# taz.de -- Besetztes Tibet: Höflich unterdrückt | |
> Die Präsenz des chinesischen Militärs schüchtert die einheimische | |
> Bevölkerung in Tibet ein - und lähmt das öffentliche Leben. | |
Bild: Würde sich lieber von den Lamas als von China beherrschen lassen: Tibeta… | |
Es ist fast genau ein Jahr her, dass sie sich zum letzten Mal trafen: | |
Duojie*, der tibetische Tänzer, und Ciren, der tibetische Student. Damals | |
hat sie der Aufstand der tibetischen Mönche zusammengebracht, heute eint | |
sie die Angst vor der chinesischen Staatsgewalt. "Wir sind extrem nervös. | |
Ich kenne sonst keinen Tibeter, der es im Augenblick wagt, mit einem | |
Ausländer zu reden", sagt Ciren. | |
Sie treffen sich im Tibetancool International Club von Lanzhou, der | |
Hauptstadt der westchinesischen Provinz Gansu. Ein Aufzug bringt sie in den | |
siebten Stock. Vor ihnen öffnet sich ein langer Gang, der mit goldenen | |
Gebetsmühlen aus Plastik dekoriert ist. Sie wählen ein Séparée mit | |
Karaoke-Ausstattung und legen eine tibetische Video-CD auf. Auf einem | |
Großbildschirm spielt eine Band aus dem autonomen tibetischen Bezirk Gannan | |
in Süd-Gansu. Sie singt vom blauen Himmel über dem tibetischen Hochland und | |
der Hoffnung auf eine reine Seele. Doch Ciren und Duojie hören nicht hin. | |
Sie sagen, dass sie die Musik laut stellen, damit das chinesische | |
Dienstpersonal draußen im Gang nicht verstehen könne, was sie reden. | |
Ciren und Duojie sind sich unsicher, was am heutigen Tag geschehen wird. In | |
Gannan sei die Lage so gespannt, dass er nicht mehr wage, dort anzurufen, | |
berichtet Duojie. Ciren hat vor wenigen Tagen das tibetische Neujahr bei | |
seinen Eltern in einem tibetischen Kreis der Provinz Sichuan gefeiert. Er | |
erzählt, dass seine Familie und die Nachbarn nicht wagten, an den üblichen | |
buddhistischen Zeremonien während der Feiertage teilzunehmen. Nicht aus | |
Protest, wie es die tibetische Exilbewegung gerne sehen will, weil die | |
Zeremonien offiziell abgesegnet waren. Sondern ganz einfach, weil man den | |
Verhältnissen nicht traut. Überall in den tibetischen Siedlungsgebieten sei | |
die Präsenz der chinesischen Sicherheitskräfte unübersehbar und wirke auf | |
die tibetische Bevölkerung einschüchternd, stimmen Ciren und Duojie | |
überein. "Sie fragen nach Pässen, sie patrouillieren mit ihren | |
Militärfahrzeugen in den Hauptstraßen, sie machen Manöverübungen. Sie sind | |
höflich. Man kann nicht sagen, dass sie die Leute konkret belästigen. Aber | |
alle denken, dass sie da sind, um uns zu unterdrücken", sagt Ciren. | |
Noch vor einem Jahr hätten sich die beiden nicht vorstellen können, dass | |
die Lage so eskaliert. Damals waren am 10. März die Mönche der großen | |
Klöster in Lhasa, der Hauptstadt der Autonomen Region Tibet, auf die Straße | |
gegangen. Ihr Protest war mit der Exilbewegung abgestimmt, es sollte die | |
Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit im chinesischen Olympia-Jahr genutzt | |
werden. Ciren und Duojie sympathisierten. Als die chinesische | |
Sicherheitskräfte die Mönche zurück in ihre Klöster drängten und von der | |
Öffentlichkeit abriegelten, organisierten die tibetischen Studenten an der | |
Minderheitenuniversität von Lanzhou eine öffentliche Mahnwache. Ciren war | |
