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# taz.de -- Kolumne CannesCannes: Hitler goes kaputt
> Skalpierte Nazis, schwingende Baseballschläger, brennende Kinos: Quentin
> Tarantinos "Inglourious Basterds" erledigt Hitler & Co gleich zweifach im
> Kino.
Bild: Vollstrecker der Hitler-Rachefantasie: Regisseur Tarantino mit Darsteller…
"Für mich ist der Film koscherer Porno", sagt Eli Roth, "etwas, wovon ich
schon als kleines Kind Fantasien hatte." Roth ist Regisseur von
Horrorfilmen ("Cabin Fever", "Hostel") und Teil des Ensembles von Quentin
Tarantinos Wettbewerbsbeitrag "Inglourious Basterds". Die Figur, die er
spielt, heißt Donny Donowitz und trägt den Spitznamen "Bärenjude". Warum,
das sieht man in einer der ersten Szenen. Donowitz prügelt einen
SS-Offizier mit einem Baseballschläger buchstäblich zu Klump; die Kamera
schaut hin, statt sich dezent abzuwenden. Die übrigen Nazis liegen tot und
skalpiert im Gras.
Ist "Inglourious Basterds" eine jüdische Rachefantasie, wie es ein
kanadischer Journalist bei der Pressekonferenz formuliert? Für Roth
unbedingt, für Tarantino nicht ganz. "Ich kann verstehen, dass man das so
sieht", sagt der Regisseur, "aber ich würde ihn in der Videothek nicht
unbedingt unter dieser Rubrik einordnen." Er wollte sich dem Genre des
Kriegsfilms zuwenden, es für sich erproben und mit anderen Genres, etwa dem
Western, verschränken. Pate standen Filme wie "Quel maledetto treno
blindato" (1978) von Enzo G. Castellari oder Robert Aldrichs "The Dirty
Dozen" (1967), Castellari hat eine kleine Rolle in Tarantinos Film.
Ein Remake freilich ist "Inglourious Basterds" nicht, eher eine
nachträgliche antifaschistische Wunscherfüllung. Kühn greift die Fiktion in
den Lauf der Geschichte ein; der Spielfilm interessiert sich nicht für das,
was war, und auch nicht für das, was plausiblerweise hätte sein können, er
erfindet stattdessen etwas, wovon man sich wünscht, dass es sich hätte
zutragen sollen: einen geglückten Akt des Widerstands, der den Krieg
beendet. Dani Levys Komödie "Mein Führer" hatte vor zwei Jahren eine
ähnliche Absicht (Sylvester Groth gibt praktischerweise in beiden Filmen
Goebbels), traute sich aber nicht, die Fantasie konsequent durchzuspielen.
Tarantino hat erwartungsgemäß weniger Scheu. Hitler goes kaputt. Und
zugleich ist sein Film smart genug, den dialektischen Umschlag, der der
Rachefantasie innewohnt, nicht auszublenden. Deutlich tritt zutage, dass
sich Donowitz umso stärker seinem Gegner anverwandelt, je hemmungsloser er
den Baseballschläger schwingt. Mit so viel Ambivalenz muss und kann der
Spaß leben, den "Inglourious Basterds" bereitet.
Aber der Reihe nach: Frankreich 1944. Ein Trupp jüdisch-amerikanischer
Soldaten, angeführt von Lieutenant Aldo Raine (Brad Pitt), zieht durch das
besetzte Land mit dem Ziel, möglichst viele Deutsche umzubringen.
Überraschend bietet sich die Gelegenheit, Hitler, Goebbels, Göring und
Bormann auf einen Schlag zu ermorden. Denn sie wollen die Premiere eines
NS-Propagandafilms in Paris besuchen. Unabhängig voneinander hegen andere
Figuren denselben Plan: die jüdisch-französische Kinobetreiberin Shosanna
(Melanie Laurent), deren Familie von einem Trupp SS-ler umgebracht wurde,
und ein cinephiler britischer Leutnant namens Hicox (Michael Fassbender),
Experte für den deutschen Film der 20er-Jahre. Ihr größter Gegner ist der
SS-Offizier Hans Landa (Christoph Waltz), der weniger seiner Brutalität als
seiner Vielsprachigkeit wegen gefährlich ist. Fließend parliert er auf
Französisch, Englisch und, in einer sehr vergnüglichen Szene des Films,
auch noch auf Italienisch, was wiederum Raine, der sich in ebendieser
Situation als italienischer Stuntman ausgibt, in arge Bedrängnis bringt.
Da der Hauptschauplatz von "Inglourious Basterds" nicht das Schlachtfeld,
sondern das Kino ist, liegt es auf der Hand, dass die Referenzen auf andere
Filme zahlreich sind. Tarantino bewegt sich wie gewohnt in einem
hochartifiziellen Universum. Diese Künstlichkeit sichert ihn gegen den
Vorwurf der Geschmacklosigkeit ab. Und auch wenn "Inglourious Basterds" dem
Kino zutraut, der Ort zu sein, an dem die Welt gerettet wird, so ist der
Film doch auch so smart, es hinterher in Flammen aufgehen zu lassen.
CRISTINA NORD
22 May 2009
## AUTOREN
Cristina Nord
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