# taz.de -- Schauspieler Jaecki Schwarz über DDR: "Homosexualität wurde nicht… | |
> Aufklärung - das ist das Stichwort für Schauspieler und | |
> "Polizeiruf"-Kommissar Jaecki Schwarz. Egal ob es um Homosexualität oder | |
> Alkoholsucht geht. | |
Bild: "Die Ignoranz nimmt zu": Jaecki Schwarz. | |
Wer Jaecki Schwarz besuchen möchte, muss hoch hinaus. Der Schauspieler | |
wohnt im achten Stock eines modernen Neubaus in unmittelbarer Nähe der | |
Berliner Friedrichstraße. Glücklicherweise gibt es einen Aufzug. | |
Auf dem Klingelschild ein kleines, gelbes Herz, in der Garderobe eine | |
Polizeimütze. "Der Landesverband Sachsen der Deutschen Polizeigewerkschaft | |
hat Wolfgang Winkler und mich im Jahr 2006 für unsere ,Polizeiruf'-Arbeit | |
zu Ehrenkommissaren ernannt", erklärt Schwarz stolz. | |
taz: Herr Schwarz, im November jährt sich der Mauerfall zum 20. Mal. Sie | |
wurden 1946 in Berlin geboren und haben die Stadt nie für längere Zeit | |
verlassen. Gefällt Ihnen, wie sich Berlin seit der Wiedervereinigung | |
verändert hat? | |
Jaecki Schwarz: Natürlich, auf jeden Fall. Es klingt wahrscheinlich nach | |
Klischee, aber es ist wirklich spannend, in dieser Stadt zu wohnen. Ich bin | |
Berliner mit Leib und Seele und könnte mir nicht vorstellen, in irgendeiner | |
anderen Stadt zu leben. | |
Sie haben bis zum Mauerfall in der DDR gelebt. Haben Sie nie mit dem | |
Gedanken gespielt, zu flüchten? Durch Ihre zahlreichen Gastspiele im Westen | |
hätten Sie ja sogar die Möglichkeit dazu gehabt … | |
Das ist richtig, ich hatte jedes Jahr zweimal die Möglichkeit, die DDR zu | |
verlassen, aber gerade deshalb hat sich nie ein fester Termin für eine | |
Ausreise ergeben. Hätte man mir gesagt, dass ich nur einmal rauskomme, dann | |
hätte ich mich darauf natürlich vorbereitet und hätte diese Gelegenheit | |
wahrgenommen. Aber ich habe es immer aufgeschoben: bestimmt beim nächsten | |
Gastspiel, habe ich mir dann gesagt, noch ist es daheim erträglich. Wir | |
hatten am Theater doch einen gewissen Freiraum. Man hat uns zwar | |
beobachtet, und wir kannten unsere Stasifritzen, aber man hat uns in Ruhe | |
gelassen. | |
Der Beruf des Schauspielers war in der DDR privilegiert? | |
Ja, und das Berliner Ensemble, an dem ich ab 1974 engagiert gewesen bin, | |
war ein privilegiertes Theater. Dadurch, dass man jedes Jahr die DDR für | |
Gastspiele verlassen konnte, hatte man die Möglichkeit, Urlaub in | |
Jugoslawien zu machen, in Kanada, Südamerika, Israel, Italien oder | |
Edinburgh. Wir haben somit nach der Maueröffnung auch keinen Kulturschock | |
erlebt, weil wir schon vorher wussten, wie es im Westen zugeht und dass es | |
dort eben nicht so aussieht wie im Werbefernsehen. Und ich war mit meiner | |
künstlerischen Arbeit zufrieden. Man darf nicht vergessen, dass andere | |
Schauspieler künstlerisch eingeengt waren. Manfred Krug zum Beispiel hat | |
man wirklich hinausgegrault, aber bei mir war die Obergrenze der | |
Unterdrückung noch nicht erreicht. | |
Beim Mauerfall waren Sie im Krankenhaus - nach einem Alkoholexzess. Wissen | |
Sie noch, wann und wie Sie realisiert haben, dass die Mauer tatsächlich weg | |
ist? | |
Irgendwie habe ich den Mauerfall erst realisiert, als mich meine Mutter im | |
Krankenhaus besuchte, mir Bananen und Apfelsinen mitbrachte und ich sie | |
ungläubig fragte, wie sie denn an diese Südfrüchte käme, schließlich sei | |
erst November und noch nicht Weihnachten. Und als sie mir dann erklärte, | |
dass die Mauer gefallen sei, konnte ich gar nicht mehr sagen als ein | |
