# taz.de -- Kolumne Idole: Eine gelehrte Katze | |
> Tiere muss man nicht mögen. Vor allem, wenn sie niedlich sind. Reden sie | |
> aber klug, sieht die Sache schon anders aus. | |
Das Tier als Idol hat mich schon immer irritiert. Als meine Freundinnen | |
tief in der Pferdephase steckten, in den Schulpausen glitzernde | |
Pferdeaufkleber tauschten und im Unterricht Profile von Ponys mit wallender | |
Mähne auf ihre Heftränder kritzelten, saß ich peinlich berührt und etwas | |
unbeholfen daneben. Ich mochte weder "süß!" noch "goldig!" rufen und dabei | |
mit verzückter Miene über Pferderassen und Mähnenfrisuren debattieren. | |
Fury? Black Beauty? Fand ich scheiße. Überhaupt hatte ich Angst vor | |
Pferden, diesen schnaufenden Riesen, die einem mit dem Huf den Fuß | |
zerdrücken konnten. Das hat mich eine Zeitlang recht einsam gemacht. | |
Noch problematischer als die Verehrung von Haus- und Nutztieren, ist aber | |
die Verniedlichung von Wildtieren. Inzwischen sind wohl, wenn ich das | |
richtig interpretiere, Bären im Trend. Genauer gesagt, sich von ihnen | |
anknabbern zu lassen. Als Akt totaler Einswerdung mit dem Lieblingstier. | |
Sechs Jahre ist es her, dass der US-amerikanische Tierschützer Timothy | |
Treadwell von eben jenen Grizzlybären gefressen wurde, die er etliche | |
Sommer in Alaska mit der Videokamera begleitet hatte. Er hatte wohl | |
geglaubt, ein Teil der Meute zu sein, den Tieren Kosenamen wie "Mister | |
Chocolate" gegeben und in seinem Zelt mit einem Teddybären genächtigt. | |
Gereicht hat es für den Bären-Aktivisten allerdings bloß zur Beute. Der | |
Regisseur Werner Herzog hat 2005 einen Dokumentarfilm über diese tragisch | |
endende Passion gemacht, mit dem schönen Titel "Grizzly Man". | |
Über die Motive der jungen Frau, die sich kürzlich im Berliner Zoo zu den | |
Eisbären stürzte und ebenfalls attackiert wurde, lässt sich nur mutmaßen. | |
Ob ihr entfallen war, dass es sich beim Polarbären um das größte lebende | |
Raubtier der Erde handelt? Möglich. Schließlich wurde die Tierart durch das | |
ganze Gewese um den Berliner Eisbären Knut doch arg verniedlicht. | |
Ich finde weder Ponys noch Eisbärbabys süß. Auch nicht goldig. Überhaupt | |
scheue ich echte Tiere. Wenn schon Pferd, dann Jolly Jumper aus den | |
Lucky-Luke-Comics. Doch noch viel besser gefällt mir die Katze des | |
Rabbiners. Das ist eine magere, segelohrige sprechende Katze mit grauem | |
Fell und grünen Augen aus der Feder von Joann Sfar. | |
Joann Sfar ist ein absolut genialer französischer Comic-Zeichner. Und "Die | |
Katze des Rabbiners" heißt eine bisher fünfbändige Comic-Serie von ihm. | |
Darin erzählt Sfar von einem Rabbi aus Algerien, der mit seiner schönen | |
Tochter und deren Katze zusammen lebt. | |
Eines Nachts frisst die Katze den Papagei der Familie, kann fortan sprechen | |
und leugnet die Tat mit blutiger Nase. Der Rabbi will sie auf den rechten | |
Weg zurück bringen und studiert mit ihr die Thora und den Talmud. Die Katze | |
diskutiert mit dem Rabbi über den Glauben und bringt ihn fast an den Rand | |
des Wahnsinns. Sie ist respektlos und stellt alles in Frage: "Mein Meister | |
erklärt, dass Gott vor 5.700 Jahren und ein paar zerquetschten die Welt in | |
sieben Tagen erschuf. Ich frage ihn, ob er sich über mich lustig macht." | |
Die Katze ist schlau. Sie beobachtet die Menschen und ihr Tun von außen. | |
Gnadenlos. Auch die Schüler des Rabbis. Die Katze hat keine gute Meinung | |
von ihnen. Sie sagt: "Ich denke, dass sie zu den Huren gehen, wenn sie sich | |
unbeobachtet fühlen." Sie läuft dem Schüler nach, der sie immer tritt, wenn | |
der Rabbi nicht hinsieht. Er geht am Bordell vorbei. Die Katze: "Ich bin | |
enttäuscht. Vielleicht hat mein Meister Recht. Vielleicht sind Menschen | |
wirklich anders als Tiere. Vielleicht können sie ihre Libido sublimieren, | |
wie er sagt." | |
Die Katze des Rabbiners - eigentlich ein Kater - versucht gar nicht erst, | |
ihre Libido zu sublimieren. Sie tötet Beute, wie eine Katze eben Beute | |
tötet. Und sie begattet andere Katzen, nachts auf den Dächern. Sie lügt | |
manchmal, ist stets schlau und gewitzt. Sie ist überhaupt nicht niedlich | |
und genau deswegen habe ich sie so gern. | |
Und am Ende hat sie doch Recht gehabt. Der Schüler, der sie tritt, wenn der | |
Rabbi nicht hinsieht, geht doch ins Bordell. Ins arabische. | |
17 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Reinhardt | |
## TAGS | |
Comic | |
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