# taz.de -- Daimler-Hauptversammlung als Schauspiel: Ganz großes Theater | |
> Die Theatergruppe Rimini-Protokoll macht aus gesellschaftlichen | |
> Institutionen Inszenierungen. Die Hauptversammlung von Daimler erklärten | |
> sie nun zum Theaterstück. | |
Bild: Realitytheater: Daimler-Hauptversammlung in Berlin. | |
Prolog | |
Daniel Wetzel sitzt in der Frühlingssonne vor dem Café des HAU-Theaters in | |
Berlin-Kreuzberg. Der 40-jährige Mitregisseur der Theatergruppe | |
Rimini-Protokoll ist am Vorabend der Daimler-Hauptversammlung gut gelaunt. | |
Wetzel und seine Rimini-Mitstreiter Stefan Kaegi und Helgard Haug haben die | |
diesjährige Daimler-Hauptversammlung am Mittwoch im Berliner Messecenter | |
zum Theaterstück erklärt. Realitytheater: Daimler als Inszenierung? Eine | |
Aktionärsversammlung mit bis zu 8.000 Teilnehmern als Theaterstück, wie | |
soll das gehen? Doch, doch, sagt Wetzel und nippt schmunzelnd an seiner | |
Weinschorle. Man habe für etwa 200 Zuschauer über Aktienerwerb einen Zugang | |
ins Messecenter geschaffen. Er selber habe 30 Aktien, das Stück für etwa 22 | |
Euro erworben. Um was es geht? Inszenierte Transparenz, Theatralität von | |
Hauptversammlungen, Kapitalokratie sind Begriffe, die fallen. Die Zuschauer | |
sollen vor allem gucken, sagt Wetzel. "Es geht uns nicht darum, den Ablauf | |
zu verändern, sondern Erfahrungen zu machen." | |
Die Daimler-Betriebsräte am Einlass des Messecenters sind am Mittwochmorgen | |
unschwer zu erkennen. Sie tragen weiße T-Shirts und haben Masken mit dem | |
Gesicht von Konzernboss Dieter Zetsche auf. Noch protestieren sie, dass von | |
den Auszubildenden bei Daimler dieses Jahr nur 80 Prozent eine feste | |
Anstellung bekommen würden. Bald könnte es um ganz andere Dimensionen bei | |
dem Weltkonzern mit den derzeit rund 273.000 Mitarbeitern gehen. 2008 | |
betrug der operative Gewinn 2,7 Milliarden Euro, 2007 waren es noch 8,7 | |
Milliarden. Hastig schieben sich Aktionäre mit kleinen Rollkoffern an den | |
Gewerkschaftern vorbei. Die Stimmung ist gelassen, auch wenn die 300 | |
Securitys starke Präsenz zeigen. Routinierte Sicherheitschecks am Eingang, | |
Taschen werden gescannt, und Journalisten werden vorbei an den Wartenden | |
von Hostessen in weißen Pollundern und Jeans direkt zum Pressecenter | |
geleitet. Es ist kurz vor neun. Wo ist Rimini? | |
Daniel Wetzel behauptete im Pressecenter sei die Verpflegung exklusiver als | |
das ebenfalls kostenfreie Catering für die Aktionäre. Ist es nicht. Um | |
Punkt zehn ertönt im ganzen Haus durch sämtliche Lautsprecher die kräftige | |
Fanfare, ähnlich einem Champions-League-Spiel hält der Vorstand Einzug in | |
den riesigen Saal eins. Aufsichtsratschef Manfred Bischoff, ein Paternalist | |
alter Schule mit kräftigem Schnauzbart, leitet und eröffnet die | |
Hauptversammlung. | |
Die Veranstaltung wird auf Leinwände in Saal zwei und drei live übertragen, | |
überall im Haus sind Bildschirme aufgestellt, und selbst die Toiletten | |
werden mit den Reden aus Saal eins beschallt. Kein Aktionär soll zu keiner | |
Zeit etwas versäumen. "Wir wollen unsere Toten ehren, ich bitte Sie, sich | |
zu erheben." Bischoff gedenkt der Verstorbenen seit der letzten | |