erstauntes "Ach!". | |
Sie gehen sehr offen mit der Tatsache um, dass Sie früher ein großes | |
Alkoholproblem hatten. | |
Warum sollte man es verheimlichen? Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit | |
und doch kein Makel. Ich denke, wenn man prominent ist, hat man auch so | |
eine Art Vorbildcharakter und kann den Leuten damit zeigen, dass es eben | |
nicht nur Menschen gibt, die wieder rückfällig werden, sondern auch welche, | |
die vom Alkohol loskommen. Mein Anliegen ist es, dass sich die Leute sagen: | |
"Ach, kiek mal, da gibts eenen, der schafft dett. Warum soll ick es denn | |
nich och schaffen, wenn dett son popliger Schauspieler schafft?" | |
Jaecki Schwarz sieht, dass sein Gegenüber keine Schuhe an den Füßen hat: | |
"Sagen Sie mal, haben Sie die Schuhe etwa an der Garderobe ausgezogen? Das | |
ist doch nicht nötig." Schwarz springt auf und verschwindet im Flur, | |
gedämpft dringt seine Stimme ins Wohnzimmer: "Das habe ich gar nicht | |
mitbekommen. Also im Prinzip werden die Schuhe hier angelassen." Er kommt | |
mit zwei weißen Hausschlappen zurück. "So, bitte schön, hier haben Sie zwei | |
Schluppis". Er setzt sich wieder. | |
Mit der Defa-Produktion "Ich war neunzehn" erlangten Sie 1968 gewissermaßen | |
über Nacht Berühmtheit. Glauben Sie, dass Ihnen auch ohne diesen Film der | |
Durchbruch gelungen wäre? | |
Das ist schwer zu sagen. Der Film hat mir natürlich insofern genutzt, als | |
ich durch ihn wirklich von einem Tag auf den anderen bekannt wurde - zwar | |
nur in der DDR, aber auch das war selbstverständlich schon ein großer | |
Schritt. | |
Anna Maria Mühe, die Tochter Ihrer damaligen Filmpartnerin Jenny Gröllmann, | |
sagt, dass sie sich selbst noch nicht als Schauspielerin bezeichnen würde, | |
weil sie noch am Beginn dieses Berufs stehe … | |
Ich finde diese Einstellung bewundernswert, weil sie so selten ist. Wenn | |
man die Schauspielschule verlässt, ist man noch kein Schauspieler, und | |
deshalb sind Laien, die in Serien und Soaps auftreten, für mich auch keine | |
Schauspieler. Der Beruf ist nicht geschützt - jeder, der einmal vor drei | |
Menschen auf einem Nudelbrett gestanden oder in einem Film eine Wurze | |
gespielt hat, kann sich Schauspieler nennen. Ich bin der festen | |
Überzeugung, dass man in diesem Beruf nie ganz fertig ist, man lernt ein | |
Leben lang. Und gerade das finde ich schön, weil es kein fest vorgegebenes | |
Ende gibt. Je älter man wird, desto mehr wächst man in ein anderes | |
Rollenfach, man wird erfahrener und spielt dadurch auch anders. | |
Sie sind Mitglied im Kuratorium der Organisation Queer Nations, die sich | |
für die Gründung eines Magnus-Hirschfeld-Instituts als Forschungs- und | |
"Erinnerungsstätte der Homosexualitäten" in Berlin-Mitte einsetzt. Warum | |
liegt Ihnen diese Arbeit am Herzen? | |
Ich denke, dass es immer noch einer großen Aufklärung bedarf, was | |
Homosexualität in der Gesellschaft anbelangt. Es wird nicht besser, es wird | |
schlimmer - Ignoranz und Intoleranz nehmen zu. Und meiner Überzeugung nach | |
geschieht dies vor allem, weil es an Aufklärung mangelt. Das Thema muss in | |
der Öffentlichkeit angesprochen, thematisiert und verbreitet werden und | |
darf nicht verklemmt in Hinterzimmern stecken bleiben. Man muss mit dem | |
Thema Homosexualität in die Schulen, man muss sich damit wissenschaftlich | |
auseinandersetzen - je eher, desto besser. Man muss den Kindern schon im | |
jungen Alter erklären, dass Homosexualität etwas Normales ist und keine | |
Krankheit. | |
