# taz.de -- Lohnendes Ziel für Ostalgiker: Lenins letzter Landstrich | |
> Als Staat ist die von Moldawien abtrünnige Region Transnistrien nicht | |
> anerkannt. Doch dort gibt es einen eigenen Präsidenten und sogar eigenes | |
> Geld | |
Bild: In der Hauptstadt Tiraspol | |
Die Frau mit der Reihe Goldzähne lacht und fragt: Woher kommen Sie, aus | |
Deutschland? Sie kann es nicht fassen, doch die Chance, Touristen zu | |
treffen, wächst nun auch in ihrem Dorf in Transnistrien. Der Ministaat | |
öffnet sich. Die Einreise in das Land, an dem Lenin seine Freude hätte, ist | |
seit März vereinfacht. Man braucht keine offizielle Einladung mehr von | |
Einheimischen und kann einfach so über die Grenze fahren - von Moldawien | |
aus oder der Ukraine. Genau dazwischen liegt Transnistrien, ein Land, das | |
auf kaum einer Karte verzeichnet ist, aber eine eigene Währung hat (Rubel), | |
eine eigene Armee und vor allem eigen sein will. Lenins letzter Landstrich. | |
Ganz so einfach ist es leider doch nicht, hineinzukommen. Man braucht fünf | |
Dollar und viel Geduld, bis an der Grenze alle Daten in Bücher mit | |
Karopapier per Hand eingetragen und die vielen Formulare, verbunden mit | |
Pelikan-Kohlepapier, gefüllt sind. Doch Nörgler sollten aufpassen: Die ein | |
oder andere Grenzsoldatin kann Deutsch. | |
Das 200 Kilometer lange Land, das wohl ewig auf eine offizielle Anerkennung | |
warten muss, ist das letzte Biotop des Sozialismus. Es hat sich 1992 von | |
Moldawien in einem blutigen Krieg mit ein paar hundert Toten abgespalten. | |
Moldawien hatte sich 1991 seinerseits für unabhängig von Moskau erklärt. | |
Doch Transnistrien, das auf einer fruchtbaren Landterrasse links des | |
Flusses Dnister, auch Nistru genannt, erblüht, führt einen strammen | |
Moskaukurs. Der Oberste Sowjet ist quickfidel, der 67-jährige Präsident | |
heißt Igor Smirnow und erinnert zumindest im Gegenlicht mit seiner | |
Halbglatze und dem Kinnbart an Lenin. Kurios aber ist das Land selbst. | |
Die Transnistrische Moldauische Republik oder "Republik am Dnister" ist ein | |
lohnendes Touristenziel für alle Ostnostalgiker oder Ländersammler vom Typ | |
"Was glaubst du, wo ich diesen Sommer war?" Wer dann die Alu-Kopeken mit | |
Hammer und Sichel aus Transnistrien vorweisen kann, wird schon ein | |
Schmunzeln ernten. | |
Für einen Euro gibt es 13 Rubel. Doch Vorsicht, sie lassen sich nirgends | |
wieder zurücktauschen. Briefmarken sind auch nur zum internen Gebrauch. Wer | |
von dort eine Postkarte nach Deutschland schicken möchte, sollte sie lieber | |
gleich mitnehmen. Doch zurück zu dem Dorf mit der Goldgebiss-Frau. | |
Nicht weit von der Grenze zur Ukraine liegt die kleine Siedlung mit den bei | |
Frühlingsgraden zu Rillen erstarrten Schlammstraßen. Gerade ist kein | |
Durchkommen für Autos, denn quer werden von Haus zu Haus Leitungen verlegt | |
- Wasserleitungen. | |
Juri, der ältere Herr mit dem verständnisvollen Lächeln, geht zum Brunnen | |
vor seinem Haus. "14 Meter tief und reinstes Trinkwasser", versichert er, | |
nimmt den Blecheimer und lässt ihn in die Tiefe hinab. Keine Minute später | |
ist er gefüllt mit kühlem Nass wieder oben. Juri schöpft sich einen Becher | |
voll ab und sagt zu dem Gast: "Trink!" Es sind die Klarheit des Wassers und | |
des Blickes, die ihn trinken lassen. | |
"Schmeckt", ruft der. Doch von der nächsten Woche an kommt auch in dem | |
kleinen Dorf das Wasser aus der Leitung. Eine Epoche geht zu Ende. | |
Doch wer daraus Rückschlüsse auf den provisorischen Staat ziehen will, | |
liegt falsch. Die Böden sind fruchtbar, in den Kolchosen gedeiht das Vieh. | |
Die Stahlindustrie boomt. Textil-, Schuh- und Möbelherstellung sowie | |
Zement- und Rüstungsproduktion laufen - wie die Spirituosenwerkstätten - | |
voll nach Plan. Exportiert wird hauptsächlich nach Russland, das, | |
spätestens seit die Ukraine politisch nach Westen driftet, über diesen | |