mit dabei. | |
Dann kam der 14. März, der Aufstand von Lhasa. Wer ihn entfachte, darüber | |
wird bis heute gestritten. Augenzeugen berichteten damals der taz, dass | |
radikale tibetische Studenten den gewalttätigen Protest im alten | |
Tempelbezirk von Lhasa anzettelten. Von der Exilbewegung aber wird bis | |
heute behauptet, dass es chinesische Agenten waren, die sich als Mönche | |
verkleidet hatten, wodurch das Verhängnis seinen Lauf nahm. Denn der | |
Protest eskalierte an diesem Tag zur antichinesischen Gewaltorgie, bei dem | |
19 Chinesen starben und der Großteil der chinesischen Geschäfte in Lhasa | |
verwüstet wurde. Bis heute dient nun der 14. März Peking zur Rechtfertigung | |
sämtlicher Repressionsmaßnahmen in den tibetischen Gebieten. | |
Anfänglich behauptete die Exilbewegung, dass am 14. März auch viele Tibeter | |
ums Leben gekommen waren. Das bestätigte sich nicht. Doch geht die Bewegung | |
inzwischen davon aus, dass im Zuge der chinesischen Gegenmaßnahmen in den | |
letzten zwölf Monaten 220 Tibeter getötet, 1.300 verletzt und 7.000 | |
zeitweise verhaftet wurden. Überprüfbar sind diese Angaben genauso wenig | |
wie vor einem Jahr, als sie falsch waren. China bestreitet sie rundherum. | |
Offiziell wurde lediglich bestätigt, dass nach dem Aufstand im letzten Jahr | |
in Lhasa 953 Tibeter festgenommen, von ihnen 76 verurteilt und die übrigen | |
wieder freigelassen wurden. | |
Doch wie hoch auch immer die Opferzahlen sein mögen - es gibt keinen | |
Zweifel an der seit einem Jahr völlig veränderten Lage in den tibetischen | |
Gebieten. "Vor den Ereignissen im letzten März ließen uns die Chinesen in | |
Ruhe. Sie investierten sogar in Tibet", erinnert sich Ciren. Er berichtet, | |
wie wichtig in dieser Zeit der chinesische und ausländische Tourismus als | |
Einkommen für viele Tibeter geworden wäre. Alles was die Chinesen heute in | |
Tibet machten, diene nur noch ihren Sicherheitsinteressen. | |
Für die in Peking lebende, international bekannte tibetische Autorin Woeser | |
hat sich damit der wahre Charakter der chinesisch-tibetische Beziehungen | |
enthüllt: "Das Tibet-Ereignis hat den Schleier enthüllt. Früher sahen sich | |
die Tibeter als Günstlinge der Chinesen, aber sie wurden nur wie Haustiere | |
geliebt. Die Wahrheit ist, dass den Tibetern, wenn sie wie Menschen | |
behandelt werden möchten, der Garaus gemacht wird", sagt Woeser. Die | |
Gegenmeinung vertritt der KP-nahe tibetische Anthropologe Gelek: "Dass sich | |
vor manchen Gedenktagen die Beziehungen zwischen Chinesen und Tibetern | |
verschlechtern, ist nur Ausdruck eines politischen Kampfes zwischen dem | |
Dalai Lama und der Pekinger Zentralregierung. Aber im tibetischen Alltag | |
spürt man das nicht. Den meisten Tibetern ist ideologisches Denken fremd. | |
Sie begrüßen die vielen materiellen Verbesserungen der letzten Jahre," sagt | |
Gelek. Für die jungen Tibeter Ciren und Duojie ist es nicht einfach, sich | |
in diesem Streit auf eine Seite zu schlagen. "Der Aufstand im letzten Jahr | |
hat unsere Herzen beruhigt, aber er hat uns im Leben nicht weitergeholfen", | |
sagt Duojie. | |
* Namen geändert | |
10 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Georg Blume | |
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