# taz.de -- Gewalt bei Nato-Protesten: Herzlich willkommen in Kehl! | |
> Eigentlich wollten die Demonstranten, dass die Nato "baden-baden" geht. | |
> Stattdessen sind wegen der Gewalt die Inhalte der Protestbewegung auf der | |
> Strecke geblieben. | |
Bild: Bilder, die nicht gerade die Sympathie der breiten Bevölkerung aufkeimen… | |
BADEN-BADEN taz Drüben ist die Hölle los. Rauch steigt von der | |
französischen Seite der Europabrücke auf. Drüben ist Straßburg, wo ein | |
Hotel und ein Zollhaus nahe der Grenze brennen, wo die französische Polizei | |
Gummigeschosse, Blendschockgranaten und Tränengas auf Demonstranten und | |
vermummte Randalierer schießt. Hier ist Kehl, wo die deutsche Polizei die | |
5.000 Menschen auf dem Ostermarsch mit "Herzlich willkommen in Kehl" | |
begrüßt. | |
Der Rauch verdunkelt nicht nur den Himmel, die Randale beherrscht auch die | |
Schlagzeilen. Ziele und Inhalte des Protests gehen völlig unter. Eigentlich | |
wollte der Ostermarsch über die Brücke und sich mit dem etwas über 10.000 | |
Menschen großen Protestzug in Straßburg vereinen. Doch angesichts der | |
Ausschreitungen dort sperrt der französische Präfekt den Übergang. Die | |
deutsche Polizei riegelt ab. | |
Für die Friedens- und Protestbewegung ist der Nato-Gipfel eine Katastrophe. | |
Auf deutscher Seite wird der Protest mit fragwürdigen Mitteln unterdrückt, | |
mit absurden Demonstrationsauflagen wie dem Verbot von Kapuzenpullis und | |
Wasserspritzpistolen oder einer auf drei Meter limitierten Länge von | |
Transparenten. Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech | |
erlässt Ausreiseverbote und verhindert Protestcamps auf der deutschen Seite | |
des Rheins. Demonstranten berichten, sie seien an der deutsch-französischen | |
Grenze bloß wegen eines Anarchie-Aufklebers auf ihrem Wagen abgewiesen | |
worden. | |
"Wir haben diese schwierige Aufgabe gemeistert", sagte Rech nach dem | |
Gipfel. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden hat er absolut recht. Allerdings | |
wird es auch keine Diskussion darüber geben, ob und wie viele Menschen zu | |
Unrecht mit Ein- und Ausreiseverboten belegt wurden, ob das Recht, zu | |
demonstrieren, von Wohl und Wehe eines Ministers und seiner Behörden | |
abhängt. Die beherrschenden Bilder geben dem Sicherheitsdenken recht. Der | |
G-8-Gipfel in Heiligendamm vor zwei Jahren hatte andere Symbole: einen | |
hässlichen, kilometerlangen Sicherheitszaun um den Tagungsort, eine | |
bundesweite Razzia gegen die Protestbewegungen, die selbst die Mitte der | |
Bevölkerung als überzogen empfand. | |
Jetzt ziehen schwarze Rauchschwaden über den Rhein. Peter Strube wäre ohne | |
sie vielleicht ein kleiner Held gewesen, jemand, der half, den Protest | |
friedlich zu halten. Der 63-jährige evangelische Pfarrer aus Dortmund trägt | |
einen schwarzen Talar, einen alten Achtundsechziger nennt er sich. | |
Reihenweise Bundesgrenzschutz in schwarzen Uniformen, Wasserwerfer, | |
Absperrgitter. Die Europabrücke hat Peter Strube im Rücken und vor sich | |
eine bunt gemischte Demonstration mit einen schwarzen Block, in dem sich | |
die Ersten vermummen. Ein junger Mann in Kapuzenpulli verkündet lautstark, | |
auch Gandhi hätte versucht, die Polizeisperre zu durchbrechen. Strube sagt | |
ruhig: "Die Solidarität der Bevölkerung geht baden. Wenn ihr hier | |
durchbrechen wollt, dann produziert ihr die Bilder, die die Presse will, | |
die der Staat will." | |
Die andere Rheinseite liefert sie. Hier vermischen sich "soziale Bewegung | |
und soziale Unterschicht", sagt Benjamin Richter, ein 25-Jähriger aus | |
Berlin, der den Gipfel im Camp und auf den Straßen in Straßburg und | |
Baden-Baden erlebte. Die französische Linke sei breiter, sagt er, und | |
umfasse auch Menschen mit Migrationshintergrund. "Man hört schon mal | |
arabische Musik aus dem Tränengasnebel", berichtet er. Anders ausgedrückt: | |
Wer gegen den Nato-Gipfel protestiert und wer aus den Straßburger Banlieues | |
das Chaos zum Krawallmachen nutzt, lässt sich kaum unterscheiden. Der | |
Protest in Heiligendamm sei zwar viel besser organisiert gewesen, sagt | |
Richter, in Straßburg sei der Zusammenhalt dafür wirklich gut gewesen. "Wir | |
waren richtig viele Leute." | |
So taugt der Gipfel zur Legendenbildung unter den Radikalen. Die | |
Feindbilder Nato und Atomwaffen mobilisieren aber kaum die Mitte der | |
Gesellschaft, zumal US-Präsident Barack Obama von einer atomwaffenfreien | |
Welt schwärmt. Für den 66-jährigen Günter Wimmer, an beiden Gipfeltagen in | |
Baden-Baden und Kehl auf der Straße, ein Jammer: "Eigentlich müssten die | |
Menschen doch gerade jetzt auf die Straßen gehen und zeigen, was sie | |
wollen, weil es jetzt eine echte Chance auf Veränderung gibt", sagt er. | |
5 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kümmerliche Proteste gegen G-20 und Nato: Bewegung am Boden | |
Die erhoffte große Protestwelle beim G-20-Gipfel in London und beim | |
Nato-Gipfel am Rhein blieb aus. "Ernüchternd" falle die Bilanz aus, heißt | |
es bei Attac. Was waren die Gründe? |