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# taz.de -- Unterhauswahlen in Indien: Pik Dame im Machtpoker
> Mayawati kommt von ganz unten und regiert den Bundesstaat Uttar Pradesh.
> Nun tritt die 53-jährige mit ihrer BSP bei den Nationalwahlen an und wird
> wohl zum Zünglein an der Waage.
Bild: Mayawati hält sich bedeckt, welchem Machtblock sie ihre Gunst schenken w…
Ihre Anhänger nennen sie respektvoll "Behenji" (ehrwürdige Schwester),
gegenüber ihren Gegnern jedoch zeigt sie eiserne Härte: Chandawati Devi
oder "Mayawati", 53, die Ministerprädsidentin des nordindischen
Bundesstaats Uttar Pradesh. Bei der Wahl zum indischen Unterhaus, die an
diesem Donnerstag beginnt, könnte sie die entscheidende Rolle spielen.
Uttar Pradesh stellt mit seinen 190 Millionen Einwohnern ganze 80 Sitze in
der 545 Abgeordnete umfassenden Lok Sabha, dem Unterhaus des indischen
Parlaments in Delhi. Prognosen zufolge könnte Mayawati mit ihrer "Bahujan
Samaj Party" (BSP) alleine in ihren Bundesland mehr als die Hälfte der
Sitze holen. In den übrigen Teilen Indiens könnte sie weitere 20 bis 30
Sitze erringen. Dann käme keine zukünftige Regierung ohne sie zustande.
Denn zwischen den beiden großen Machtblöcken in Indiens Politik zeichnet
sich ein Patt ab: Vermutlich wird weder die regierende "Vereinte
Fortschrittsallianz" um die Kongresspartei noch die oppositionelle
"Nationaldemokratische Allianz" der Hindu-nationalistischen "Indischen
Volkspartei" (BJP) genügend Sitze erringen, um alleine die Regierung zu
stellen. Mayawati könnte eine der beiden Koalitionen an die Macht bringen
und sich ihre Unterstützung mit einem hohen Posten in der zukünftigen
Regierung vergolden lassen. Den Machtinstinkt, sich geschickt den Weg nach
oben zu ebnen, besitzt sie.
Mayawati stammt aus dem untersten Rand von Indiens Gesellschaft: Sie ist
eine Dalit, eine Anhängerin der einst "Unberührbaren", zu denen in Indien
mehr als 170 Millionen Menschen gehören. 1984 gründete sie mit dem
Dalit-Aktivisten Kanshi Ram die BSP, um für die Rechte der Unberührbaren
einzutreten. 2001 erklärte sie Ram zu seiner Nachfolgerin.
Mayawati ist bereits zum vierten Mal Ministerpräsidentin des riesigen
Armutslandes Uttar Pradesh. 1995 und 1997 führte sie kurz Koalitionen an,
die jedoch bald zerbrachen. Von 2002 bis 2003 regierte sie in einer Allianz
mit den Hindunationalisten von der BJP. 2007 war ihr großes Jahr: Mayawatis
Partei holte bei den Landtagswahlen die absolute Mehrheit der Sitze. Die
Politikerin wurde zur unbestrittenen Ministerpräsidentin des in der
indischen Politik so wichtigen Bundesstaates.
Ihr Erfolg beruht auf einem cleveren politischen Schachzug: Schon früh
zeigte es sich, dass die Dalits als Machtbasis nicht ausreichten, um der
BSP dauerhaft eine Mehrheit zu verschaffen. Die Mitglieder der untersten
Hindu-Kasten sind über den gesamten Bundesstaat verteilt, stellen aber in
keinem Wahlkreis die Mehrheit. Daher begann Mayawati bereits früh,
Mitglieder weiterer gesellschaftlicher Schichten anzusprechen. In der Folge
schlossen sich viele Muslime und Mitglieder anderer niedriger Kasten der
BSP an. Bemerkenswerterweise gelang es ihr auch, die Brahmanen des
Bundesstaates - die Mitglieder der hochangesehenen Priesterkaste am
obersten Ende der Kastenhierarchie - zu Unterstützern ihrer Partei zu
machen.
Die großen Volksparteien, die Kongresspartei und die BJP, bemühen sich in
ihren Kampagnen vor allem um die Stimmen der wachsenden Mittelschicht. Die
untersten Kasten der Gesellschaft profitieren von einem staatlichen
Unterstützungs- und Reservierungssystem, das den am stärksten
benachteiligten Gruppen den sozialen Aufstieg ermöglichen soll.
