# taz.de -- Landesgartenschau I: Bunte Blumen statt Nazis | |
> Lange galt Oranienburg als "Stadt mit dem KZ". Doch das ist vorbei. Mit | |
> der Blumenschau präsentiert sich ein neues, ein anderes Oranienburg. | |
Bild: Blumen auf der Steinwalze im ehemaligen KZ Sachsenhausen | |
"Fahrradständer in der Gedenkstätte". Gut sichtbar hängt das selbst gemalte | |
Hinweisschild am Gartenzaun. Es ist das letzte Einfamilienhaus in der | |
Straße der Nationen, gleich danach beginnt das Gelände des ehemaligen | |
Konzentrationslagers Sachsenhausen. Der Hinweis der Hausbesitzer, die | |
Besucher der Gedenkstätte mögen ihre Räder nicht am Gartenzaun anschließen, | |
mag berechtigt sein. Freundlich ist er nicht. Er ist das, was man | |
landläufig unter "typisch brandenburgisch" versteht. | |
350.000 Besucherinnen und Besucher zählt die Stiftung Brandenburgische | |
Gedenkstätten jedes Jahr. Erreichen sie auf ihrem Weg durch Oranienburg - | |
vorbei an Imbissen, dem örtlichen Waffenhändler und diversen Discountern - | |
das ehemalige KZ Sachsenhausen, sind viele geschockt vom Kontrast zwischen | |
Eigenheimidylle und Ort des Grauens. Wie kann man in so einer Stadt nur | |
leben?, fragen viele. | |
Ja, wie? Gut, sagen die meisten, die es tun. Seit der Wende sind viele | |
Neubürger nach Oranienburg gezogen. Erst kamen die Bonner Beamten, später | |
die Berliner Stadtflüchtlinge. Sie haben Häuser gebaut, Kinder geboren, | |
soziale Netzwerke geknüpft. Aber leicht war das nicht - weder für die | |
Alteingesessenen noch für die Zuzügler. Erst im zwanzigsten Jahr nach dem | |
Mauerfall kann man sagen: Diese Stadt findet zu sich. | |
Viele Jahre galt Oranienburg als Ort ohne Identität, allenfalls als die | |
"hässliche KZ-Stadt nördlich von Berlin". Noch heute berichten alte | |
Oranienburger vom Gestank des Krematoriums, von auf dem Bahnsteig in | |
Sachsenhausen gestapelten Leichen, von Häftlingen, die den | |
Adolf-Hitler-Damm ausbauten - jene Bernauer Straße, auf der heute die | |
Gedenkstättenbesucher entlanggehen. | |
Zu DDR-Zeiten wurden die Oranienburger Schülerinnen und Schüler häufig | |
verpflichtet, an Veranstaltungen in der Gedenkstätte teilzunehmen, quasi | |
als Garnitur. Doch aus den Kindern von damals sind die Eltern von heute | |
geworden. Dass ihre Kinder - so wie sie einst selbst - zur Dekoration einer | |
Täterstadt werden, möchten sie nicht. Und so wird in manch einer Familie | |
das Thema "KZ-Stadt" gern ausgeblendet. | |
Lieber schaut man auf die neue Identität, an der Oranienburg fleißig | |
arbeitet - der als Oranier-Stadt. Tatsächlich hat die Stadt noch eine | |
andere, weitaus vorzeigbarere Geschichte, auch wenn die schon mehr als 350 | |
Jahre zurückliegt. 1650 nämlich schenkte der Große Kurfürst Friedrich | |
Wilhelm seiner Frau Louise Henriette von Oranien den Flecken, aus dem | |
später Oranienburg wurde. Die Niederländerin, die später einmal Mutter des | |
Preußenkönigs sein würde, ging mit Gefühl und Sachverstand daran, die | |
Gemarkung nach ihren Vorstellungen zu reformieren. Sie ließ ein Waisenhaus | |
errichten, die Nikolaikirche wiederaufbauen, und sie erließ eine für das | |
17. Jahrhundert moderne Verfassung, die Punktation. Louise Henriette holte | |
aus ihrer Heimat Fachleute und Glaubensflüchtlinge in die Stadt; die legten | |
Musterwirtschaften nach niederländischem Vorbild an. Damit schuf sie eine | |
wichtige Voraussetzung für die rasante Entwicklung Brandenburg-Preußens. | |
Kein Wunder, dass die SPD-regierte Stadt gern an diese frühe Reformerin | |
erinnern möchte. An ihre Toleranz, an ihren Pioniergeist, an ihren Erfolg. | |
Und so war es ein Glücksfall für Oranienburg, dass es den Zuschlag für die | |
Landesgartenschau 2009 erhalten hat. Aber kommt der Stadtumbau, den die | |
Landesgartenschau möglich machte, auch an? Wie denken die Oranienburger | |
über die Chancen, die sich plötzlich bieten? | |
Wie jede andere Kommune auch spiegelt Oranienburg alle gesellschaftlichen | |
Auf- und Abschwünge, Brüche, Krisen und Chancen der jüngsten Vergangenheit | |
wider. In den zwanzig Jahren seit dem Fall der Mauer ist viel passiert. Der | |
