Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Oi!-Punk-Band Stomper 98: Der Stolz der Arbeiterklasse
> Wie diversifiziert die Skinheadszene heute ist, zeigt die Oi!-Punk-Band
> Stomper 98. Ihre Mitglieder tragen Glatze oder Kurzhaar, sind sich aber
> über eines völlig einig: Antirassismus
Bild: Das sind die Männer von Stomper 98, Verfechter proletarischen Oi!-Punks …
Vor ein paar Monaten, da war die Sache mit dem Skinheadsein plötzlich mal
wieder ein Problem. Da ging es wieder los, das Abgrenzen, das Erklären, das
Richtigstellen. Vor ein paar Monaten, da war Sebastian Walkenhorst ganz
schön genervt. "Diese Scheiße", sagt er, "kotzt mich vielleicht an!"
Schuld an dieser Scheiße hat das Internet. Dort war und ist immer noch,
weil das Netz nicht vergisst, ein Bild von Walkenhorst zu sehen. Auf dem
bei einem Konzert aufgenommenen Foto umarmt er einen alten Bekannten, den
er an diesem Abend zum ersten Mal seit Jahren wieder getroffen hatte.
Dokumentiert sind nun: eine gewisse Wiedersehensfreude, vor allem aber die
Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Kein Problem, sollte man meinen. Aber:
"Sebi" Walkenhorst ist Sänger von Stomper 98, einer in der Skinhead-Szene
recht bekannten Oi!-Punk-Band. Und der alte Bekannte war Jens Brandt von
Endstufe, einer berüchtigten Rechtsrock-Kapelle.
Die Folge: hektische Diskussionen in den Internet-Foren der
Skinhead-Kultur. Die einen witterten neonazistische Umtriebe in ihrer eben
erst notdürftig rehabilitierten Szene. Die nächsten monierten die
politische Korrektheit der ersten. Und dann gab es noch welche, die den
ganzen Distanzierungseiertanz sowieso grundsätzlich überflüssig finden.
Doch diese Auseinandersetzung blieb nicht beschränkt auf die einschlägigen
Zirkel: Umstritten war nun vor allem ein bereits lange geplantes
Stomper-98-Konzert im Leipziger Jugend-Kulturzentrum Conne Island. Linke
Gruppierungen identifizierten eine "rechtsoffene Grauzone" und machten
mobil gegen den Auftritt, die Berliner Electropunkband Egotronic drohte mit
der Absage ihres Konzerts. Stomper 98 sahen sich genötigt, ein
distanzierendes Statement zu veröffentlichen, und die Conne-Island-Macher
rangen sich schließlich doch dazu durch, das Konzert im November
durchzuführen.
In dieser Episode spiegelt sich der aktuelle Zustand der Skinhead-Kultur in
Deutschland: Einerseits werden die altbekannten Vorurteile bei Bedarf gern
reaktiviert. Andererseits aber ist der Umgang mit den Kurzgeschorenen
grundsätzlich sehr viel entspannter geworden. Tatsächlich hat sich die
Öffentlichkeit mittlerweile von der lange Jahre gepflegten Gleichsetzung
verabschiedet, dass jeder Skinhead ein Nazi sei. Im Behördendeutsch des
letzten Verfassungsschutzberichts liest sich das so: "Innerhalb des
deutschen Rechtsextremismus ist eine anhaltende Abkehr von der klassischen
Skinhead-Subkultur festzustellen."
Diese Subkultur ist so diversifiziert wie nie zuvor. Man trägt Glatze oder
Kurzhaarschnitt, Anzug oder gebleichte Jeans. Man ist demonstrativ
unpolitisch, wählt links oder gibt sich radikal anarchistisch. Man hört Ska
oder Oi!-Punk, Hardcore oder Reggae. So aufgefächert ist die Szene, dass
selbst eine bekannte Oi!-Band wie Stomper 98, trotz Auftritten in den USA
oder Großbritannien, nur als Hobby betrieben werden kann.