Paradoxerweise pochen deswegen ausgerechnet diese auf den Erhalt des
Kastensystems. Denn aus der Jahrtausende alten Diskriminierung ist zum
ersten Mal ein Vorteil erwachsen.
Doch die Mitglieder der hohen Kasten gerieten vor allem in den vergangenen
20 Jahren immer mehr ins Hintertreffen. Daher schlossen sich in den
90er-Jahren viele Brahmanen der hindunationalistischen BJP an und verhalfen
ihr zum Aufstieg. Sie hofften, die Hindufanatiker würden für ihre
Interessen eintreten. Doch viele von ihnen wandten sich mit der Zeit wieder
enttäuscht ab. Nun richten etliche Brahmanen ihre Hoffnungen darauf, dass
sich ausgerechnet die Dalit-Anführerin Mayawati für sie einsetzt.
Dabei stammt sie selbst aus einer Familie, die von den
Reservierungsprogrammen profitiert hat. Ihr Vater erhielt auf diesem Weg
eine gut bezahlte Stelle als Beamter in der Hauptstadt Neu-Delhi. Mayawati
erhielt einen Studienplatz und machte ihren Abschluss in Jura und
Erziehungswissenschaften, anschließend arbeitete sie als Lehrerin. Ende der
70er begann sie, für den Dalit-Aktivisten Kanshi Ram zu arbeiten, mit dem
sie später die BSP gründete.
Mit Mayawatis wachsenden Erfolg stieg jedoch auch die Zahl ihrer Kritiker.
Viele Beobachter reagieren mit Entsetzen auf die gewaltigen Festbankette,
mit denen die Politikerin alljährlich ihre Geburtstage zelebriert. Zu denen
erscheint sie meist mit schweren Diamantkolliers behangen - während vor
allem auf dem Land noch immer Millionen Dalits in bitterer Armut leben.
Aufsehen erregte auch ihre Steuerklärung für das Jahr 2007/08: Damals
zahlte sie beinahe vier Millionen Euro Einkommenssteuern.
Ein Skandal um den Bau von Luxushotels und eines Einkaufszentrums in der
Nähe des Taj Mahals in Agra kostete sie 2003 das Amt. Damals genehmigte sie
den Abriss eines Teils des Armenviertels, das den weltberühmten Bau umgibt,
und wollte das Land Investoren zur Verfügung stellen, obwohl sie als
Ministerpräsidentin gar nicht dazu berechtigt war. Korruptionsvorwürfe
wurden immer lauter, die BJP stieg letztlich aus der Koalition aus. Doch
Mayawati überstand die Krise und bereitete sich in der Folgezeit auf ihren
Einstieg auf die nationale Bühne vor.
Mayawatis BSP tritt bei den anstehenden Unterhauswahlen im Verband der
"dritten Front" an, einem Sammelsurium aus linken und Regionalparteien, das
sich erst kürzlich gebildet hat. Doch Beobachter sind sich sicher, dass die
clevere Machtpolitikerin keine Sekunde zögern wird, aus der Parteienallianz
auszusteigen, sobald sich ein Posten auf Regierungsebene anbietet.
Welcher der beiden großen Parteien Uttar Pradeshs "ehrwürdige Schwester"
ihre Unterstützung schenken wird, ist bislang völlig offen. Die
Kongresspartei greift Mayawati in ihren Reden immer wieder scharf an, weil
diese mit ihrer Politik nur "den Reichen" helfe. Die Hindunationalisten der
BJP hat sie sich kürzlich mit einem taktischen Zug zu Feinden gemacht:
BJP-Nachwuchsstar Varun Gandhi, 29, Mitglied eines abgefallenen Teils des
mächtigen Gandhi-Nehru-Clans, ließ sie unter einem Staatsschutzparagraphen
einsperren. Gandhi hatte Anfang März in seinem Wahlkreis Pilibhit in Uttar
Pradesh bei einer Wahlkampfveranstaltung eine brutale Hetzrede gegen
Muslime gehalten. So sicherte sich Mayawati die Stimmen etlicher
muslimischer Wähler.
Der Machtpoker um die Bildung der kommenden Regierung beginnt am 16. Mai.
Dann sollen die Ergebnisse der Wahl bekanntgegeben werden. Doch für
Mayawatis Anhänger ist der Ausgang der Verhandlungen schon jetzt klar.
BSP-Generalsekretär Naseemuddin Siddiqui erklärte bereits im Januar: "Sie
wird Premierministerin des Landes!"
15 Apr 2009
## AUTOREN
Sascha Zastiral
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