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# taz.de -- Debatte Internetsperren: Ein Netz voller Stoppschilder
> Der Staat beginnt, seine Verbote auch in der virtuellen Welt
> durchzusetzen. Das gesellschaftliche Klima könnte sich spürbar verändern.
Früher war ein Verbot ein Verbot. Dann kam das Internet. Vieles, was in
Deutschland illegal ist - Bilder, Texte, Dienstleistungen -, findet man oft
auf Webseiten im Ausland, wo andere oder gar keine Gesetze gelten. Bald
könnte es aber mit der entspannten Anarchie zu Ende sein. Die
Bundesregierung plant erstmals die Sperrung illegaler ausländischer
Onlineangebote. Am Mittwoch wird der Bundestag über einen Gesetzentwurf zur
Blockade von Kinderpornoseiten beraten. Kritiker sehen darin zu Recht einen
Testballon für ein Internet voller Stoppschilder.
Dabei ist die erste Schlacht fast verloren. Denn Familienministerin Ursula
von der Leyen wird ihr Projekt wohl durchbekommen. Zu skrupellos erklärt
sie alle Kritiker zu Sympathisanten oder Profiteuren des organisierten
Kindesmissbrauchs. Mithilfe des BKA leugnet sie einfach weg, dass es auf
frei zugänglichen Websites inzwischen so gut wie keine Kinderpornografie
mehr zu sehen gibt. Weil das Risiko der Strafverfolgung auch im Ausland zu
hoch ist, hat sich die Szene längst in geschlossene Nutzergruppen und
Handynetzwerke verlagert.
Schon deshalb werden die Netzsperren wohl schnell ausgeweitet. Neben
Kinderpornografie wird dann im Internet auch die (ebenfalls verbotene)
Pornografie mit Jugendlichen gebannt. Denn nur so kommen wenigstens einige
hundert Websites auf die sonst peinlich leeren Sperrlisten - und nur so
kann von der Leyen behaupten, es seien einige hunderttausend Seitenaufrufe
verhindert worden. Auch im Ausland ist rhetorisch viel von
Kinderpornografie die Rede und wird vor allem Jugendpornografie auf die
Sperrlisten gesetzt.
Wenn das Kinderpornosperrgesetz so zum Erfolg manipuliert wurde, werden
sich bald andere Interessenten melden: Die Musikindustrie will illegale
Downloadseiten sperren, die staatlichen Lotto-Gesellschaften wollen
verbotene Internet-Glücksspiele bannen, und der Verfassungsschutz will den
Zugang zu strafbaren Bombenbauanleitungen verhindern. Sie alle werden
darauf verweisen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf und
Verbote selbstverständlich auch im Netz durchgesetzt werden müssen.
Dem haben die Netzaktivisten bisher wenig entgegenzusetzen. Der Hinweis,
dass die jetzt vorgesehenen Sperren leicht zu umgehen sind, wird die
Politik nur ermutigen, von den Providern künftig effektivere und teurere
Sperrtechniken zu verlangen.
Und die Prophezeiung der Kritiker, dass bald auch legale Inhalte gesperrt
werden, trifft nicht den Punkt. In Deutschland ist schließlich genug
verboten. Es wird den Behörden völlig ausreichen, wenn sie künftig all
diese Verbote auch im Internet durchsetzen können. Und natürlich kann
jeder, dessen legale Website zu Unrecht gesperrt wurde, dagegen klagen. Mit
einer einstweiligen Verfügung ist er binnen weniger Tage wieder online (und
als Zensuropfer zudem noch berühmt).
Auch auf die Informationsfreiheit des Grundgesetzes können sich die Freunde
des freien Internets nur bedingt berufen. Zwar ist der Zugriff auf jedes
allgemein zugängliche Netzangebot grundrechtlich geschützt, aber der Staat
kann auch in dieses Grundrecht eingreifen, wenn er eine gesetzliche
Ermächtigung dafür hat. Die Internetsperre ist insofern nur ein weiteres
Instrument zur Durchsetzung eines allgemeinen Verbots, genauso wie zum
Beispiel die Beschlagnahme von Filmen oder Druckwerken.
Mit den Argumenten der Netzaktivisten setzt sich bisher nur deshalb kaum
jemand auseinander, weil die Politiker erst mal die Kinderpornosperren
durchbringen wollen und angeblich nichts Weiteres planen. In der nächsten
Phase der Diskussion muss die Freiheit des Internets aber mit weiteren
Argumenten verteidigt werden.
Dann ist etwa zu diskutieren, ob im Internet quasi gewohnheitsrechtlich
keine nationalstaatlichen Verbote durchgesetzt werden. Immerhin sind
bereits ein, zwei Generationen mit dieser neuen Freiheit aufgewachsen, und
auch Ältere haben sich längst an sie gewöhnt. Wenn der Staat plötzlich
begänne, alle Verbote auch im Internet rigoros zu exekutieren, würde dies
das gesellschaftliche Klima spürbar in Richtung China verändern. Bisher hat
das unzensierte Internet jedenfalls deutlich mehr atmosphärischen Nutzen
gebracht als konkreten Schaden angerichtet. Dieses Argument wird man aber
wohl nur politisch durchsetzen können. Mal sehen, welchen Rückhalt eine
solche Position im traditionell ordnungsliebenden Deutschland erhält.
Internetsperren sollten jedenfalls höchstens bei Gefahr für Leib und Leben
infrage kommen. Kommerziellen Gesetzesverstößen kann ohnehin leichter die
Basis entzogen werden, indem Zahlungen an die entsprechenden Konten
unterbunden oder strafverfolgt werden. Zugleich könnte auch manches Verbot
schon im Ansatz juristisch und politisch infrage gestellt werden. In vielen
Fällen, gerade bei der Einschränkung des politischen Diskurses, ist ja das
Verbot an sich das Problem, während die befürchtete Internetsperre nur ein
Symptom wäre.
So hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren immer mehr politische
Agitation als strafbare Volksverhetzung eingestuft, und auch Demoverbote
wurden in Bund und Ländern gesetzlich erleichtert. Das Verfassungsgericht
könnte und sollte manches hier einfach als unverhältnismäßig und damit
verfassungswidrig beanstanden. Oder nehmen wir die Musiktauschbörsen. Trotz
jahrelanger Verbote gibt es sie weiter in der ein oder anderen Form.
Vielleicht denkt die Politik doch bald über eine Legalisierung und den
Übergang zu einer pauschal bezahlten Kulturflatrate nach …
Wer zu bequem ist, für das freie Internet zu kämpfen, könnte sich auf den
Glauben zurückziehen, dass das Netz sowieso nicht regulierbar ist und dass
es für jede Sperre wieder neue Schlupflöcher gibt. Aber kann man sich
darauf wirklich verlassen? Sicherheitshalber sollten wir uns doch mit der
Vorstellung auseinandersetzen, dass der digitale Karneval nicht ewig
regiert.
3 May 2009
## AUTOREN
Christian Rath
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