# taz.de -- Telefonseelsorge für Muslime: Religion steht nicht im Mittelpunkt | |
> In Berlin gibt es das erste muslimische Seelsorgetelefon. Vor allem | |
> Frauen suchen dort bisher Rat und Trost. | |
Bild: Bei der Telefonseelsorge arbeiten Muslime und Christen zusammen | |
Der Druck, unter dem die Anruferin steht, ist hörbar. Zwanzig Minuten redet | |
sie, erst dann kommt ihr Gesprächspartner zu Wort. Die junge Frau hat ein | |
familiäres Problem: Ein Geschwister hat sich hoch verschuldet, die | |
finanzielle Not lastet nun auf der ganzen Familie. Die Beziehung der | |
Eltern, auch die der Geschwister untereinander kriselt. Die Anruferin | |
leidet darunter, fühlt sich überfordert, fragt sich aber auch, wie viel | |
Verantwortung sie in dieser schwierigen Lage übernehmen muss. | |
Die junge Frau ist Muslimin. Mit ihrer Not hat sie sich an das erste | |
muslimische Seelsorgetelefon in Deutschland gewendet, das seit Anfang Mai | |
in Berlin existiert. 22 ehrenamtliche BeraterInnen, alle Muslime, nehmen | |
seither täglich von 16 bis 24 Uhr Anrufe aus ganz Deutschland entgegen. | |
Über 70 waren es bislang - mehr als drei pro Tag, mit steigender Tendenz. | |
Er habe, erinnert sich der Seelsorger, der von dem Gespräch mit der | |
Anruferin aus der schuldengeplagten Familie erzählt, der Frau dabei helfen | |
können, die Situation aus ihrer eigenen Perspektive zu sehen: "Wie kann sie | |
Grenzen ziehen, ohne unter dem Gefühl zu leiden, sie lasse ihre Familie im | |
Stich." Über eine Stunde hat das Gespräch gedauert - um Religion ging es | |
kaum. "Wir haben auch über Gebete gesprochen, die in einer solchen Lage | |
Trost spenden können", erzählt der Berater, der wie alle Telefonseelsorger | |
anonym bleibt: "Aber nur kurz." | |
Religion stehe selten im Mittelpunkt bei den Gesprächen, die die | |
muslimischen SeelsorgerInnen führen, erklärt Imran Sagir. Der 35-Jährige | |
ist Geschäftsführer des muslimischen Seelsorgetelefons. "Wir machen ja | |
keine Beratung in religiösen Fragen", sagt Sagir. Dafür seien die | |
MitarbeiterInnen auch gar nicht qualifiziert. Wichtig sei für die | |
AnruferInnen aber der religiöse Bezugsrahmen, der häufig Alltagsstrukturen | |
und soziale Beziehungen prägt - sich etwa in einem ausgeprägten | |
Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie ausdrücken könne, wie im Fall | |
der jungen Anruferin. "Unsere MitarbeiterInnen kennen und verstehen das", | |
so Sagir. | |
Dass mehr als drei Viertel der AnruferInnen Frauen sind, findet der | |
indischstämmige Muslim wenig überraschend - und ebenso wenig speziell | |
muslimisch. Auch bei kirchlichen Seelsorgetelefonen riefen zu 70 Prozent | |
Frauen an. "Männer öffnen sich eben seltener", vermutet Sagir. Dass sie | |
weniger Probleme haben, glaubt er nicht: "Sie denken aber eher, dass sie | |
alleine damit fertig werden müssten." | |
Vielleicht ändert sich das ja bald. Die Anonymität, die das | |
Seelsorgetelefon bietet, erlaubt, Dinge anzusprechen, die im Freundes- und | |
Familienkreis, aber auch in der Moschee nicht besprochen werden können. | |
Werbung für das neue Angebot läuft bisher vor allem über das Internet und | |
Mund-zu-Mund-Propaganda in den Gemeinden. Die Resonanz ist bislang nahezu | |
ausschließlich positiv, berichtet Imran: "Von den Imamen, die wir zu | |
Informationsveranstaltungen über das Seelsorgetelefon eingeladen haben, | |
sind zwei heute selbst als ehrenamtliche Mitarbeiter tätig." So gut habe | |
ihnen die Idee gefallen. | |
Selbstverständlich ist diese Akzeptanz nicht. Ausgebildet wurden die | |
muslimischen Seelsorger nämlich von ihren christlichen Kollegen. Auch die | |
kleinen, aber lichtdurchfluteten Räume, in denen die Muslime arbeiten, | |
befinden sich in einem Haus der katholischen Caritas. Miete und Sagirs | |
Geschäftsführerstelle werden von der international tätigen | |
Hilfsorganisation Islamic Relief bezahlt. | |
Noch vor zehn Jahren, glaubt Sagir, hätte ein Angebot mit solch | |
ökumenischem Hintergrund kaum Erfolg gehabt: "Manche Gruppen unter den | |
muslimischen Einwanderern hätten eine solche Zusammenarbeit abgelehnt." | |
Doch heute ist manches anders. Unter den SeelsorgerInnen finden sich | |
Muslime verschiedenster Herkunft und unterschiedlichster Glaubensrichtungen | |
des Islam. Gespräche mit Ratsuchenden finden dennoch meist auf Deutsch | |
statt: Der kleine Mitarbeiterstab hat nicht jederzeit jede Muttersprache | |
parat. Die meisten AnruferInnen gehörten zur zweiten Einwanderergeneration, | |
so Sagir: "Wer kein Deutsch kann, nimmt unser Angebot bisher kaum wahr." | |
Bald soll es deshalb auch Sprechzeiten in türkischer und arabischer Sprache | |
geben. | |
## , Tel.: (0 30) 44 35 09 821 | |
25 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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