# taz.de -- Volksentscheid "Pro Reli" am Sonntag: Jeder nur ein Kreuz | |
> Die Berliner stimmen darüber ab, ob Religion freiwillig bleibt oder ein | |
> verbindliches Unterrichtsfach wird. 13 Fragen und Antworten zum | |
> Volksentscheid. | |
Bild: Ausriss aus dem Stimmzettel, den die Berliner am Sonntag bekommen | |
Um was geht es beim Volksentscheid? | |
Um die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion. "Pro Reli" will, dass | |
Religion in Zukunft ein ordentliches, versetzungsrelevantes Lehrfach wird, | |
und zwar von der ersten Klasse an. | |
Gibt es bisher keinen Religionsunterricht in Berlin? | |
Doch. Anders als in vielen anderen Bundesländern ist er aber freiwillig. | |
Rund die Hälfte aller Berliner Schülerinnen und Schüler hat das Fach | |
belegt. 88.000 Kinder und Jugendliche besuchten im vergangenen Schuljahr | |
den evangelischen, 25.000 den katholischen Religionsunterricht. Über 45.000 | |
wählten das Fach Lebenskunde, das der Humanistische Verband anbietet. Vor | |
allem in den Grundschulen sind die Teilnehmerzahlen hoch, in den | |
Oberschulen niedriger. Der Senat finanziert den konfessionellen und | |
weltanschaulichen Unterricht zu 90 Prozent. | |
Warum regen sich die Kirchen dann so auf? | |
Der rot-rote Senat hat 2006 das Fach Ethik als Pflichtfach für die Klassen | |
7 bis 10 eingeführt. Die Kirchen beklagen nun, dass in diesen Jahrgängen | |
das Interesse am Religionsunterricht abnimmt, weil den Jugendlichen das | |
Zusatzfach zu viel wird. Die Teilnehmerzahlen in den siebten Klassen seien | |
seit dem Schuljahr 2005/2006 von 34 auf 29 Prozent zurückgegangen, sagt ein | |
Sprecher der evangelischen Kirche. | |
Und was hat das alles mit Freiheit zu tun, wie "Pro Reli" behauptet? | |
Das wüssten wir auch gerne. | |
Was passiert, wenn die Initiative gewinnt? | |
Dann werden die Schüler aller Jahrgänge in Zukunft zwischen Ethik, | |
Lebenskunde oder dem Religionsunterricht der verschiedenen Konfessionen | |
wählen. | |
Was findet der Senat daran so schlimm? | |
Der Senat hat das Pflichtfach Ethik nach dem so genannten Ehrenmord an | |
Hatun Sürücü eingeführt. Im Ethikunterricht sollen Schüler | |
unterschiedlicher Herkunft über Werte diskutieren. Im Idealfall lernen sie, | |
sich zuzuhören und die Position des anderen zu verstehen. Wenn "Pro Reli" | |
gewinnt, wählen voraussichtlich viele christliche Schüler den evangelischen | |
oder katholischen Unterricht, viele Muslime den islamischen Unterricht. | |
Andere belegen Ethik oder Lebenskunde. Der gemeinsame Ethikunterricht für | |
ganze Klassen fällt dann weg. Das schadet der Integration, befürchten der | |
Senat und das Bündnis "Pro Ethik". | |
Wie viele Stimmen braucht "Pro Reli", um zu gewinnen? | |
Beim Volksentscheid sind wie bei Abgeordnetenhauswahlen all jene | |
stimmberechtigt, die volljährig sind und einen deutschen Pass haben. Rund | |
2,45 Millionen Berliner können an die Urne gehen. Um zu gewinnen, braucht | |
"Pro Reli" die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Zudem gibt es die Hürde | |
des Quorums: Mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten müssen Ja | |
ankreuzen, damit "Pro Reli" durchkommt. Das sind 612.000 Stimmen. | |
Kann ich zuhause bleiben, wenn ich gegen "Pro Reli" bin? | |
Besser nicht. Man kann natürlich darauf spekulieren, dass die Initiative | |
die 612.000 Ja-Stimmen nicht zusammen bekommt und sowieso scheitert. Das | |
ist aber riskant: Zum einen könnte die Initiative das Quorum doch knacken. | |
Zum anderen geht es auch um das politische Signal. Wenn nicht genug | |
Nein-Wähler zur Abstimmung gehen, proklamieren die Kirchen und "Pro Reli" | |
den Sieg für sich - selbst wenn sie am Quorum scheitern. | |
Was passiert in den Schulen, wenn "Pro Reli" gewinnt? | |
Die Bildungsverwaltung stünde dann vor einer wirklich großen | |
Herausforderung: Sie geht davon aus, dass insgesamt rund 80 zusätzliche | |
Religions- und Ethiklehrer gebraucht würden, um alle Jahrgangsstufen | |
abzudecken. Da es sich um versetzungsrelevante Fächer handelt, benötigten | |
diese Lehrer - anders als bisher - das zweite Staatsexamen oder den | |
Abschluss in einem entsprechenden Fachstudium. Auch der Stundenplan müsste | |
umorganisiert werden. Rund vier Millionen Euro Mehrkosten jährlich kämen | |
auf das Land zu, schätzt die Verwaltung. 1,6 Millionen Euro würde die | |
Umstrukturierung einmalig kosten. Das Geld für die Neuerungen ist im | |
Haushalt bislang nicht vorgesehen, es müsste anderswo abgezwackt werden. | |
Würde dann auch der islamische Religionsunterricht stärker vom Senat | |
kontrolliert werden? | |
Nein, sagt die Bildungsverwaltung. Die staatliche Kontrolle sei aufgrund | |
der Religionsfreiheit in jedem Fall begrenzt, so ein Sprecher. Der Staat | |
müsse sich zwar um die Organisation des Unterrichts kümmern, für die | |
Inhalte seien aber die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften | |
verantwortlich - vorausgesetzt natürlich, sie bewegen sich im Rahmen des | |
Grund- und Schulgesetzes. | |
Muss sich der Senat an das Votum der Berliner halten? | |
Ja. Anders als beim ersten landesweiten Volksentscheid über den Flughafen | |
Tempelhof stimmen die Berliner diesmal über einen Gesetzentwurf ab. Gewinnt | |
"Pro Reli", ist es so, als hätte das Abgeordnetenhaus das Gesetz | |
beschlossen. Der Senat muss die neuen Regelungen dann umsetzen. | |
Was passiert, wenn "Pro Reli" verliert? | |
Nichts. Alles bleibt, wie es ist. | |
Und was muss ich tun, wenn ich finde, Religion gehört überhaupt nicht in | |
die Schule? | |
Zunächst mal mit "Nein" stimmen. Und dann ein neues Volksbegehren "Contra | |
Reli" starten. | |
25 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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Gebot. |