# taz.de -- Anhörung zur Magersucht: Hungern bis zum Tod | |
> Der Familienausschuss diskutiert heute mit Experten über Magersucht. Mehr | |
> als 100.000 Menschen sind betroffen - darunter immer mehr Jungen und | |
> Männer. | |
Bild: Nicht nur ein Problem von Mädchen: Anti-Anorexie-Kampagne in Italien. | |
"Es ist doch alles in Ordnung, ich brauche doch keine Hilfe", sagte Mark | |
Singer* vor fünf Jahren, wenn er auf seine offensichtliche Magersucht | |
angesprochen wurde. Seine Waage stoppte bei 39 Kilogramm - mit 17 Jahren | |
und bei einer Größe von 1,71 Metern. Seine Eltern ließen Mark nach mehreren | |
Monaten in eine Klinik zwangseinweisen. "Ich habe das ja selbst gar nicht | |
eingesehen, dass ich ein Problem habe", erzählt er später. | |
Über "Maßnahmen gegen Magersucht" diskutieren am heutigen Mittwoch im | |
Familienausschuss des Bundestags Experten und Sachverständige. Die | |
Grünen-Fraktion fordert in ihrem Antrag bessere Beratungsangebote, eine | |
Selbstverpflichtung der Modeindustrie gegen untergewichtige Models und ein | |
Werbeverbot für "Wunderpräparate" zur Gewichtsabnahme. "Es war schwer, das | |
Thema auf die Tagesordnung im Familienausschuss zu bekommen - die anderen | |
Fraktionen haben uns wenig unterstützt", sagt Grünen-Politikerin Irmingard | |
Schewe-Gerigk. | |
Von Magersucht sind etwa 100.000 Menschen betroffen, schätzt die | |
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Auch wenn Essstörungen | |
früher als Frauenproblem galten, sind zunehmend Jungen und Männer betroffen | |
- etwa jeder zwölfte Essgestörte ist männlich. | |
Einer der Sachverständigen bei der Bundestagsanhörung ist Ulrich Cuntz, | |
Chefarzt an der medizinisch-psychosomatischen Klinik Roseneck. "Die Gründe, | |
warum Männer an Essstörungen leiden, sind andere als bei Frauen", sagt er. | |
"Während Frauen vor allem Schönheitsidealen in den Medien nacheifern, sind | |
bei Männern oft berufliche, schulische oder private Probleme der Grund. Die | |
machen keine klassische Diät, sondern essen einfach weniger und landen dann | |
in der Magersucht." In seiner Klinik sind unter den rund 160 Patienten mit | |
Essstörungen rund 10 Prozent Männer. | |
Bei den Männern könnte die Dunkelziffer noch höher sein als geschätzt - | |
denn sie suchen sich noch seltener als Frauen Hilfe. "In den | |
Beratungsstellen stehen den Hilfesuchenden oft nur Mitarbeiterinnen zur | |
Verfügung", sagte Cuntz. Das sei zwar gut für die häufiger betroffene | |
Gruppe der weiblichen Essgestörten, mache es aber Männern schwerer, Hilfe | |
aufzusuchen. | |
Sylvia Baeck, Geschäftsführerin des Berliner Vereins "Dick und Dünn", der | |
Essgestörte berät, warnt aber davor, die Mädchen zu vergessen. "Die sind | |
immer noch die Hauptbetroffenen von Magersucht." Sie fordert von der | |
Bundesregierung, dass Beratungsangebote - für Jungen und Mädchen - besser | |
finanziert werden müssen. "Da gibt es echte Missstände. Wenn man nicht | |
handelt, sind die Betroffenen tot", so Baeck. Ihre Beratungsstelle würde | |
gern mehr Einzelgespräche und raschere Termine anbieten - aber es fehle | |
schlicht an genügend Fördermitteln. Baeck fordert auch umfassende | |
Statistiken über Essstörungen. | |
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beliefen sich die | |
Krankheitskosten, die durch Essstörungen entstehen, im Jahr 2002 auf 246 | |
Millionen Euro, wovon 21 Millionen auf Männer entfallen. Aktuellere Zahlen, | |
auch über die genaue Zahl von Betroffenen, liegen nicht vor. | |
Mark Singer lässt sich seit neun Monaten bei "Dick und Dünn" beraten. Dort | |
fand er in Gruppen- und Einzelgesprächen heraus, dass vor allem die | |
Trennung der Eltern, als er gerade 9 Jahre alt war, zur Magersucht geführt | |
hatte. Er hat wieder zugenommen und wiegt inzwischen 44 Kilo. "Ich bin | |
jetzt so weit, dass ich gesund werden will." | |
*Name geändert | |
12 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Monika Schmidtke | |
## TAGS | |
Magersucht | |
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