größte Arbeitgeber, das Stahlwerk, wurde geschlossen und abgerissen, an | |
seiner Stelle steht heute ein Einkaufszentrum. In der einstigen | |
Arbeiterstadt sind die größten Arbeitgeber heute die Stadt- und die | |
Kreisverwaltung sowie ein Pharmaunternehmen. | |
Eine große Bevölkerungsgruppe kehrte Mitte der Neunzigerjahre der Stadt den | |
Rücken: Die in einem Sperrbezirk, der Weißen Stadt, lebenden Soldaten der | |
russischen Streitkräfte wurden abgezogen. Statt ihrer kamen tausende | |
Russlanddeutsche, von denen die meisten bis heute in einem zentral | |
gelegenen Plattenbauviertel leben. | |
Darüber hinaus musste Oranienburg schmerzhaft erfahren, dass Demokratie und | |
Toleranz mit der Unterzeichnung eines Einigungsvertrags nicht automatisch | |
in den Köpfen der Menschen verankert wurden. Der lang verdrängte | |
Rechtsextremismus in der Stadt war bald nicht mehr zu ignorieren. Anfang | |
der 90er steckten Rechtsextreme Baracken in Sachsenhausen in Brand. 1992 | |
ermordeten zwei rechte Skinheads einen 51-jährigen Oranienburger. Schnell | |
war klar: Das sind jetzt nicht mehr "unsere Jungs", die, die wir kennen, | |
das sind radikale Schläger, die die 1989 mutig errungene Demokratie | |
bekämpfen. Ausgerechnet in Oranienburg, der Stadt mit der faschistischen | |
Vergangenheit. | |
Es musste gehandelt werden. 1997 schlossen sich Politik, Kirchen, | |
Verwaltung und Schulen zum Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt | |
zusammen, an der Spitze der alljährlich stattfindenden Antirassismusdemo | |
ging fortan der Bürgermeister. Doch die Jugendlichen, um die es ja | |
letztlich ging, erreichte man kaum. Im Gegenteil, nur schwer beeinflussbar | |
von den Erwachsenen, bildeten sich radikalisierte rechte Strukturen heraus. | |
Das Engagement der Anständigen war aufrichtig und wichtig, aber es reichte | |
noch nicht. | |
2002 jagten Skinheads einen Tunesier durch Oranienburg, rechte | |
Kameradschaften gründeten sich, sie traten immer selbstbewusster im | |
Stadtbild auf. Linke Jugendliche wurde bedroht, verfolgt und verletzt, sie | |
fühlten sich durch Mitbürger und die Polizei nicht beschützt und ernst | |
genommen. Erst nachdem bundesweit bekannt wurde, dass sich in und um | |
Oranienburg herum immer mehr Kader der Bundes-NPD niederließen, verdiente | |
das Bündnis gegen rechts auch seinen Namen. | |
Durch den Zuzug der rechten Führer, durch ihr Einwirken sogar in | |
Elternvertretungen und Kita-Ausschüssen war offenbar geworden, dass aus | |
"unseren Jungs" geschulte Kader geworden waren, die nach Einfluss suchten. | |
Das war der Moment, in dem sich endlich auch die Zuzügler und Pendler dem | |
Bündnis anschlossen. Bis dahin hatten sie es verstanden, die politischen | |
Verwerfungen in der Stadt nicht als sie betreffend wahrzunehmen. | |
Im Spätsommer 2007 schlossen sich Bürgerinitiativen, Kommunen, | |
Institutionen des gesamten Landkreises Oberhavel zum "Netzwerk für | |
lebendige Demokratie Oberhavel" zusammen. Es war ein wichtiger, längst | |
fälliger Schritt, der die neue Identität, das bürgerschaftliche Engagement | |
für eine tolerante, lebenswerte Region auf eine breite Basis stellte. Den | |
Einzug der NPD in die Stadtverordnetenversammlung zu verhindern gelang zwar | |
nicht, aber viel wichtiger für die Demokraten in Oranienburg war es, sich | |
zu vernetzen, sich untereinander zu vergewissern, dass die übergroße | |
Mehrheit demokratisch denkt. | |
Denn dass Oranienburg sich in Zeiten des demografischen Wandels um seine | |
jungen Bürger kümmern muss, dessen ist man sich längst bewusst. Die, die | |
heute die Schulen der Stadt besuchen, sollen ja später einmal die Geschicke | |
der Stadt lenken. Aus ihnen sollen gute Facharbeiter, Angestellte, | |
Akademiker werden. Jene, die später einmal Besuchern erklären können, warum | |
es sich lohnt, in dieser Stadt zu leben. Trotz all ihrer Brüche. | |
24 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
Anja Maier | |
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Beelitz | |
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