# taz.de -- Kinderheime in Irland: Missbraucht im Namen des Herrn | |
> Tausende irische Kinder wurden in Heimen der katholischen Kirche | |
> missbraucht. Stiller Komplize war die Regierung, die das System früher | |
> finanzierte | |
Bild: Erst langes Schweigen, nun keine Kooperation: An Aufklärung ist den reli… | |
Die Kinder hatten keine Namen, sondern Nummern, und so wurden sie auch | |
behandelt. In den vom Staat finanzierten und von der katholischen Kirche | |
betriebenen irischen Kinderheimen und Besserungsanstalten waren | |
körperlicher, sexueller und emotionaler Missbrauch an der Tagesordnung. Zu | |
diesem Ergebnis kam ein lang erwarteter Bericht einer Dubliner | |
Untersuchungskommission, der am Mittwoch vorgestellt wurde. | |
"Vergewaltigungen waren in den Einrichtungen für Jungen üblich", heißt es | |
in dem Bericht. Manchmal vergewaltigten mehrere Ordensbrüder gleichzeitig | |
ein Kind, manchmal waren die Täter auch ältere Heiminsassen, die früher | |
selbst Opfer waren. Die Schläge waren "schwer, willkürlich und | |
unvorhersehbar". In den Mädchenschulen waren die Vergewaltigungen zwar | |
nicht systematisch, aber sie fanden auch dort statt. Die physischen und | |
emotionalen Misshandlungen waren genauso schlimm wie bei den Jungen. | |
Die Kinder hungerten und holten sich Essbares aus dem Müll, stellte die | |
Kommission fest. Ihre Kleidung war unzureichend, die Sanitäreinrichtungen | |
primitiv. Unterricht fand nur dann statt, wenn es für die Institution | |
nützlich war. Meist wurden die Kinder jedoch als Arbeiter an Bauern | |
vermietet. Ein 60-Jähriger, der anonym bleiben möchte, sagte zur taz: | |
"Jetzt wissen alle, was ich seit meiner Kindheit weiß. Aber es gibt keine | |
Strafen, niemand wird zur Rechenschaft gezogen. Die Kirchenoberen hoffen, | |
dass nun Gras über die Sache wächst." | |
Mehr als 30.000 Kinder haben diese Folterhäuser, die "industrial schools" | |
hießen, durchlaufen. Ihr Vergehen: ein kleiner Diebstahl, Schulschwänzen, | |
und manchmal reichte es aus, dass sie unehelich waren, um sie in eins | |
dieser Heime zu stecken. Der Vorsitzende der Kommission, Seán Ryan, sagte: | |
"Unser Bericht kann nicht untersuchen, was aus den Kindern hätte werden | |
können, wenn sie nicht in diese Heime gekommen wären." Die Kommission wurde | |
2000 eingesetzt und befragte mehr als 2.000 Zeugen, die ihre Kindheit in | |
einer der 216 Institutionen zwischen 1940 und Mitte der Achtzigerjahre | |
verbracht haben. Manche Zeugen waren aus den USA oder Australien angereist, | |
um ihre Aussage zu machen. | |
Von den religiösen Orden wurde dagegen jede Kooperation verweigert. Die | |
Führungen der verschiedenen Orden haben die Beschuldigungen als übertrieben | |
oder erlogen zurückgewiesen, und falls es doch Missbrauch gegeben habe, | |
seien die Täter längst tot. Die Behauptung der Orden, dass die Menschen in | |
vergangenen Zeiten sexuellen Missbrauch von Kindern nicht als Straftat | |
ansahen, sondern als Sünde, für die man Buße tun musste, wies die | |
Kommission in ihrem 2.600-Seiten-Bericht ausdrücklich zurück. Sie stellte | |
fest, dass Vergewaltiger einfach von der Kirche versetzt wurden, wo sie | |
ungestört weitermachen konnten, wenn der Missbrauch nicht mehr zu | |
vertuschen war. | |
Die katholischen Einrichtungen wurden vom Staat nach der Anzahl der | |
Insassen bezahlt, was dazu führte, dass so mancher leitende Ordensbruder | |
Nachschub anforderte, um mehr Geld zu bekommen. Die Kirchen hatten vor | |
allem auf dem Land eine solch mächtige Stellung, dass sich selbst Eltern | |
einer Einweisung ihres Kindes in eine Besserungsanstalt nicht widersetzten. | |
Auch das Bildungsministerium unterwarf sich den Kirchen und führte keine | |
Inspektionen durch. | |
Kardinal Seán Brady, katholischer Primat von Irland, sagte, er sei sehr | |
beschämt, dass Kinder auf solch furchtbare Weise leiden mussten, und | |
versprach, dass "die katholische Kirche alles Notwendige tun wird, um die | |
Kirchen zu einem sicheren und erfreulichen Ort für Kinder zu machen". | |
Die Christian Brothers, die schlimmsten Peiniger, sagten in einer | |
Erklärung: "Wir wissen, dass ein Heilungsprozess nicht möglich ist ohne die | |
Anerkennung unserer Verantwortung als Gemeinde für das Geschehene." Das ist | |
Heuchelei. Gerade die Christian Brothers verzögerten die Untersuchung und | |
setzten vor Gericht durch, dass keins ihrer Mitglieder im Bericht | |
namentlich genannt wird, selbst wenn es sich um verurteilte Kinderschänder | |
handelt. Der englische Erzbischof von Westminster, Vincent Nicholls, lobte | |
die Ordensmitglieder für ihren Mut und befürchtet, dass der Bericht ihre | |
guten Taten überschatten werde. Patrick Walsh, eins der Opfer, sagte: "Müll | |
wäre ein zu freundliches Wort für die Äußerungen des Erzbischofs. Was | |
können solche Menschen Gutes getan haben?" Die Opferorganisationen | |
verlangen, dass der Vatikan seine Orden in Irland unter die Lupe nimmt, vor | |
allem deren finanzielle Machenschaften. | |
Im Jahr 2003 haben 12.000 Opfer jeweils 65.000 Euro Schadensersatz | |
erhalten. Aber das Geld kam nicht etwa von den Kirchen, sondern vom | |
Steuerzahler. Darüber hinaus mussten die Opfer unterschreiben, dass die | |
Sache für sie damit erledigt sei und sie von einer Strafanzeige gegen Staat | |
und Kirche absehen. Hunderte haben das abgelehnt und wollen vor Gericht | |
ziehen. | |
21 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
Ralf Sotscheck | |
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