Hauptversammlung und der Toten des Amoklaufs von Winnenden und deren | |
Angehörigen. Die korporatistische alte Bundesrepublik lebt. Weiter geht es | |
mit Präsenzlisten, Notaren, Präsenzabgangslisten und so weiter. Bischoff | |
erklärt die Spielregeln: Persönliche Beleidigungen, Verunglimpfungen werde | |
er nicht zulassen. Und: "Dies hier ist kein Theater oder Schauspielstück!" | |
Volltreffer. Aber, wo bitte schön ist Rimini? | |
Links und rechts des Vorstandspodiums funkeln zwei neue Modelle der | |
E-Klasse. Die aufsteigenden Sitzreihen sind restlos belegt, die Beleuchtung | |
auf den Pulten sorgt für eine extraterrestrische Stimmung. Altes | |
Führungspersonal wird verabschiedet, der verdiente Herr Grobe wechselt als | |
Mehdorn-Ersatz zur Bahn, Neue wie der Herr Kleisterli begrüßt und bei der | |
Erwähnung von Herrn Walter und des Bankrotteurs Hypo Real Estate bahnt sich | |
eine Lachsalve ihren Weg durch die Versammlung. Aufsichtsratschef Bischoff | |
hält 10 Millionen Euro als Vergütung für den Vorstand "bei guter Arbeit" | |
für okay, Buhrufer werde er aus dem Saal entfernen lassen. Es bleibt bei | |
der Drohung. | |
10 Uhr 33: Vorstandschef Dieter Zetsche tritt ans Rednerpult, gesegnet mit | |
einem gewaltigen Schnauzbart. Er hat wenig Erfreuliches zu berichten, die | |
Aktionäre wissen das. "Rund um den Globus brechen die Märkte ein", "größte | |
Krise seit 45 …" Klingt nach gehobener Schuldabwälzung. Was kommt? Zetsche | |
spricht von rigidem Kostenmanagement, Optimierung, Personalmaßnahmen. Die | |
Daimler-Belegschaften dürften wissen, was gemeint ist. Ein Zwischenrufer | |
stört immer wieder Zetsches Auftritt. Er hat eine Kappe auf und hält ein | |
Plakat mit einem Affen in die Höhe. Versammlungsleiter Bischoff droht mit | |
Ausschluss. Doch es passiert nichts. Das Publikum knurrt, und wenn der Mann | |
nicht Ruhe gibt, wird er von den Aktionären mit Rausrufen gestoppt. | |
Security überflüssig. Und was passiert da vorne? Ist das nicht einer von | |
Rimini? Ein schlaksiger Mann gibt mit Zetsche im Hintergrund mitten im Saal | |
eins Fernsehinterviews. "Stefan, habt ihr irgendwas mit dem Zwischenrufer | |
zu tun?", fragt eine Fernsehfrau. "Nein", sagt der, offensichtlich Stefan | |
Kaegi. | |
## Die Laiendarsteller | |
Nach der Rede des Vorstandschefs schlägt die Stunde der unzufriedenen | |
Kleinaktionäre. Laut Versammlungsleiter Bischoff "keine 5 Prozent der | |
Aktionäre", die Hauptversammlung ist ihre große Bühne. Nach einigen Stunden | |
weiß man, es handelt sich grob gesagt um vier Gruppen: Spinner (wie der | |
Mann mit dem Affenplakat), Betriebsangehörige (die ihre Klassenposition | |
innerhalb "ihres" Daimlers gestärkt sehen wollen), NGO-Vertreter | |
(Greenpeace, Antimilitaristen) und Besserwisser ("auf Seite 123 des | |
Rechenschaftsberichts findet sich eine Abweichung …"). Wenn ihre Redezeit | |
um ist (anfangs zehn, später fünf Minuten), leuchtet eine rote Lampe am | |
Pult. Dann heißt es für Aufsichtsrat Bischoff eingreifen. Frage einer | |
Kritikerin: Wo sind die Frauen in den Führungsetagen? Antwort Vorstand: Wir | |
arbeiten an einem Gender-Plan. Kritiker: Warum steigt Daimler nicht aus dem | |
Rüstungskonzern EADS aus? Vorstand: Hier geht es nicht um EADS, sondern um | |
