| # taz.de -- Montagsinterview mit Sascha Lobo: "1.-Mai-Randale ist pubertärer S… | |
| > Sascha Lobo ist in der Krise in einer glücklichen Lage: Der Autor und | |
| > Blogger hat mehrere Berufe. Zum "Tag der Arbeit" schwebt ihm eine | |
| > Demonstration der "digitalen Boheme" vor. | |
| Bild: "Ich habe mich schon immer gefühlt, als hätte ich einen inneren Irokese… | |
| taz: Herr Lobo, was machen Sie am 1. Mai, dem "Tag der Arbeit"? | |
| Sascha Lobo: Das habe ich noch nicht festgelegt. Das liegt aber daran, dass | |
| ich ganz selten im Vorhinein festlege, was ich in der Zukunft mache. Ich | |
| werde vermutlich - wie ich das in den vergangenen Jahren gemacht habe - ein | |
| bisschen auf Skates durch Berlin fahren und mir anschauen, was los ist. | |
| Warum gehen Sie nicht zu einer der zahlreichen Demonstrationen? | |
| Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass die Demonstrationen am 1. Mai | |
| nicht das Instrument sind, das ich bevorzuge, um die Gesellschaft im | |
| Bereich Arbeit mitzugestalten. Ich bevorzuge eher die direkte politische | |
| Arbeit. Das hängt auch damit zusammen, dass mir Massenbewegungen im | |
| politischen Bereich immer ein leichtes Unwohlsein bescheren. | |
| Warum? | |
| Vor allem, weil ich das Gefühl habe, dass die für mich sehr wichtigen | |
| Zwischentöne in so einer großen Masse komplett ausgeblendet werden. | |
| Wie würden Sie einen "Tag der Arbeit" würdevoll begehen? | |
| Ich würde eine Art digitale Boheme-Demonstration veranstalten. | |
| Also für die Freiberufler, die mithilfe der digitalen Medien und des | |
| Internets ihr Geld verdienen. Wie würde so eine Demo aussehen? | |
| Da gehen Leute dafür auf die Straße, dass die Sozialsysteme so geändert | |
| werden, dass auch kleine Selbstständige und Freiberufler mit einbezogen | |
| werden. Zum Beispiel dafür, dass das Rentensystem steuerfinanziert werden | |
| soll. Ich bin ein großer Fan des Umverteilungsprinzips. Aber wie es im | |
| Moment geregelt ist, ist es ungerecht, weil es auf einem | |
| Gesellschaftsstatus der 50er- und 60er-Jahre aufbaut. | |
| Ist es auch das, was Sie an einer gewerkschaftlichen Position stört? | |
| Ja. Ich glaube zwar, dass Gewerkschaften nötig sind, das Problem ist aber, | |
| dass sie sehr erstarrt sind. Ich glaube auch, dass die Gewerkschaften das | |
| wissen - sie können es aber schwer ändern, da die Klientel ebenfalls | |
| erstarrt ist. | |
| Zum Beispiel? | |
| Etwa, was Überstunden angeht. Wie viele Jobs könnten neu geschaffen werden, | |
| wenn Überstunden stärker reglementiert wären? Aber dann würden die | |
| Facharbeiterlegionen auf die Barrikaden gehen und sofort die Gewerkschaft | |
| verlassen. Es ist eine ganz klare Klientelpolitik - und zwar eine für | |
| Festangestellte. | |
| Wie stehen Sie generell zu den Nebenwirkungen des 1. Mai? | |
| Ich halte die Randale, die an diesem Tag und in seinem Umfeld stattfinden, | |
| für erbärmlich. Den Leuten kann man beim besten Willen keine sinnvolle | |
| politische Agenda des Aufstands unterstellen. Ich weiß nicht, ob es zu | |
| irgendeinem Zeitpunkt sinnvoll ist, Autos anzuzünden - ich glaube nicht. | |
| Ich sehe aber ganz deutlich, dass es nur um die Lust an der Randale geht, | |
| und dadurch wird das politische Ziel diskriminiert und diskreditiert. | |
| Insofern halte ich das für pubertären Scheiß. | |
| Sie schreiben, bloggen, verkaufen Werbung, sitzen in Beiräten, machen | |
| Seminare, ein eigenes Büro aber haben Sie nicht. Warum nicht? Würden Sie es | |
| nicht aushalten, nur an einem Ort zu sein? | |
| Ich hatte mal ein eigenes Büro, jetzt aber nicht mehr. Dafür gibt es zwei | |
| Gründe. Der eine ist, dass ich ADS habe, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. | |
| Damit hat man immer so eine unstete Grundhaltung. Der zweite Punkt ist, | |
| dass ich von meiner Umwelt immer Einflüsse brauche, um richtig zu | |
| funktionieren. Ich brauche das Gefühl, mitten im Trubel zu sein, und das | |
| hat man in Cafés viel eher als in Büros. Im Büro würde ich eher | |
| irgendwelchen anderen Quatsch machen, um mich abzulenken, und könnte am | |
| Ende gar nicht mehr richtig arbeiten. | |
| Festangestellt waren Sie aber auch mal. | |
