# taz.de -- Mutmaßlicher NS-Verbrecher in U-Haft: John Iwan Demjanjuk überfü… | |
> Der mutmaßliche NS-Verbrecher Demjanjuk sitzt in Untersuchungshaft. Nach | |
> seiner Ankunft aus den USA wurde er auf eine Gefängnis-Krankenstation in | |
> München gebracht. | |
Bild: Abflug nach langem juristischen Hin und Her: Demjanjuk am Flughafen in Cl… | |
BERLIN taz | Zuletzt war er vor 57 Jahren in der Gegend. Iwan Demjanjuk | |
hatte sich nach dem Kriegsende vom KZ Flossenbürg in der Oberpfalz, wo er | |
zuletzt als Wachmann diente, in eines der Lager eingeschlichen, wo die | |
Hunderttausend Überlebenden des Holocaust dahin vegetierten. Er kam nach | |
Landshut in das Übergangsheim für "Displaced Persons", bekam später einen | |
Job als Mechaniker bei der US-Army in Regensburg, wechselte nach Ulm und | |
gelangte schließlich nach Feldafing bei Starnberg, wo die UN eines der | |
größten Lager für die jüdischen Überlebenden betrieben. Im Januar 1952 | |
verschwand er von dort - als Einwanderer in die USA. | |
Nun ist er wieder da: John (Iwan) Demjanjuk, 89 Jahre alt, Mitglied der | |
ukrainisch-katholischen Kirche, Rentner aus Cleveland. Um 9.15 Uhr landete | |
seine Sondermaschine auf dem Flughafen München. Nach seiner Festnahme fuhr | |
man ihn zur Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Dort gab | |
es Leberkäse mit Kartoffelbrei. Danach wurde Demjanjuk der 21-seitige | |
Haftbefehl eröffnet. Die Staatsanwaltschaft München plant ihn schon in den | |
nächsten Wochen anzuklagen: wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 29.000 | |
Fällen. | |
Iwan Demjanjuk wird verdächtigt, 1943 im Vernichtungslager Sobibor im | |
deutsch besetzten Polen als Wachmann gedient zu haben. Sobibor war eines | |
von drei Lagern, das die Nazis im Zuge der "Aktion Reinhard" errichteten, | |
mit dem sie die polnischen Juden ermordeten. In Sobibor gab es kaum | |
jüdische Sklavenarbeiter. Die Juden, geschätzte 250.000 Menschen, kamen | |
fast ausnahmslos nach ihrer Ankunft aus den Viehwaggons der | |
Deportationszüge direkt ins Gas. Doch Iwan Demjanjuk war kein Deutscher. | |
Der Ukrainer zählte zu den Tausenden "hilfswilligen" Ausländern, die die | |
Nazis in ihren Kriegsgefangenenlagern rekrutierten. Vor die Alternative | |
gestellt, dort langsam zu verhungern oder zu den Handlangern der Mörder zu | |
werden, entschied er sich für Letzteres. Er wurde Wachmann, zuerst im KZ | |
Majdanek, danach in Sobibor. | |
Die "Hilfswilligen" erledigten für die SS die Drecksarbeit: Sie öffneten | |
die Türen der überfüllten Viehwagen. Sie hatten dafür zu sorgen, dass sich | |
die Juden ausziehen. Sie trieben die Juden den "Himmelfahrtsstraße" | |
genannten kurzen Weg von der Bahn in die als Duscheinrichtungen getarnten | |
Gaskammern. | |
Iwan Demjanjuk wurde den Unterlagen der Staatsanwaltschaft zufolge vom März | |
bis September 1943 in dem Vernichtungslager eingesetzt. Während dieser Zeit | |
wurden unter anderem holländische Juden in Sobibor ermordet. Im dortigen | |
Lager Westerbork führte die SS Namenslisten der Deportierten. So kamen die | |
Ermittler auf 29.000 Menschen, die während der Dienstzeit Demjanjuks dort | |
getötet worden sind - mindestens. Denn tatsächlich dürften es wesentlich | |
