudia Dantschke | |
vom Zentrum Demokratische Kultur, verstärkten diese Tendenz. "Die Botschaft | |
lautet: Wir Muslime sind die Ausgegrenzten in der ganzen Welt." Das sei | |
jüngst bei der von Milli Görüs organisierten Gaza-Demo gut zu beobachten | |
gewesen. | |
Wichtig für die pädagogische Arbeit sei, die individuellen Gründe der | |
Jugendlichen herauszufinden, sagte Thoma. Oft spiele Gruppendynamik eine | |
wichtige Rolle. "Und um die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu provozieren, | |
ist Antisemitismus ein sehr wirksames Mittel." Bei der Bekämpfung komme den | |
Schulen besondere Bedeutung zu, da sind sich die AutorInnen einig. Viel zu | |
häufig hörten Lehrer weg, wenn antisemitische Äußerungen fallen, an der | |
Auseinandersetzung seien zu wenige interessiert. Thoma: "Die Schulen setzen | |
andere Prioritäten." | |
24 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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