# taz.de -- Diskussionsforum zum Kirchentag: Brauchen wir Gott in der Schule? | |
> Ist es notwendig, dass in Schulen eine Werteerziehung stattfindet? Wie | |
> sollte sie aussehen - und braucht es dazu einen Gottesbezug? Taz-Autor | |
> Robert Misik hat darüber nachgedacht. Und was meinen Sie? Diskutieren Sie | |
> mit. | |
Bild: Eignet sich das Setting Schule überhaupt für Werteunterricht? | |
Das womöglich Enttäuschendste zuerst: Die Diskussion über „Werteerziehung�… | |
in der Schule wird derzeit so geführt, als könnten entweder Ethik- oder | |
Religionsunterricht unsere lieben Kleinen zu moralischen Individuuen | |
machen. Ehrlicherweise muss man voraussetzen, dass beides nicht so leicht | |
klappt. Unterrichtsfächer – egal ob sie Ethik oder Religion heißen – sind | |
eher ungeeignet für das Unterfangen. Werte werden durch Exempel vermittelt, | |
also etwa durch Menschen, die sich gerecht verhalten. Da kann der | |
Biologielehrer, der sich gerecht verhält, oder der Mathematiklehrer, der | |
sich ungerecht verhält (und gegen dessen Ungerechtigkeit sich dann | |
vielleicht die Klassengemeinschaft erhebt), womöglich mehr an | |
Herzensbildung zustande bringen, als irgendein Lehrer, dessen | |
Unterrichtsgegenstand Werte sind. | |
Meist werden die Kids die Ohren zuklappen, wenn er den Klassenraum betritt. | |
Schule ist eben Schule, Schüler sind eben Schüler. Man kann über | |
„Werteerziehung“ nicht sprechen, und vom spezifischen Setting der Schule | |
absehen. | |
Dies vorausgesetzt, spricht freilich nichts dafür, dass ein religiös, was | |
in der Praxis heißt: konfessionell gebundener Religionsunterricht ein mehr | |
an Moralität und friedlichem Zusammenleben fördert. Zunächst konzentriert | |
er in seinem Unterricht die Angehörigen einer Konfession, er fördert also | |
den Rückzug in die eigene Identität. Er unterbricht die gemeinsame | |
Diskussion über Werte. | |
Die Betonung der eigenen religiösen Identität und die Abgrenzung gegenüber | |
anderen religiösen Identitäten macht die Welt aber nicht besser – um es | |
vorsichtig zu sagen. Der Durchschnittsgläubige wird den Nachbarn dann als | |
„Anderen“ erleben, der überspannte Gläubige wird ihn als „Ungläubigen�… | |
sehen, der durchgeknallte Gläubige wird sich an einer Autobusstation in die | |
Luft sprengen (gut, letzteres kommt in unseren Breiten eher selten vor). | |
Die Debatte, wie sie von religiöser Seite in den letzten Jahren immer | |
wieder angezettelt wird, hat aber freilich einen Subtext, der über die | |
Frage konfessionellen Unterrichts hinausgeht. Es wird unterstellt, | |
Individuen wären moralischer, wenn sie einen Gott über sich wähnten, wenn | |
sie religiös gebunden sind. Säkularisierung wird in dieser Perspektive als | |
große Verwirrung gesehen. Die Leute wissen nicht mehr, wo sie Halt suchen | |
sollen und können Gut von Böse nicht mehr unterscheiden – so in etwa | |
funktioniert die Argumentationskette. | |
Wenn wir uns an die Fakten halten, dann wurden aber gerade in den | |
vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren viele Böswilligkeiten begangen, weil | |
Menschen meinen, ihr Glaube verlange das von ihnen. Ethnische Säuberungen | |
in Kroatien, Serbien, Bosnien, 11. September, der „Kampf der Kulturen“, | |
„Wir“ gegen die „Muslime“, Mordanschläge auf Ärzte in Abtreibungsklin… | |
Das sind, gewiss, Extreme. Aber auch wenn wir uns einigermaßen objektiv | |
(soweit das möglich ist) an Fakten halten, stellt sich die Sache so dar: Es | |
gab in der Geschichte viele gläubige Menschen, die sich ihres Glaubens | |
wegen gut verhalten haben. Aber es gab auch viele Menschen, die sich ihres | |
Glaubens wegen schlecht verhalten haben. | |
Amerikanische Christen haben ihres Glaubens wegen gegen die Sklaverei | |
gekämpft – aber viele amerikanische Christen haben mit religiösen | |
Argumenten die Sklaverei legitimiert. Viele Menschen ohne religiösen | |
Glauben haben leidenschaftlich gegen Ungerechtigkeiten gekämpft – und viele | |
Menschen ohne religiösen Glauben haben Ungerechtigkeiten begangen. | |
Dass mehr Religiosität ein mehr an Moralität bedeutet, das ist ein | |
Vorurteil, das von den Konfessionen gerne am Leben erhalten wird, aber | |
durch keine Empirie gedeckt ist. Genauso wie wir aus den religiösen | |
Schriften, der Bibel etwa, den Wert der Nächstenliebe ableiten können, aber | |
ebenso die Rechtmäßigkeit ethnischer Säuberungen. Sie versprechen uns | |
Gottes Liebe ebenso wie die ewige Verderbnis. | |
Wer Gutes tun will, kann sich hier mit Zitaten eindecken, wer dem Nächsten | |
das Schlimmste an den Hals wünscht, ebenso. Vielleicht täusche ich mich, | |
aber es scheint mir historisch evident, dass religiöse Menschen in aller | |
Regel härtere autoritäre Knochen waren und sind, als nichtreligiöse | |
Menschen. | |
Religiöse Gesellschaften sind keineswegs moralisch überlegener als relativ | |
agnostische Gesellschaften. Würde jemand behaupten wollen, Sizilien habe | |
ein höheres moralisches Niveau als Schweden? Norwegen wäre moralisch | |
verkommener als Afghanistan? Schon diese Beispiele zeigen, wie absurd eine | |
solche Behauptung ist. In den USA, wo eine eher religiös grundierte | |
Regierung Folter eingeführt hat und eine eher agnostisch grundierte sie | |
gerade wieder abschaffen musste, gibt es eindeutige empirische Daten: So | |
wurde eine groß angelegte Studie unter Ärzten durchgeführt. Gefragt war, ob | |
sie gelegentlich auch arme Patienten gratis behandeln. Unter den Ärzten, | |
die sich selbst als religiös bezeichneten, beantworteten 31 Prozent die | |
Frage mit „Ja“, unter den nicht gläubigen Ärzten sagten 35 Prozent „Ja�… | |
Die Daten zeigen, wenn schon keine deutlich höhere Moralität unter den | |
Ungläubigen, so doch zumindest keinerlei signifikante Differenz. | |
Um auf unsere Ausgangsfrage zurückzukommen: Würde ein Unterricht mit dem | |
Ziel, aus Schülern Gläubige zu machen – und das ist letztlich das Ziel des | |
Religionsunterrichts – unsere Gesellschaften moralischer machen? | |
Nichts, aber rein gar nichts spricht dafür. | |
4 May 2009 | |
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Schwerpunkt Flucht | |
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