Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ort zum Überleben: Verbote im Paradies
> Auf die Ökoinsel Fernando de Noronha, Nationalpark im Nordosten
> Brasiliens, darf nur ziehen, wer dort einen Job oder einen Lebenspartner
> hat. Die anderen kommen als Touristen: Surfer, Naturfreaks und
> ökobewusste Menschen aus dem reichen Süden Brasiliens oder aus dem
> Ausland
Bild: Gut gebettet in schöner Landschaft
Deca wohnt mit Fernando und Marcia und Rodolpho und Adriana zusammen. Nein,
das ist keine Wohngemeinschaft. Wohngemeinschaften sind in Brasilien selbst
in Großstädten nicht besonders angesagt - auf kleinen Inseln mitten im
Atlantik haben die meisten das Wort noch nie gehört. Decas Mitbewohner sind
ihr Exmann mit seiner Neuen und ihr Sohn mit seiner Aktuellen. Nein, das
findet Deca gar nicht toll. Vorwurfsvoll zeigt sie auf die Wäscheleine
hinter dem Haus, an der ein paar bunte Damenslips baumeln: "Die sind von
ihr! Die lässt sie gerne tagelang hängen, nur um mich zu provozieren." Wie
lange Deca noch mit der ungeliebten Großfamilie wohnen wird, weiß sie
nicht. So lange jedenfalls, bis endlich einer eine zusätzliche
Baugenehmigung bekommt. Das kann dauern.
Trotz der beengten Wohnverhältnisse wird Deca oft beneidet. Weil sie auf
der Ökoinsel Fernando de Noronha lebt, die viele für ein Paradies halten.
So sieht sie auch aus, gleich wenn man aus dem Flugzeug steigt: Das Wasser
leuchtet türkis, ist klar wie eine Quelle und liegt glatt wie ein See. Die
Farben leuchten wie in einem Traum. Weiße Gischt sprüht auf den feinen
goldgelben Sand, der an manchen Stellen rosa schimmert. Weiße
Schäfchenwolken schweben faul am blauen Himmel und stören sich nicht an den
schroffen Lavafelsen, die in Rostbraun, Grauviolett und Silberblau daran
erinnern, wie vor mehr als zwölf Millionen Jahren ein Vulkan mit einem
gewaltigen Husten das Eiland aus dem Wasser gespuckt hat. In kleinen
Felsbecken wuseln Krebse, tummeln sich Fische, Möwen kreischen fröhlich und
lassen sich vom Wind davontragen.
Fernando de Noronha ist mit knapp 18 Quadratkilometer Fläche kleiner als
die Nordseeinsel Amrum, sie reicht 4.000 Meter unter die Wasseroberfläche
und bis zu 300 Meter in den Himmel hinauf. Es wohnen kaum mehr als 2.000
Menschen hier. Mehr sollen es auch nicht werden. Wenn eine Insel erst zum
Nationalpark erklärt und dann für den Tourismus entdeckt wird, freuen sich
die Urlauber und ärgern sich die Insulaner. Sie dürfen nichts mehr so
machen, wie sie wollen, weder bauen, noch fischen, noch sich scheiden
lassen. Seit 1988 sind 70 Prozent der Fläche von Fernando de Noronha als
Nationalpark geschützt, es darf nur zuziehen, wer als Arbeitskraft von
einem auf der Insel ansässigen Unternehmen angefordert wird oder wer in
eine Inselfamilie einheiratet.
Deca hat damals einen Insulaner geheiratet. Eben den, mit dem sie immer
noch zusammenwohnt. Inzwischen hat sie einen Job in der Inselverwaltung
ergattert und gilt selbst fast als Einheimische. Man fühlt sich schnell
zuhause auf den schroffen paar Quadratkilometern mitten im Atlantik. Hier
gibt es kein Gefängnis und keine Disco, kein Shoppingcenter und keinen
Pfarrer. Kriminalität und Arbeitslosigkeit sind verschwindend gering. Der
Richter macht eine Woche pro Monat Dienst und hat dann um die fünf
Zivilfälle zu verhandeln, Anwälte haben sich auf der Insel gar nicht erst
niedergelassen. Die Statistik sagt: Für 2.000 Einwohner gibt es über 700
Autos, im Jahr 20 Hochzeiten und nur eine Scheidung, alle Kinder gehen zur
Schule, fast alle Erwachsenen arbeiten im Tourismus, 95 Prozent der
Bevölkerung sind mit dem Naturschutz einverstanden, der Müll wird recycelt
oder abtransportiert, die Entsalzungsanlage erweitert. Kein Wunder, dass
heute nicht einmal die Jugend weg will.