mehr gewesen sein. Doch über sie gibt es weder Namen noch Zahlen. | |
Das stärkste Indiz der Strafverfolger ist sein Dienstausweis mit der Nummer | |
1393, dessen Echtheit des bayerischen Landeskriminalamts untersucht hat. In | |
dem Papier ist vermerkt, dass Demjanjuk am 27. März 1943 nach Sobibor | |
"abkommandiert" worden ist. | |
1944 war Iwan Demjanjuk im KZ Flossenbürg. Ab 1952 befand er sich in den | |
USA. In der Sowjetunion wurde schon seit 1948 gegen ihn ermittelt, durch | |
einen Brief von Demjanjuks Ehefrau erfuhren die russischen Fahnder von | |
seinem neuen Aufenthaltsort. Doch der kalte Krieg verhinderte eine | |
Kooperation der Strafverfolgungsbehörden. John Demjanjuk gründete derweil | |
eine Familie, arbeitete als Automechaniker und lebte in einem netten | |
Bungalow in Seven Hills. | |
Erst 1975 bekamen die US-Behörden von Demjanjuks Wirken für die Nazis Wind. | |
Das "Office of Special Investigation" entdeckte bei der Untersuchung seiner | |
Jahrzehnte alten Einwanderungspapiere, dass Demjanjuk dort angegeben hatte, | |
er habe nach 1937 in "Sobibor, Poland" gelebt. Dem Mann war auf die | |
Schnelle offenbar nichts besseres eingefallen. Sein Pech. | |
In den USA darf nur angeklagt werden, wer ein Verbrechen auf amerikanischen | |
Boden verübt hat. Deshalb drohte Demjanjuk dort nur die Ausweisung aufgrund | |
falscher Angaben bei seiner Einwanderung. Als jedoch in Israel Überlebende | |
des Vernichtungslagers Treblinka in Demjanjuk "Iwan den Schrecklichen", | |
einen der dortigen Wächter zu erkennen glaubten, lieferten die USA ihn aus. | |
In Jerusalem wurde Demjanjuk erst zum Tode verurteilt, dann aber | |
freigesprochen, nachdem deutlich geworden war, dass er offenbar nicht in | |
Treblinka war. Demjanjuk kehrte als freier Mann in der Business Class in | |
die Staaten zurück. | |
Doch dass er in Sobibor war, blieb. Die USA erkannten ihm die | |
Staatsbürgerschaft ab und wollten ihn abschieben. Doch lange fand sich kein | |
Staat der Welt, der bereit war, den mutmaßlichen Verbrecher auch | |
aufzunehmen. Bis die Ermittlungen in der Zentralen Stelle zur Aufklärung | |
nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg begannen. | |
Deshalb genießt Iwan Demjanjuk nun die Gastfreundschaft des deutschen | |
Strafvollzugs. Ein Verfahren gegen ihn wäre eine bundesdeutsche Premiere - | |
noch nie wurde ein "Hilfswilliger" hier verurteilt. Von 100.000 Verfahren | |
gegen mutmaßliche NS-Verbrecher endeten ganze 6.500 mit Verurteilungen. Die | |
Handlanger hatten in aller Regel nichts zu befürchten. Sie beriefen sich | |
auf einen "Befehlsnotstand" nach dem sie selbst vom Tode bedroht gewesen | |
seien, hätten sie den Befehl verweigert. Sie profitierten von einem Gesetz, | |
nach dem Beteiligten ein ganz besonderer Mordwillen nachgewiesen werden | |
musste. | |
Doch ob John (Iwan) Demjanjuk jemals angeklagt wird, ob es zu einem Prozess | |
kommt und ob er ein mögliches Strafurteil antreten muss, hängt auch vom | |
Gesundheitszustand des 89-Jährigen ab. Wenn nicht: Gut möglich, dass der | |
staatenlose Renter seine letzten Tage in einem süddeutschen Altersheim bei | |
Hartz-IV-Bezügen beschließen wird. | |
12 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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