Sogar in einer einzelnen Band können die Definitionen von Skinheadsein weit
auseinander liegen: Sänger Sebi repräsentiert mit kurzen blonden Haaren,
Tätowierungen auf Schädel, Armen und Fingern und einer Vorliebe für harte
Gitarren die ehemaligen Punks, die sich frustriert von dessen
Kommerzialisierung dem spartanischen Oi!-Punk zugewandt haben. Der bald
vierfache Familienvater ist 33 Jahre alt, arbeitet als Lagerist, lebt seit
vier Jahren "straight edge", das heißt ohne Drogen, Alkohol, Nikotin und
Fleisch. Politik interessiert ihn kaum. Als er mit 16 Jahren Skin wurde,
hing er mit rechten bis unpolitischen Skins ab, denn andere gab es in
seiner Heimatstadt Delmenhorst nicht, später in Göttingen dann mit eher
linken. Stress gab es immer und mit allen, "mit Nazis, mit Gangs, mit der
Polizei. Ich war in erster Linie immer ein Rebell." Gitarrist Tobias Flacke
dagegen steht mit akkuratem Seitenscheitel und weißem Hemd für die
Szeneströmung, die ein klassisches, ordentliches Outfit bevorzugt. Er hört
zu Hause, wie es die Tradition gebietet, Ska und Reggae, aber auch Jazz.
Der gelernte Steinmetz ist ebenfalls 33, arbeitet als Restaurateur, raucht
selbstgedrehten Schwarzer Krauser, trägt eine Nickelbrille und saß früher
einmal für die Grünen im Stadtrat von Bad Iburg. Mittlerweile ist er
ausgetreten aus der Partei - wegen des Auslandseinsatzes in Afghanistan.
Sein Cousin ist Bundestagsabgeordneter für die Linkspartei.
"Es gibt nur noch einen Grundkonsens", sagt Gitarrist Flacke über die
Skinhead-Szene, "und das ist der Antirassismus." Das gilt erst einmal für
seine Band, in der seit gut drei Jahren Phil Rigaud am Schlagzeug sitzt,
Afroamerikaner und Gründungsmitglied der New Yorker Oi!-Legende The
Templars. Aber auch für den überwiegenden Teil der Bewegung, die bewusst
die Skinheadtraditionen fortführt. Die deutschnationalen Dumpfbacken
dagegen, die nicht nur im Osten Deutschlands lange Zeit in Springerstiefel
und Bomberjacke durchs Kleinstädtchen patrouillierten, verändern zusehends
ihr Aussehen. "Die Faschos laufen ja mittlerweile eher rum wie Autonome",
sagt Flacke, "ich bin froh, dass die uns zunehmend in Ruhe lassen."
Man will in Ruhe gelassen werden. Will verschont werden von "diesem ganzen
Politik-Geplänkel", wie Sebi es nennt. Das ist immer noch die
grundsätzliche Haltung in großen Teilen der Szene, die Flacke für "schwer
traumatisiert" hält. Die heftigen Diskussionen der letzten Jahrzehnte
verstanden viele Skins als von außen aufgezwungen. Denn der traditionelle
Skinhead verstand sich als unpolitisch. Dass die ersten Skins im England
Ende der Sechzigerjahre Ska hörten, eine schwarze Musik, galt als
automatischer Antifaschismus-Ausweis. Als die Rechten die klassisch-strenge
Mode adaptierten und die Öffentlichkeit schließlich die Gleichung Skin=Nazi
aufmachte, wandten sich viele ab. Der Rest musste lernen, sich zu
verhalten, musste beginnen, Grenzen zu setzen.