| Das waren knapp sechs Monate, im Jahr 2003 in einer Werbeagentur. Da war | |
| ich Kreativdirektor für Internet und so n Zeug. Ich habe gemerkt, dass ich | |
| innerhalb einer Festanstellung wesentlich schlechter funktioniere. Die | |
| Arbeit fließt nicht dann aus mir heraus, wenn ich das einplane, sondern da | |
| müssen eine ganze Reihe von Faktoren stimmen. Zum Beispiel muss stimmen, | |
| dass ich nicht von morgens um 9 bis abends um 18 Uhr im Büro sitze und mein | |
| Gesicht in die Landschaft halte, sondern dass ich hier so durch die Gegend | |
| fahre und dann mal gucke, ob es geht - und wenn es nicht geht, mach ichs | |
| später oder morgen oder überhaupt nicht. | |
| In einer Festanstellung im Büro muss man gerade in kreativen Berufen meist | |
| im Team arbeiten, Sie alleine im Café eher nicht. Sind Sie nicht so der | |
| Teammensch? | |
| Ja und nein. Ich habe mich vor einiger Zeit erschrocken, als ich merkte, | |
| dass ich gar nicht so wahnsinnig stark der Teamplayer bin, wie ich immer | |
| dachte. Auf der anderen Seite habe ich mit den Leuten, mit denen ich | |
| zusammenarbeite, ein ganzes Instrumentarium an Onlinezusammenarbeit | |
| etabliert. Will sagen: Die Teamarbeit funktioniert nur manchmal persönlich, | |
| aber immer übers Netz. | |
| Stellen Sie sich jemanden vor, der gerade die Schule abgeschlossen hat und | |
| jetzt unbedingt "digitaler Bohemien" werden will. Was würden Sie ihm raten? | |
| Ich würde ihm raten, eine Ausbildung zu machen. Ob das eine Uni ist oder | |
| Fachhochschule oder eine Lehre, muss er selbst entscheiden. Ich würde ihm | |
| außerdem raten, mal eine Festanstellung auszuprobieren. Das schadet nichts, | |
| wenn man als junger Mensch mal in diese Giftgrube hineinsteigt. Das habe | |
| ich ja auch gemacht. Und sie sollen das genau in dem Bereich tun, den sie | |
| gerne mögen. | |
| Woher kommt die Erfahrung, dass der eigene Antrieb, das Interesse an der | |
| Arbeit so wichtig sind? | |
| Es ist sicher Teil meiner antiautoritären Erziehung. Ich bin in Westberlin | |
| aufgewachsen. Meine Eltern haben mir nie etwas verboten. Ich hatte das | |
| Gefühl, ich bin völlig frei, ich kann alles machen. Das muss ich meinen | |
| Eltern hoch anrechnen. Das halte ich für den Grund, dass ich zum einen ein | |
| ganz gut ausgeprägtes Selbstbewusstsein habe und zum Zweiten genau das tue | |
| mit Freude, was mich interessiert. Nicht immer, aber ich arbeite darauf | |
| hin. 100 Prozent nur das tun, was man möchte, ist ganz schwierig möglich | |
| und vielleicht sogar schädlich. | |
| Gibt es jenseits des Lustprinzips Jobs oder Aufträge, die Sie ablehnen | |
| würden, weil sie mit Ihrem Gewissen nicht vereinbar sind? | |
| Ja, na klar. Der Begriff Lustprinzip ist aber fehl am Platze, weil er | |
| impliziert, dass man nur noch macht, was einem Spaß macht. Ich glaube, es | |
| ist eher umgekehrt. Man hat eine Verantwortung sich selbst und der Welt | |
| gegenüber. Wie scheiße ist man eigentlich zu seinem direkten persönlichen | |
| Umfeld, wenn man seinen Job hasst? Die Antwort ist: sehr scheiße. Also habe | |
| ich auch sozial die Pflicht, etwas zu tun, was mich zu einem freundlichen | |
| und besseren Menschen macht. Das ist ein ganz gravierendes Problem dieser | |
| Gesellschaft, dass Menschen mit den Dingen, die sie tun, extrem unzufrieden | |
| sind. Und sich aus irgendeinem Grunde nicht trauen, das zu verändern. Wenn | |
| sie etwas zufriedener wären, dann wären sie bessere Menschen, die | |
| Gesellschaft eine bessere, und es würden sich auch nicht so wahnsinnig | |
| viele Menschen gegenseitig auf den Sack gehen. | |
| Die Frage war ja, welche Sachen würden Sie nicht machen … | |
| Ich habe mal scherzhaft gesagt, als Werber habe ich fast sämtliche | |
| Moralschranken fallen lassen müssen. Aber ich habe kürzlich ein Interview | |
| mit der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit abgelehnt. Ich möchte mit | |
| denen nicht sprechen. | |
| Wie hoch ist eigentlich der Anteil von Selbstvermarktung an Ihrer Arbeit? | |
| 50 Prozent. Ich mache eigentlich ganz, ganz wenig Sachen, die nicht einen | |
| kleinen Teil Selbstvermarktung in sich tragen. | |
