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# taz.de -- Abstimmung über Pro Reli: Die Kirche in der Schule
> Am Sonntag entscheiden die Berliner über den Religionsunterricht. Das
> deutsche Modell ist im internationalen Vergleich ein exotischer
> Ausnahmefall.
Bild: Werbegesicht für Pro Reli: Moderator Günther Jauch.
Es ist nur eine kleine Broschüre, herausgegeben von der katholischen
Bischofskonferenz. Sie dokumentiert ein Symposium, das im Frühjahr 1991 in
Rom stattfand - fast zwei Jahrzehnte vor jenem überhitzten Streit über die
Form des Religionsunterrichts in der deutschen Hauptstadt Berlin, den das
Wahlvolk an diesem Sonntag in einer Abstimmung entscheiden soll.
"Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen in Europa", lautet der
Titel des orangefarbenen Bändchens. Genauso nüchtern, wie es die
Überschrift vermuten lässt, wird dort die Rechtslage in den verschiedenen
Ländern dargestellt. Das Ergebnis: Im internationalen Vergleich ist nicht
das Berliner Modell des Ethikunterrichts die Ausnahme. Ungewöhnlich ist
vielmehr die Praxis eines konfessionellen Religionsunterrichts an
staatlichen Schulen, wie sie in 13 von 16 Bundesländern alle Reformversuche
überdauert hat.
Als der Staat den Kirchen das Schulwesen vor rund 200 Jahren aus der Hand
nahm, duldete er den Religionsunterricht zunächst noch als kirchliches
Relikt. In zwei großen Wellen ist die Erziehung zum Glauben seither aus den
Schulen Europas und Nordamerikas verschwunden - erst im Zuge der Trennung
von Staat und Kirche seit dem späten 18. Jahrhundert, dann durch die
Auflösung konfessionell geschlossener Milieus während der vergangenen
Jahrzehnte.
Vorreiter waren hierbei die klassischen Demokratien und Nationalstaaten des
Westens. In den USA ist die religiöse Erziehung schon seit 1791 aus den
Schulen verbannt, in Frankreich wurden die Religionslehrer 1886 endgültig
ausgesperrt - eine Regelung, die durch die offizielle Trennung von Staat
und Kirche 1905 besiegelt wurde. In Italien war der Religionsunterricht
nach dem Zerwürfnis mit dem Papsttum 1871 bestenfalls noch geduldet, erst
der Faschist Benito Mussolini machte ihn nach dem Abschluss des Konkordats
von 1929 wieder zur Pflicht.
Langsamer schritt die Entwicklung in den Ländern mit eigenen
Nationalkirchen voran. In Großbritannien ist seit 1988 nicht mehr die
Kirche, sondern die Schulbehörde für den Lehrplan verantwortlich. Schweden
hat den konfessionellen Unterricht durch ein weltanschaulich neutrales Fach
"Religion, Ethik, Lebenskunde" ersetzt - jenes Modell, das die Kirchen in
Berlin jetzt bekämpfen.
Allein in Deutschland verlief die Entwicklung anders. Kein anderes Land war
in seiner Geschichte so sehr vom Dualismus zweier fast gleichgewichtiger
Konfessionen geprägt. In den religionspolitischen Kämpfen der vergangenen
fünfhundert Jahre wurde Bekenntnisfreiheit immer nur dadurch hergestellt,
dass sich Katholiken und Protestanten gegenseitig in Schach hielten.
Ein laizistisches Bewusstsein konnte sich deshalb nie durchsetzen. Warum
eine Auflösung der vielfachen Verflechtungen zwischen Staat und Kirche
nötig ist, auch im wohlverstandenen Interesse der Kirche selbst, begreift
hierzulande kaum jemand - außer vielleicht jenen staatsfernen Christen aus
der früheren DDR-Opposition, die Berlins missionarischer Landesbischof
Wolfgang Huber mit seiner Kampagne für den Religionsunterricht einfach
überfuhr.
Hinzu kam die Reformresistenz des deutschen Föderalismus, der die
Glaubensspaltung begünstigt hatte und von ihr wiederum für alle Zeiten
verfestigt wurde. Nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments
beschloss die Weimarer Nationalversammlung 1919 nach langen Diskussionen
ein Staatskirchenrecht, das die Vermischung beider Sphären beibehielt. Bei
der Verabschiedung des Grundgesetzes wurden die Bestimmungen 1949 in der
Bundesrepublik übernommen, weil man sich auf Veränderungen nicht einigen
konnte.
Dabei hatten die Besatzungsmächte, allen voran die Amerikaner, auf eine
strikte Trennung von Staat und Kirche gedrungen. Durchsetzen konnten sie
sich nur in Berlin und Bremen. Das dortige Modell erhielt durch eine
Spezialklausel im Grundgesetz Bestandsschutz, von dem später auch
Brandenburg profitierte. In allen übrigen Bundesländern blockierte die
Kultusbürokratie das Vorhaben ebenso wie alle anderen Reformpläne, etwa die
Abschaffung des gegliederten Schulsystems.
Das Referendum am Sonntag ist deshalb auch ein Prüfstein für die Spielräume
von Reformpolitik in Deutschland. Mit der politischen Instrumentalisierung
der Religion haben sich die Initiatoren schon genug Schaden zugefügt.
Scheitern sie, könnten sie damit endlich den Weg bereiten zu einer
Reformdebatte auch andernorts.
23 Apr 2009
## AUTOREN
Ralph Bollmann
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