Das sieht dann so aus, dass Stomper 98 so gut wie möglich überwachen, wer
in ihre Konzerte kommt. Thor-Steinar-Klamotten reichen, um den Eintritt
verwehrt zu bekommen. "Die Leute können mich für einen Volltrottel halten
oder für ein Arschloch", sagt Walkenhorst, "aber mir ist wichtig, dass
jeder weiß, dass ich kein Nazi bin." Zu Missverständnissen gibt seine Band
trotzdem Anlass. Für "Tage Deiner Jugend", die Doppel-CD, mit der man Ende
letzten Jahres das zehnjährige Bandjubiläum feierte, coverten Stomper 98
für sie bedeutsame Klassiker. Darunter mit "Tanz auf deinem Grab" auch
einen Song von den Böhsen Onkelz. Denn die gelten der deutschen Oi!-Szene
immer noch als Pioniere, auch wenn Walkenhorst einschränkt: "Was die Onkelz
teilweise Anfang der Achtziger gemacht haben, damit will ich nichts zu tun
haben." Er meint die damaligen rechten Tendenzen der Band. "Tanz auf deinem
Grab" allerdings stammt genau aus dieser Zeit und wurde veröffentlicht auf
dem ersten, später zum Teil indizierten Onkelz-Album "Der nette Mann" von
1984 - neben Stücken wie "Deutschland" und "Fußball & Gewalt".
Deswegen kommt aus linken Skinheadkreisen immer wieder der Vorwurf, Stomper
98 würden sich nicht eindeutig abgrenzen. Aber die Onkelz gehören nun
einmal zum Erbe der Bewegung wie die latente Nähe zur Gewalt. Der Oi!- oder
auch Street-Punk der Achtzigerjahre distanzierte sich vom bunten,
kommerzfähigen Punk und New Wave, der von Kunsthochschülern dominiert war,
und stilisierte sich selbst zur ehrlichen Alternative von der Straße. Als
Skin war man Außenseiter, ein Proletarier und stolz darauf. Die Nähe zur
Hooligan-Szene war da nur folgerichtig. Auch Walkenhorst war Stammgast im
Stadion von Göttingen 05: "Und wenn Eintracht Braunschweig kam mit einer
Horde Fascho-Hools, dann gab es was aufs Maul. Das war meine Jugend:
Fußball, Bier, Mädchen, Randale." Folgerichtig sieht er sich bis heute
"ankämpfen gegen das Image vom hirnlosen Schläger, das jeden Skin
verfolgt".
Mittlerweile lebt Walkenhorst mit Familie in einem kleinen Örtchen bei
Göttingen. Skinheadsein bedeutet für ihn heute "neben dem Style, der immer
noch eine große Rolle spielt, vor allem ein Klassenbewusstsein". Das
allerdings ist hierzulande - im Gegensatz zu Großbritannien, dem Ursprung
der Skinheadbewegung - nicht allzu solidarisch ausgeprägt: "In Deutschland
haut der kleine Arbeiter noch auf den Hartz-IV-Empfänger drauf." Für Flacke
geht es vor allem um "so einen belasteten Begriff wie Stolz. Ich bin stolz
darauf, wo ich herkomme. Ich bin stolz darauf, dass mein Vater Klempner
ist. Ich bin stolz darauf, dass mir nichts geschenkt wurde." Dieses
Bedürfnis nach Stolz ist ein verbindendes Element der Szene. Bei manchen
Skinheads bezieht er sich vielleicht darauf, dass man sich mittlerweile
einig ist, rechtsradikalen Tendenzen entschieden zu begegnen. Bei anderen
wiederum darauf, dass auch bekennende Schwule heutzutage einigermaßen
akzeptiert sind. Eine Vereinigung wie "RASH - Red and Anarchist Skinheads"
ist stolz auf ihren Antifaschismus, ein Redskin auf seine
Marx-Engels-Gesamtausgabe im Bücherregal, der nächste auf seine
Bierdeckelsammlung. Die Szene ist nicht homogen, und Stolz bleibt ein
diffuses, leicht zu manipulierendes Gefühl.
Die Diskussionen werden also anhalten. "Ich habe das Geseiere wirklich
satt", stöhnt Walkenhorst, "aber wenn irgendwo Stress mit Nazis ist, dann
steh ich ganz vorne." Und dann geht es wieder los, dieses Abgrenzen.
Notfalls eben mit handgreiflichen Argumenten.
13 Apr 2009
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Skinheads in New Yorker Club: Oi!-Fest löst Shitstorm aus
Ein kleiner Club in New York musste ordentlich einstecken: Weil die
Betreiber nicht genau wussten, wen sie sich ins Haus holen, stehen sie nun
in der Kritik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.