Daimler. Kritiker: Warum verbrauchen die Daimler-Autos so viel Sprit? | |
Vorstand: Der neue E 250 CDI braucht nur 5,3 Liter auf 100 Kilometer. | |
Unerbittlich leuchtet die rote Lampe: "Herr Labryga, Ihr Schlusssatz | |
interessiert mich am meisten", spottet Bischoff. Das hat durchaus | |
Unterhaltungswert. | |
## Nebenbühne | |
Am Nachmittag stehen in Halle 15.1 zwischen neuen Sprinter- und | |
Truckmodellen kleine debattierende Zirkel. Daimler-Kritiker wie Lars | |
Labryga von der Schutzgemeinschaft der Kapitaleigner erklären den | |
Rimini-Projekt-Gängern, was sie drinnen nicht loswerden konnten. Die | |
Theaterwissenschaftlerin Brigitte Biel-Missal erläutert den | |
Inszenierungsstil. Nach Stunden anonymisierter Teilhabe an der | |
Hauptversammlung besteht Gesprächsbedarf. Ein etwas älterer | |
Rimini-Teilnehmer spricht von "repressiver Toleranz": Die Kleinaktionäre | |
dürften zwar auftreten, ihre Beiträge blieben aber folgenlos. Eine | |
Künstlerin sagt, mit Demokratie habe das nichts zu tun. Aber, soll ein | |
Anteilseigner von einer Aktie im Wert von 22 Euro etwa gleich viel zu sagen | |
haben, wie die Halter eines Aktienpakets von über 20 Milliarden? Hhm. | |
Jürgen Grässlin von den Kritischen Aktionären ärgert sich über die | |
schlechte Performance einzelner Daimler-Kritiker. Er trägt ein T-Shirt mit | |
Zetsches Konterfei, dazu der Aufdruck: "Kennen Sie Deutschlands größten | |
Waffenhändler?" Die Rimini-Teilnehmer sind mit der Veranstaltung zufrieden. | |
Die 25-jährige Studentin Felicitas Zeeden fand es reizvoll, in eine Welt | |
einzutauchen, mit der man sonst nichts zu tun hat. "Das ist nicht das | |
Theater der Zukunft, aber ich würds noch mal machen", sagt sie. Wie die | |
meisten hat sie über die Presse von der geplanten Rimini-Aktion gehört und | |
sich spontan als Publikum gemeldet. Ebenso der 38-jährige Mathematiker | |
Jochen Garcke, Besitzer eines kleinen Aktienpakets. Es habe ihn | |
interessiert, mit Rimini-Blick auf die Hauptversammlung zu schauen. Ob man | |
das nun als Theater bezeichnen solle? "Nein, das ist kein Theater, eher | |
eine Performance im First Life", so Garcke. | |
## Epilog | |
Am Spätnachmittag kommt in Saal eins noch einmal Stimmung auf. Der Störer | |
mit der Kappe heißt "Herr Stockhausen" und ist nun qua Rednerliste | |
offiziell ans Mikro gelangt. Er schwenkt sein Affenplakat und redet wirres | |
Christenzeug. Versammlungsleiter Bischoff wird um das Gewicht eines solchen | |
Clowns wissen, in dessen Licht sich auch andere Kritiker leicht zum Affen | |
machen. Von der reinen Inszenierungsseite scheinen Theater- wie | |
Daimler-Leute gleichermaßen zufrieden. "Unsere Zuschauer haben sich in der | |
Veranstaltung verloren, das fand ich klasse," sagt Kaegi abschließend. Wenn | |
es so etwas wie ein parasitäres Theater gäbe, habe es hier im Saal seine | |
Verbreitung gefunden. Es ist 18 Uhr 30, der Journalist als Parasit von | |
Daimler und Rimini tritt die Heimreise an und trifft am Ausgang auf einen | |
fröhlichen Daniel Wetzel. Die Veranstaltung dauert noch bis in die Nacht. | |
10 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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