Satellitenstaat froh zu sein scheint. Gazprom jedoch nicht, denn dort | |
häufen sich die transnistrischen Außenstände angeblich auf eine Milliarde | |
Euro. | |
Den Touristen braucht das nicht zu stören. Er tankt, so er mit dem Auto | |
einreist, ohnehin bei Sheriff für umgerechnet 66 Cent den Liter Benzin. Der | |
Konzern Sheriff hat in dem Landstreifen der 550.000 Menschen das Sagen. Der | |
Fußballclub mit Champions-League-Ambitionen in der Hauptstadt Tiraspol | |
gehört ihm samt Stadion. Eine Supermarktkette, Telekommunikationsläden, | |
eine Cognacproduktion laufen auch unter "Sheriff". | |
Gerüchte besagen, die Einkünfte flössen an Smirnows Familie, aber das | |
halten die Transnistrier für durchsichtige Versuche, das Freilichtmuseum | |
des Sozialismus am Schwarzen Meer anzuschwärzen. Jedenfalls sind die | |
Dorfbewohner so erfreut über den Besuch aus der Ferne, dass sie sich gern | |
mit ihm auf die Bänke vor dem Gartenzaun setzen und erzählen. | |
Aber in welcher Sprache? Amtssprachen gibt es drei, denn es sind je ein | |
Drittel Ukrainer, Russen und Moldawier, die in dem schmalen Handtuchland | |
wohnen. Die kräftigen Frauen mit dem Kopftuch sprechen Russisch und sind | |
für einen spontanen Schulterschluss offen. Es ist ein lustiges Völkchen, | |
das auch zu feiern weiß. | |
Der Liter Wodka kostet so viel wie der Liter Milch - etwa 50 Cent. Für 20 | |
Euro lässt sich eine geräumige Dreizimmerwohnung mieten. 120 Euro hat | |
irgendjemand als monatliches Durchschnittseinkommen ausgerechnet. Da liegt | |
es auf der Hand, dass 97,1 Prozent bei der jüngsten Volksabstimmung im | |
September 2006 für diese paradiesischen Zustände eintraten: endgültige | |
Abspaltung von Moldawien. Sozusagen im Kleingedruckten stand aber, das Land | |
solle sich später mal der Russischen Föderation anschließen. Was etwas | |
verwundert: Die Russen im Land nahmen sogar in 23 Wahllokalen an der | |
russischen Präsidentschaftswahl im März teil, bei der Dmitri Medwedjew | |
haushoch gewann. | |
Die Europäische Union lässt das völlig kalt. Sie erkennt das Land, in dem | |
der Präsident Smirnow 2001 sogar in einem Bezirk 103,6 Prozent der Stimmen | |
auf sich vereinigen konnte, schlicht nicht an und rechnet es weiterhin zu | |
Moldawien. Das ist zehnmal so groß wie der Kleinstaat. Der bringt es gerade | |
mal auf das anderthalbfache Saarland. | |
An der Grenze zur Ukraine sind gar deutsche Grenzschützer, die den | |
Einheimischen mal zeigen sollen, was eine flotte und einfache Abfertigung | |
bedeutet (und bisher gescheitert sind). Doch der Rauschgifthund muss an | |
jedem Auto schnüffeln, und die Computer sind europaweit gut vernetzt. Denn | |
die EU verfolgt sorgenvoll, was sich da vor ihren Grenzen für Handelspfade | |
der Kriminellen auftun. | |
Die Männer im Dorf erzählen dann vom Rundfunksender PMR, der regelmäßig | |
auch auf Deutsch sende (montags bis freitags von 17 bis 17.42 Uhr auf | |
Kurzwelle 5.960 kHz). Darin lässt sich alles Flüssige und Überflüssige über | |
Lenins Niemandsland erfahren. Doch dass in der großen Stadt Rabnita im | |
Norden die Metzgerin stolz Schweineohren auf ihren Thekentisch zum Verkauf | |
stellt und stolz dabei lächelt, muss der Tourist selbst erleben. | |
Auch die Frau im Minirock an der Haltestelle für überalterte Linienbusse | |
gehört dazu wie der schwarze BMW mit zwei jungen Kerlen darin, die | |
Sonnenbrillen gut finden und in passablem Englisch mit Touristen Geschäfte | |
machen möchten. | |
Bleibt noch der Volkspolizist im Lada mit seiner Radarpistole zu erwähnen. | |
Er stellt sich am Tiefpunkt einer Gefällstrecke auf, an der nur 50 km/h | |
erlaubt sind und versucht mit wilden Messungen wenigstens sein | |
Volkseinkommen um ein paar Rubel aufzubessern. | |
16 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Knut Diers | |
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