# taz.de -- Religions-Debatte: Dann geht doch in die Kirche! | |
> Über das Schulfach Religion diskutieren in Bremen Parteien und Kirchen. | |
> Letztere finden, Muslime und Christen sollten besser getrennt | |
> unterrichtet werden. An der Realität geht eine solche Haltung vorbei, wie | |
> ein Unterrichtsbesuch in einem Multikulti-Gymnasium am Stadtrand zeigt. | |
Bild: Eine Gewissensentscheidung? Die Religionslehrerin Christine Grewe will Mu… | |
"Lächerlich", sagt Jasmina und sieht dabei nicht aus, als wäre ihr zum | |
Lachen zumute. Dazu ist der 19-Jährigen das Anliegen, für das sie und 20 | |
weitere Schüler und Schülerinnen eines Bremer Gymnasiums gerade freiwillig | |
ihre große Pause opfern, zu wichtig. In ihrer Stadt ringen Parteien und | |
Glaubensgemeinschaften um die Zukunft des Religionsunterrichts. Jasmina | |
hofft, dass sich die Grünen durchsetzen werden mit ihrer Forderung nach | |
einer allgemeinen neutralen Religionskunde. Und nicht die Katholische und | |
die Evangelische Kirche, die CDU und einzelne, aber einflussreiche | |
SPD-Mitglieder. | |
Denn wenn es nach diesen ginge, dann gäbe es keinen gemeinsamen Unterricht | |
von Muslimen und Christen. Dann würde Jasmina, deren Eltern aus dem Iran | |
stammen, in Islamkunde unterrichtet. Rebecca und Martha hingegen, mit denen | |
sie eben in der Stunde noch über Gewissensentscheidungen diskutiert hat, | |
hätten Biblische Geschichte, wie Religionsunterricht in Bremen genannt | |
wird. Oder könnten sich wie die Religionslosen, die Hinduisten, Buddhisten | |
und Sikhs, die ebenfalls diese Schule am südlichen Stadtrand besuchen, | |
zwischen den beiden Fächern und Philosophie entscheiden. | |
Lächerlich findet Jasmina die Behauptung der Kirchenleitungen, sie würden | |
damit in ihrem Interesse handeln. Kinder und Jugendliche hätten ein Recht | |
auf eine "authentische" Darstellung "ihrer" jeweiligen Religion, sagt der | |
Schriftführer der evangelischen Kirche und der Propst der Katholischen | |
Kirche wünscht sich, dass nur Lehrer unterrichten, die die jeweilige | |
"Religion von Innen" kennen. Eine glaubensneutrale Religionskunde, so ihr | |
zentrales - man könnte auch sagen, ihr einziges Argument - wäre zu | |
oberflächlich. | |
Jasmina ist fassungslos. "Wenn ich etwas über meine Religion erfahren will, | |
dann gehe ich in die Kirche oder in die Moschee, in der Schule hat das | |
nichts zu suchen", kontert sie. Die anderen in der Runde nicken. Junge | |
Frauen und Männer zwischen 16 und 19 Jahren, einige sind sehr religiös, | |
andere weniger oder gar nicht. Katholiken, Atheisten, Protestanten, | |
Muslime, Russisch-Orthodoxe, Aleviten. Sie sitzen hier im vierten Stock des | |
Betonklotzes des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums, weil die drei | |
Religionslehrerinnen der Schule in ihren Oberstufen-Klassen gefragt haben, | |
wer seine Meinung zum Thema Religionskunde sagen möchte. Manche konnten | |
oder wollten nicht persönlich kommen, haben aber ihre Gedanken | |
aufgeschrieben, auch die von Siebtklässlern sind dabei. Einige wenige | |
finden Religionsunterricht überflüssig. Aber auch sie sagen: Wenn es ihn | |
gibt, dann bitte für alle zusammen. | |
Die Trennung in "Wir Muslime" und "Wir Christen", wie Adnan es nennt, würde | |
die Kluft zwischen den ohnehin oft getrennt auftretenden Gruppen nur | |
vergrößern. "Da halten sich dann die einen für besser als die anderen", | |
befürchtet der aus Serbien-Montenegro stammende 19-jährige Muslim. Er ist | |
wie die anderen hier überzeugt, dass der gemeinsame Religionsunterricht, so | |
wie sie ihn in der Oberstufe kennen gelernt haben, hilft "Vorurteile | |
abzubauen". Die Kirchenvertreter sprechen ihnen das ab. Sie sagen, man | |
könne sich erst mit Andersgläubigen auseinander setzen, wenn man seine | |
eigene Religion kenne. | |
Deutlich wird an diesem Vormittag: Die Kirchen wollen etwas anderes als die | |
Jugendlichen. Die einen wollen Religiosität üben, die Glaubenszugehörigkeit | |
festigen. Jasmina, Adnan und die anderen wollen Verständigung. "Darauf | |
könnte man doch stolz sein, wenn Religionsunterricht Integration fördert!", | |
ruft Yasemin, eine 18-jährige Muslima. "Es ist doch so: Das Unbekannte und | |
Fremde macht Angst. Wenn man miteinander spricht, merkt man, dass es gar | |
nicht so schlimm ist." | |
Dabei scheint es vor allem darum zu gehen, dass "die Deutschen" die Angst | |
vor den anderen Deutschen, denen mit muslimischem Glauben, verlieren. Ob | |
