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# taz.de -- Intersexualität: Identität unterm Skalpell
> Über Operationen an zwischengeschlechtlichen Kindern debattiert heute die
> Hamburger Bürgerschaft. Während Ärzte auf Erfolge verweisen, sind
> AktivistInnen für ein Ende der Eingriffe.
Bild: Mann - Frau, Nichtmann - Nichtfrau: mit dem binären Identitätsmodell ko…
Mit Geschlechtsorganen befassen sich heute Mitglieder der Hamburger
Bürgerschaft. Dabei geht es weniger um anatomische Details als um die
Bedeutung, die wir ihnen verleihen und um die Vorstellung, wie sie aussehen
dürfen - und wie nicht. Damit will erstmals ein Landesparlament den
"politischen Handlungsbedarf bei der Regelung für ärztliche Behandlungen
von Hermaphroditen" ausloten - so der Titel der heutigen Anhörung des
Gesundheitsausschusses.
Initiiert haben die Expertenbefragung die Fraktionen von SPD und
Linkspartei, die im vergangenen halben Jahr mehrere Anfragen an die
Landesregierung zum Thema Intersexualität - früher waren die Begriffe
"Zwitter" und "Hermaphroditen" gebräuchlich - gestellt hatten. Zwar sei der
Handlungsspielraum gering, räumte gestern die SPD-Gesundheitspolitikerin
Anja Domres ein, da sie Ärzten keine Vorschriften machen könnten. Sie hoffe
aber, "eine breite Diskussion" anzustoßen.
Seit einigen Jahren wird ausführlich darüber berichtet, wie Menschen, die
sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen,
ihr Leben lang darunter leiden, wenn Ärzte eine eindeutige
Geschlechtszugehörigkeit mit dem Skalpell herstellen. Betroffene berichten
von entwürdigenden und schmerzhaften Behandlungsmethoden, schildern, wie
sie als medizinische Versuchsobjekte dienten und im Glauben aufwuchsen, sie
seien verabscheuungswürdige Monster, ohne jemals den Grund für die Torturen
zu erfahren.
Eine Studie des Hamburger Instituts für Sexualforschung aus dem Jahr 2007
bewies, dass die es bei Intersexuellen doppelt so oft zu selbstverletzendem
Verhalten und Selbstmord kommt wie bei der Normalbevölkerung. Zwar gibt es
mittlerweile ärztliche Richtlinien, die dazu raten, mit einer medizinischen
Behandlung zu warten, bis die Betroffenen alt genug sind, um entscheiden zu
können, ob sie Junge, Mädchen oder etwas Drittes sein möchten. Dennoch
befürchten Intersex-AktivistInnen, dass immer noch zu häufig Kinder an den
Genitalien beschnitten würden, weil die Gesellschaft nur zwei Geschlechter
kennt und Eltern deshalb glauben, im Interesse ihrer Kinder zu handeln,
wenn sie eine Klitoris verkleinern oder eine künstliche Scheide schneiden
lassen. Nach einer aktuellen Studie der Universität Lübeck werden vier
Fünftel aller Kinder operiert, nicht alle werden über die Gründe
aufgeklärt.
Einen Stopp dieser Operationen fordert die Vorsitzende des Vereins
Intersexueller Menschen, Lucie Veith, die heute aus Sicht der Betroffenen
die Situation in Deutschland und speziell an Hamburger Kliniken schildern
wird. "Den Eltern wird suggeriert, dass man ein Geschlecht umwandeln oder
angleichen kann", sagt Veith, "aber das geht schief". Der Grund:
Intersexuelle seien weder Mann noch Frau. Regelmäßig, erzählt die
53-Jährige, habe sie als Beraterin ihres Selbsthilfevereins Kontakt zu
verzweifelten Eltern oder Jugendlichen, die zu ihr kämen, wenn die
Operation und die Hormongaben nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
"Das sind Menschenrechtsverletzungen", sagt sie und verweist auf einen
Bericht der Vereinten Nationen vom Februar, der die Bundesregierung
auffordert, die Menschenrechte von Intersexuellen besser zu schützen.
Dass Operationen nicht per se zu verurteilen sind, sondern durchaus im
Interesse der Betroffenen sein können, werden die Abgeordneten heute von
einem Teil der weiteren geladenen Experten und Expertinnen hören,
beispielsweise dem Lübecker Professor für Kinder- und Jugendmedizin, Olaf
Hiort, einem der führenden Spezialisten für die Behandlung von
intersexuellen Kindern. Er verweist unter anderem auf verbesserte
Operationsmethoden, die sexuelle Empfindsamkeit erhalten sollen, statt wie
früher zu zerstören. Wie der ebenfalls geladene Psychotherapeut Knut
Werner-Rosen warnt er davor, den Betroffenen jetzt mit umgekehrtem
Vorzeichen vorzuschreiben, was richtig für sie sei. Schließlich, das hat
die Hamburger Intersex-Studie ergeben, gibt es erwachsene Intersexuelle,
die mit ihrer damaligen Behandlung zufrieden sind.
Auf alle Fälle wird die Leiterin der Hamburger Studie, Hertha
Richter-Appelt, den Abgeordneten deutlich machen, dass Intersexualität den
ganzen Menschen betrifft und nicht nur seine Geschlechtsteile. Eine
Konsequenz, sagt die SPD-Politikerin Domres, könnte eine
Bundesratsinitiative zur Änderung des Personenstandrechts sein, das eine
Festlegung auf eins von zwei Geschlechtern vorschreibt. Eine andere - und
da ist sie sich mit der Aktivistin Lucie Veith einig - wäre die Forderung
nach einem Beratungszentrum für verunsicherte Eltern.
28 Apr 2009
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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