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# taz.de -- Medikamente für Gesunde: Markt für Lifestyle-Pillen boomt
> Pharmafirmen investieren vorwiegend in Arzneimittel für Gesunde. Ihnen
> winken so riesige Umsätze. Die Entwicklung von Medikamenten gegen
> Tropenkrankheiten wird vernachlässigt.
Bild: Schöne bunte Pillchen: Statt Malaria kurieren sie meist Alltägliches wi…
Zum Wachwerden nehmen einige Manager und Börsenmakler heute Modafinil
anstatt Kaffee. Die Pille wurde einst als Medikament gegen die
Schlafstörung Narkolepsie erdacht. Für mehr Spaß im Bett gibt es Viagra.
Und wer nicht immer lächelt, sollte erwägen, mit Prozac seine Stimmung
etwas aufzubessern.
Dass der moderne Mensch auf solche Lifestyle-Medikamente abfährt, zeigen
die Verkaufszahlen. Der Markt boom. So soll der Selbstmedikationsmarkt
(OTC) bis 2010 um 50 Prozent ansteigen, prognostiziert die Wiesbadener
Marketingberatung UGW. Lifestyle-Medikamente machen einen großen Teil des
OTC-Marktes aus. Im Jahr 2006 haben Männer in deutschen Apotheken für
Potenzmittel 120 Millionen Euro ausgegeben. Laut einer Umfrage des
Informationsdienstes NetDoktor hatte jedoch jeder dritte Käufer gar keine
krankhafte "erektile Dysfunktion".
Im März 2007 untersuchte die Stiftung Warentest den Gebrauch von
Schlankheitsmitteln. Das Ergebnis: Jeder Zweite hat versucht, mit
Fatburnern oder Appetitzüglern abzunehmen.
Aber warum werden Schönheitsfehler, Alterserscheinung oder Traurigkeit
heutzutage als Makel angesehen? Die Buchautorin Jacky Law ("Big Pharma",
Patmos 2007) glaubt, dies sei die Strategie der Pharmakonzerne, dies sei
Resultat jahrelanger subtiler PR-Arbeit. Dazu zählt: Werbung mit
Prominenten, Werbung mit jungen, offensichtlich gesunden Menschen,
erfolgreiche Verkaufsgespräche mit Ärzten, gut gemachte Pressetexte, die
teilweise unkritisch von Redaktionen übernommen werden oder auch die
klammheimliche Finanzierung von Selbsthilfegruppen.
Ein Trick der Industrie ist etwa, Einzelfälle zum Massenphänomen zu machen:
Pfizer bedient sich für den Verkauf von Viagra auf seiner Website zum
Beispiel Zahlen einer einzigen, methodisch fragwürdigen Studie und
extrapoliert diese für alle in den USA lebenden Männer. Demnach soll jeder
zweite US-Bürger über vierzig, das sind 18 Millionen Männer, laut der
Massachusetts Male Aging Study Potenzprobleme haben.
Joel Lexchin, Mediziner an der Universität in Toronto, meint: "Diese Zahl
ist so nicht haltbar, eine andere US-Studie spricht von 18 Prozent bei 50-
bis 59-Jährigen. In den Niederlanden klagten sogar nur 1 Prozent der über
50-Jährigen über echte Potenzprobleme."
Aber auch Ärzte und medizinische Fachgesellschaften steuern ihren Teil zur
"Medikalisierung" bei. Laut Allan Horwitz, Soziologe an der Rutgers
University in New Jersey, werden heute zunehmend Menschen für psychisch
krank erklärt, obwohl sie dies keineswegs sind.
Wie das geht? Im Jahr 1980 hat man das "Diagnostic and Statistical Manual
of Mental Disorders" (DSM), die Diagnostik-Bibel der Vereinigung der
Amerikanischen Psychiater, komplett erneuert. Die dritte Version des
Handbuches hat zwar das Fach Psychologie verwissenschaftlicht und einen
Konsens zwischen den zerstrittenen Schulen geschaffen, aber auch dazu
geführt, dass Seelenzustände Eingang fanden, die vorher als normal galten.
Heute stehen 297 Krankheiten im DSM-IV, vor 50 Jahren zählte das Manual
lediglich 106 Malaisen. Weil hier auch die Definition für die Depression
erweitert wurde, kam es in den vergangenen Jahren zu einem Nachfrageboom an
Psycho-Pillen.
Ein anderes Beispiel: Die International Association for Study on Obesity
(IASO) wurde mit Geldern von Arzneimittelherstellern in den 90er-Jahren aus
der Taufe gehoben. Genau diese Vereinigung hat kürzlich Deutschland zum
dicksten Land Europas gestempelt. Obwohl dies den Zahlen anderer
Fachgesellschaften, etwa des Robert-Koch-Instituts in Berlin, widerspricht.
Ray Moynihan, Wissenschaftsjournalist und bekannter Pharma-Kritiker ist
sich sicher: "Die Task Force der IASO hat das Ziel, Übergewicht zu einem
ernsthaften medizinischen Problem hochzustilisieren." Dafür würden
beispielsweise übergewichtige Kinder durch neue Definitionen zu
fettleibigen gemacht und damit zu potenziellen Konsumenten von Arzneien,
wenn eine Hungerkur nicht hilft - und dies ist fast immer Fall. Die IASO
entgegnet dem, sie habe nie ein Geheimnis aus dem Sponsorship gemacht und
die Empfehlungen seien unabhängig.
Für innovative Arzneimittel braucht es solche PR nicht. Wohl aber für
Präparate, die sich an der Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit
bewegen. Schließlich gilt es auch ein Markenbewusstsein zu schüren,
Stichwort Viagra, das als Synonym für Potenzmittel gilt. Weil die PR viel
Geld kostet, wird nun bei der Forschung geknausert.
Norbert Schmacke, Gesundheitsforscher an der Uni Bremen, bestätigt dies
gegenüber der taz. "Genaue Zahlen gibt es dazu nicht, weil große
Pharmaunternehmen ihr Marketingbudget nur teilweise offenlegen", so
Schmacke. Der Gesundheitsexperte sieht dahinter einen großen,
problematischen Trend: "Die Arzneimittelentwicklung wird auf überwiegend
gesunde Menschen ausgerichtet - alle sind am Ende Patienten."
Auch Dritte-Welt-Gruppen beobachten diesen Trend mit Argusaugen, weil das
die Entwicklung für "echte" Arzneien behindere: "Im Jahr 2000 waren
beispielsweise nur zwei Medikamente gegen Tropenkrankheiten in der
Erforschungsphase, dafür acht gegen Impotenz und sieben gegen
Fettleibigkeit", so Christiane Fischer von der Buko-Pharma-Kampagne.
27 Feb 2009
## AUTOREN
Kathrin Burger
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