Das Berliner Stadtmagazin zitty schrieb vor einigen Wochen zum Thema | |
homophobe Gewalt: "Noch immer wird so getan, als ginge es um Angriffe auf | |
eine Minderheit, dabei richten sich die Angriffe gegen die ganze Stadt." | |
Ja, so ist es. Und wie gesagt: Das hat meiner Meinung nach alles mit | |
Bildung zu tun. Da die Bildung sowieso den Bach runtergeht - Stichwort | |
"Pisa" -, hängt auch die zunehmende Homophobie in meinen Augen damit | |
zusammen. Wie ich schon sagte: Es muss schlicht und einfach in größerem | |
Stile Aufklärung betrieben werden. | |
Offiziell wurde erst vor fünf Jahren bekannt, dass Sie schwul sind, obwohl | |
Sie sich bereits zuvor immer wieder mit Ihrem damaligen Freund in der | |
Öffentlichkeit gezeigt hatten. Wie war es, in der DDR homosexuell zu sein? | |
Die DDR war insofern fortschrittlicher, als der Paragraf 175, der sexuelle | |
Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, schon viel früher | |
abgeschafft wurde als in der Bundesrepublik. Trotzdem war es in der DDR | |
nicht einfacher, offen schwul zu leben. Es wurde nicht bejubelt, es wurde | |
geduldet, und es gab auch latente homophobe Gewalt. Allerdings wurde das | |
Thema Homosexualität in der DDR vom wissenschaftlichen Standpunkt aus | |
betrachtet. Man hat eingesehen, dass der Paragraf schwachsinnig ist und | |
dass er sich gegen die Natur des Menschen richtet, also wurde er | |
gestrichen. | |
Gab es so etwas wie eine schwule Szene in Ostberlin? | |
Ja, es gab schon ein paar Schwulenkneipen, aber nicht sehr viele. Und es | |
gab auch nicht so ein Szeneviertel, wie es beispielsweise heute Schöneberg | |
ist. Aber einzelne Kneipen und den sogenannten Sonntags-Club, wo sich die | |
Schwulen trafen, gab es. | |
Gerade im Theatermilieu war es wahrscheinlich auch einfacher, offen | |
homosexuell zu leben? | |
Es war vielleicht ein bisschen einfacher, als wenn man in der Schmiede oder | |
der Kohlengrube stand oder bei der Reichsbahn war. Generell war und ist es | |
im künstlerischen Milieu sicherlich ein wenig leichter, homosexuell zu | |
sein, allerdings ist man auch dort nicht mit einem "Hallöchen, ich bin | |
schwul"-Schild vor der Brust herumspaziert. | |
Bedauern Sie eigentlich manchmal, keine eigene Familie oder Kinder zu | |
haben? | |
Wenn man auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist, dann schon, | |
ansonsten aber offen gestanden eher nicht (lacht). | |
Gerade wenn man krank ist, ist man doch auf die Hilfe anderer Menschen | |
angewiesen? | |
Für solche Fälle habe ich dann Freunde - und das Schöne dabei ist, dass die | |
sich dann um mich kümmern, weil sie es wollen, und nicht, weil sie es | |
müssen. Ich bin sowieso der Meinung, dass Freundschaftsbeziehungen viel | |
intensiver sein können als Familienbeziehungen. | |
Sie sind seit dreieinhalb Jahren Single. Haben Sie manchmal Angst vor | |
Einsamkeit im Alter? | |
Nein. Manchmal ist mir ein bisschen langweilig, aber dann macht man eben | |
den Fernseher an, liest Zeitung, ein gutes Buch oder geht Freunden auf die | |
Nerven. Aber ich finde auch, dass eine gewisse Einsamkeit ganz schön sein | |
und dass man sich daran gewöhnen kann. | |
Haben Sie einen Lieblingsplatz in Berlin? | |
Ich gehe gerne auf den Dorotheenstädtischen Friedhof, weil dort viele | |
ehemalige Kollegen von mir liegen - Schauspieler, Regisseure, Intendanten. | |
Es werden immer mehr … | |
3 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Christian Rohm | |
## TAGS | |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | |
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