sie eigene Vorurteile abgelegt hätten, können Jasmina und Adnan, die sonst | |
zu jedem Thema eine Meinung zu haben scheinen und diese klug vertreten | |
können, nicht beantworten. Beide sind sich aber sicher, dass das Bild, dass | |
die Nicht-Muslime von ihnen haben, ihnen jetzt gerechter wird. "Die | |
Deutschen im Kurs dachten vorher, ihr seid viel strenger und wissen jetzt, | |
dass wir genau so offen sind", sagt Jasmina. | |
Ihre Lehrerin Christine Grewe bestätigt den Eindruck, dass der Unterricht | |
integrierend wirkt. Seit neun Jahren unterrichtet sie Religion, oft genug | |
hat sie erlebt, wie die Auseinandersetzung mit den Positionen des anderen | |
eine Verständigung möglich machte und manchmal auch ein Umdenken bewirkte - | |
auf beiden Seiten. "Die Widersprüche und Konflikte bleiben, aber sie | |
lernen, sie auszuhalten", hat die 40-Jährige an ihren Schülern beobachtet. | |
Manchmal muss sie - wie in dieser Doppelstunde vor der Pause - die | |
Diskussion um die heißen Themen vertagen, weil die Zeit fehlt. Über das | |
Gewissen und den Grundsatz der Gewissensfreiheit hatte sie mit den | |
Zwölftklässlern gesprochen. Die Debatte gewinnt an Schwung, nachdem Grewe | |
das Beispiel der Ärztin gebracht hat, die aus Gewissensgründen keinen | |
Schwangerschaftsabbruch vornehmen möchte. Eine Schülerin meldet sich und | |
spricht von einem muslimischen Mädchen, das "aus Versehen" schwanger | |
geworden ist. "Warum eigentlich muslimisch?", rufen Mitschüler dazwischen. | |
Die Schülerin ist verunsichert und bricht ihren Gedanken ab. Dafür muss | |
Adnan jetzt dringend etwas loswerden, er schnipst mit den Fingern. "Ich | |
könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, jemand das Leben zu | |
nehmen", sagt er, aus dem manchmal Sätze kommen, die so wenig zu seinem | |
Äußeren zu passen scheinen. Den Kragen seines weißen kurzärmligen Hemdes | |
mit Schulterklappen hat er hoch gestellt, um den Hals blitzt eine | |
Silberkette und dann sagt er: "Ich versuche seit zwei Jahren so tugendhaft | |
wie möglich zu leben und mehr mit dem Herzen zu denken." Oder: "Heutzutage | |
verliert jeder sein moralisch-ethisches Denken." Er sagt das ganz ernsthaft | |
und genau so ernsthaft gehen seine Mitschüler damit um. | |
Grewe unterbricht die Diskussion zu Abtreibung, bevor sie nicht mehr | |
stoppen ist. "Das führt zu weit weg, das Thema machen wir später", sagt | |
sie. "Jaja, und Schwulenehe auch", spottet ein Mädchen. Homosexualität, das | |
ist eins der Themen, bei denen sie sich regelmäßig in die Haare kriegen, | |
wie ein Schüler bestätigt. "Und Frauenrechte." | |
Später, in der Pause, die sich weit in die nächste Stunde hinein zieht, | |
betonen die Schüler die Gemeinsamkeiten, die ineinander verwobene | |
Geschichte von Christen und Muslimen. Vor allem die muslimischen Schüler | |
sind irritiert, dass die beiden Kolleginnen Grewes das allzu harmonische | |
Bild zurecht rücken und von heftigen Auseinandersetzungen berichten. Vom | |
alltäglich auf dem Schulhof gebrauchten Schimpfwort "Du Jude", das nicht | |
nur "die Kleinen" verwenden, die noch keinen Religionsunterricht hatten und | |
es nicht besser wissen. Wollen sie etwas unter den Teppich kehren? Nein. | |
Sie haben Angst, dass der - falsche - Eindruck entsteht, sie stünden sich | |
unversöhnlich auf zwei Seiten eines Grabens gegenüber. Grewe, bei der sie | |
sich später beschweren, versteht die Reaktion. "Die muslimischen Schüler | |
sind sehr empfindlich bei dem Thema", sagt sie, "weil sie sich permanent | |
ausgegrenzt fühlen, als nicht dazugehörig". | |
Aber auch Grewe ist geladen. Sie, die mit Leidenschaft Religion | |
unterrichtet, ärgert sich über die Vorstellung, sie und ihre Kollegen und | |
Kolleginnen könnten mit einer Zielvorgabe unterrichten, Kindern und | |
Jugendlichen die rechte Religionszugehörigkeit eintrichtern. "Das ist | |
absurd", schimpft die freundliche, eher ruhige Frau, "die Religiösität | |
eines Lehrers kann doch kein Kriterium für einen qualifizierten Unterricht | |
sein!". Sie ist froh, dass sie nur sehr selten von Schülern nach ihrem | |
eigenen Glauben und ihrer Religiösität gefragt wird. "Sie sollen doch ihre | |
eigene Position finden." | |
Jasmina hingegen ist froh, eine Lehrerin wie Christine Grewe zu haben. "Ich | |
möchte nicht, dass da jemand steht, der mich danach beurteilt, ob ich ein | |
Kopftuch trage oder nicht." | |
26 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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