| Ihre Frisur ist auch Teil dieser Selbstinszenierung? | |
| Auf jeden Fall. Das ist schon eine Frisur, die verschiedene Funktionen | |
| erfüllt. Ich habe mich schon immer gefühlt, als hätte ich einen inneren | |
| Irokesenschnitt. Der ist irgendwann nach außen gewachsen. Außerdem will ich | |
| zeigen, dass ich einen anderen Ansatz habe. Dazu gehört für mich, sich über | |
| die Frisur auszudrücken. Diese Frisur sagt auch, dass ich offenbar nicht | |
| jeden Tag in ein Büro oder eine Bank gehen muss, um meine Brötchen zu | |
| verdienen. | |
| Sie wollen mit dem Iro Aufmerksamkeit bekommen? | |
| Auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel auf der Frankfurter Buchmesse unser | |
| Buch vorgestellt. Es waren wahnsinnig viele Autoren da, die alle gleich | |
| aussehen. Ich wollte einen Fotoanlass bieten. Das hat auch den Vorteil, | |
| wenn man mich einmal trifft, dann merkt man sich das in den meisten Fällen: | |
| einfach weil es komisch aussieht oder weil es ein großer Kontrast ist. Das | |
| nützt einem. | |
| Ihre erste Firma ist 2001 der New-Economy-Blase zum Opfer gefallen. Sind | |
| Sie inzwischen krisenresistenter? | |
| Resistenter ja, resistent nein. Ich habe für mich dazugelernt: Für meine | |
| erste Firma musste ich Insolvenz anmelden, musste meinen Bruder und meine | |
| Freundin damals entlassen - mehr als 60 Menschen musste ich in meiner | |
| Laufbahn entlassen. Die Firma ist damals auch schiefgegangen, weil wir | |
| alles Geld verprasst haben. | |
| Sie sind also auch selbst daran schuld? | |
| Wir sind nicht nur an der Blase gescheitert, sondern auch an unserer | |
| eigenen Haltung. Wir haben einen Audi A8 geleast, haben 30 Leute | |
| eingestellt, obwohl wir Arbeit für fünf hatten, wir haben irgendwann | |
| gedacht, wir müssen jede Woche einen einstellen, einfach weil es so sein | |
| muss. Das ist natürlich eine bescheuerte Haltung. Und diese Haltung habe | |
| ich inzwischen - sagen wir mal - geringfügig verbessert. | |
| Inwiefern? | |
| Ich versuche zum Beispiel nicht mehr, alles Geld auszugeben. Ich würde es | |
| nicht sparen nennen, aber zumindest etwas zurückzulegen für die Steuer. | |
| Ist diese Krise jetzt eigentlich auch die Stunde der "digitalen Boheme"? | |
| Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich kann mir mehrere Entwicklungen | |
| vorstellen: Zum einen versuchen jetzt natürlich Unternehmen, wenn sie | |
| Aufträge bekommen, bloß keinen einzustellen, sondern zusätzliche Arbeit | |
| über Freie zu erledigen. Das ist eher gut für die digitale Boheme. Ein | |
| schwieriger Punkt ist, dass ganz viele Freie in Kultur, Marketing und | |
| Medien arbeiten. Denen geht es in der Krise nur ganz begrenzt gut. Es ist | |
| viel weniger Werbegeld da, das trifft die Medien, das trifft auch | |
| Kulturprojekte. | |
| Wie sieht es bei Ihnen persönlich aus? | |
| Ich klopfe jetzt erst mal auf Holz - ich habe gut zu tun. Das hängt aber | |
| auch damit zusammen, dass ich wirtschaftlich auf ganz vielen Beinen stehe. | |
| Ich habe ja mehrere Berufe, mit denen ich Geld verdiene, und ich kann | |
| eigentlich mit jedem einzelnen überleben. | |
| Woran werden Sie heute den Rest des Tages arbeiten? | |
| Ich habe noch ein Interview mit dem ZDF, und heute Abend treffe ich den | |
| Geschäftsführer einer Mediendesign-Agentur. Zwischendurch werde ich ein | |
| paar Mails fertig machen. Und ich versuche endlich in mein Buch | |
| reinzukommen: Ich schreib ja über die Zeit in der New Economy meinen ersten | |
| Roman, und da habe ich jetzt gar nicht mehr so viel Zeit, um zu zeigen, | |
| dass ich das tatsächlich auch hinbekomme. | |
| Wann haben Sie heute Feierabend? | |
| Der Termin um 19.30 Uhr mit dem Geschäftsführer der Agentur ist ein | |
| Abendessen. Ich würde das noch nicht mal als Arbeit empfinden. Ich lerne | |
| gerne Leute kennen und rede gern auch privat darüber, wie eigentlich Medien | |
| funktionieren. Man kann also entweder 19.30 Uhr sagen oder - wenn man ganz | |
| genau sein will - 21.07 Uhr, wenn wir zu Ende gegessen haben. | |
| 27 Apr 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
| Grit Weirauch | |
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