Bobby ist 20 Jahre alt. Er ist auf der Insel geboren und aufgewachsen, war
nur zwischendurch mehrere Jahre weg, weil er auf dem Festland Abitur
gemacht hat. Jetzt will ihn die Inselverwaltung nicht mehr als
Einheimischen anerkennen. Dabei kann sich Bobby ein Leben anderswo gar
nicht vorstellen. Jeden Morgen läuft er die paar Schritte zum Hafen und
macht das Boot klar, bevor die ersten Touristen kommen. Der Junge mit dem
strahlenden Lachen und den wilden Rastalocken leitet Tauchausflüge der
besonderen Art: Planasub heißt das Verfahren, das hier auf der Insel
erfunden wurde. Dabei lässt sich der Taucher von einem Boot langsam
schleppen und hält sich an einer ergonomisch geformten Art
Windschutzscheibe aus Plexiglas fest, mit der er ohne Kraftanstrengung
lenken, ab- und wieder auftauchen kann. Bobby dreht damit Pirouetten im
türkisblauen Wasser, als sei er mit dem Ding in der Hand geboren worden.
Nach dem täglichen Tauchgang serviert er im Hafenrestaurant Tuba-Burger.
Der Name kommt von "Tubarão", Portugiesisch für Hai - denn damit sind die
Sandwiches belegt.
Wenn er frei hat, geht Bobby surfen. Mit seinen Freunden aus der ganzen
Welt. Weil sich längst herumgesprochen hat, dass das Meer an dieser
winzigen Insel fast so hohe Wellen macht wie bei Hawai, kommen Surfer,
Naturfreaks und einfach nur ökobewusste Menschen aus dem reichen Süden
Brasiliens und aus dem Ausland auf die Insel. Sie surfen und tauchen mit
Bobby, umrunden die Insel im Kajak, wandern über die kargen Hügel.
Vergessen, dass es Hochhäuser und Kinos und Großstädte gibt. Mischen sich
in der Pizzeria am Platz unter die Einheimischen. Tanzen in der Bar do
Cachorro den wilden urbrasilianischen Tanz Forró, wenn alle anderen Kneipen
längst geschlossen haben. Viel Auswahl gibt es ohnehin nicht. Aber gerade
das macht den Reiz des Insellebens aus. Internationale Stars wie Leonardo
DiCaprio und Matt Damon sollen sich in die Insel verliebt haben. Der
bestbezahlte TV-Moderator Brasiliens hat gleich mit ein paar Freunden einen
Traum von einem Hotel aus Bambus und Palmstroh, aus Glas und Natursteinen
an die einsame Bucht Baia do Sueste gesetzt.
Wieso hat der Moderator eine Baugenehmigung bekommt und Decas Exmann nicht?
Eine offizielle Erklärung gibt es nicht. Aber die Gegensätze sind größer
geworden auf der Insel. Früher war das Versorgungsschiff die einzige
Ablenkung, wenn es auf den Wellen über das Meer herangetanzt kam, mit einer
Ladung Hühner vielleicht oder wenigstens einem Brief aus der Ferne. Weil es
keine Quellen, wenig Niederschlag und viel knochenharten Lehmboden gibt,
liegen in den drei Insel-Supermärkten bis heute nur ein paar angefaulte
Tomaten und ein paar Tüten Trockenmilchpulver, wenn die See mal wieder
besonders rau war. Für die gut zahlenden Touristen gibt es jederzeit Sushi
und echten Mozzarella. Die Freunde des TV-Stars kommen im Privatjet mal
schnell übers Wochenende vorbei, während manche Insulaner tagsüber Taxi
fahren, abends Websites basteln und am Wochenende als Nachtportier in einer
Pension stehen, um sich das Leben auf der Insel leisten zu können.
Früher war Noronha ein Lebensstil, sagen manche, heute ist es ein Ort zum
Überleben. Deca überlebt gern hier, auch wenn ihr Lohn bei der Verwaltung
nicht gerade üppig ist. Gelegentlich bekommt sie frische Fische von ihrem
Nachbarn geschenkt, im Garten zieht sie ein paar Tomaten, und manchmal hat
sie sogar Zeit für einen Ausflug. Dann fährt sie am liebsten zum Strand
Praia do Americano, wo die Sonne abends so wunderbar glutrot zwischen den
Zwillingsfelsen, Morro Dois Irmãos, im Wasser versinkt, und träumt von
einer neuen Liebe. Irgendwann wird sie kommen, ganz bestimmt. Und
irgendwann wird auch ihr Ex endlich ausziehen.
28 Feb 2009
## AUTOREN
Christine Wollowski
## TAGS
Reiseland Brasilien
Spanien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sorge um Surfparadies: Die Wut der Wellenreiter
Am Strand in Mundaka soll Sand aufgeschüttet werden. Surfer aus der ganzen
Welt fürchten nun um die berühmte Linkswelle.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.