# taz.de -- Kolumne CannesCannes: Begegnung mit dem Satan höchstpersönlich | |
> Lars von Triers Film "Antichrist" evoziert die Hexenverbrennung, | |
> jahrhundertealte Misogynie, den Kampf der Geschlechter und den von Ratio | |
> und Intuition. Wer ist der Teufel? Der Mann oder die Frau? | |
"Avez-vous vu lAntichrist?", will die französische TV-Journalistin von | |
einem Wiener Kollegen wissen, als wir aus dem Kino kommen. Es geht ihr um | |
einen kurzen Kommentar zu Lars von Triers Wettbewerbsbeitrag "Antichrist", | |
aber man kann sie auch anders verstehen "Haben Sie den Antichrist gesehen"? | |
Klar, Satan, der mir eben in einer dunklen Ecke des Palais du Festival die | |
Hörner entgegenreckte! | |
Von Triers Film provoziert solche Scherze. Vor Beginn der Vorführung ist in | |
der Salle Debussy eine Mischung aus Heiterkeit, Unruhe und Angst zu spüren, | |
eine Aufgekratztheit, wie sie sonst rar ist unter den Journalisten. Im | |
Presseheft findet sich ein Grußwort des Regisseurs, er kündigt einen "Blick | |
in die dunkle Welt seiner Vorstellungskraft" an. Vor zwei Jahren, schreibt | |
er, sei er an einer Depression erkrankt und habe nicht arbeiten können. | |
Sechs Monate später begann er, das Drehbuch zu "Antichrist" zu verfassen. | |
"Es war eine Art Therapie." Man glaubt ihm das gerne, sieht den Film als | |
Externalisierung einer Psyche in Not, erinnert sich aber auch daran, dass | |
sich von Trier schon immer gern als Sonderling in Szene gesetzt hat. Seine | |
daraus resultierende Künstler-Persona ist Teil seines Oeuvres. | |
Aufrichtigkeit und Scharlatanerie gehen unmittelbar ineinander über. | |
"Antichrist" bietet vieles, was man aus Horrorfilmen kennt. Der Soundtrack | |
schwillt dunkel-dräuend an, wenn die Protagonisten durch den Wald streifen, | |
wenn der Wind ein Fenster aufstößt oder sich die Luke zu einem Speicher | |
voller unheimlicher Gegenstände und Bilder öffnet. Viele Einstellungen sind | |
so gewählt, dass sie der Perspektive eines unbekannten, potenziell | |
gefährlichen Wesens folgen. Aus einem Fuchsloch schaut die Kamera auf | |
Charlotte Gainsbourg, durch Farne und Äste auf Willem Dafoe. Die beiden | |
spielen ein zerrüttetes Paar, das sich in eine entlegene Waldhütte | |
zurückzieht. Ihr Sohn, vielleicht drei Jahre alt, fällt im Prolog zum Film | |
aus dem Fenster, während die Eltern miteinander schlafen. Die Frau wird | |
fortan von ihren Ängsten und Schuldgefühlen so geplagt, dass sie den | |
Wahnsinn streift. Der Mann, von Beruf Therapeut, macht sie zu seiner | |
Patientin. Gefilmt ist der Prolog in Zeitlupe, in Schwarz-Weiß, einer | |
Coffee-Table-Ästhetik, in die eine sekundenkurze | |
Hardcore-Penetrations-Einstellung hineinmontiert wird. Später sieht man | |
einen erigierten Penis, aus dem Blut statt Ejakulat spritzt, noch später | |
ein Close-up, in dem sich die Frau die Klitoris mit einer stumpfen Schere | |
abschneidet. Alle Zeichen stehen auf Schock. | |
"Antichrist" evoziert die Hexenverbrennung, jahrhundertealte Misogynie, den | |
Kampf der Geschlechter und den von Ratio und Intuition. Wer ist der Teufel? | |
Der Mann oder die Frau? Die Vernunft oder der Wahnsinn? Der Film nimmt | |
diese Fragen ernst und zugleich nicht. Immer wieder gibt er seine eigenen | |
Prämissen dem Gelächter preis, etwa wenn er einen Fuchs "Das Chaos | |
herrscht" fauchend in die Kamera sagen lässt. Von Trier ist ein | |
talentierter Trickster, aber warum und wozu, das ist in "Antichrist" egal. | |
18 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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