# taz.de -- Slowenisch-italienische Grenzerfahrungen: 24 Stunden geöffnet | |
> Gorizia und Nova Gorica sind zwei Städte, die eigentlich beide vom | |
> Wegfall der Grenze profitieren sollten. Doch während die eine aufblüht, | |
> trauert die andere alten Zeiten hinterher. | |
Bild: Die Freude über den EU-Beitritt war groß. Seit zwei Jahren sind auch di… | |
Fast völlig verwaist liegt der enorme Parkplatz. Er böte Raum für hunderte | |
Autos, doch nur ein paar Fahrzeuge verlieren sich im fahlen Licht der | |
Straßenlaternen. Und außer den wenigen Gästen einer Pizzeria, die draußen | |
vor dem Lokal sitzen, ist keine Menschenseele zu erblicken. | |
Ein Taxi? Der Kellner der Pizzeria blickt drein, als habe man ihm eine | |
völlig absurde Frage gestellt. "Um acht Uhr abends kriegen Sie in ganz | |
Gorizia kein Taxi mehr." Und um acht Uhr abends hat auch der letzte Bus den | |
Verkehr eingestellt. Gorizia hat Feierabend. | |
"Versuchen Sies doch mal drüben auf der slowenischen Seite, in Nova Gorica | |
arbeiten die rund um die Uhr", setzt der Kellner nach. "Gleich hinter der | |
Casa Rossa ist eine Tankstelle, die rufen sofort einen Wagen." Er zeigt auf | |
den überdachten Grenzübergang, den hier alle Casa Rossa nennen, und er | |
erzählt noch, hier sei vor 18 Jahren Geschichte geschrieben worden: "Da | |
hinten fielen im Juni 1991 die ersten Schüsse der Balkankriege." | |
Ungebremst rauschen die Autos an den alten Grenzkontrollstellen vorbei, und | |
auch von den Fußgängern verlangt kein Beamter die Papiere. Der Schlagbaum | |
hat ausgedient, die Grenze ist unsichtbar geworden - und doch höchst | |
präsent. Nur wenige Meter hinter der Casa Rossa beginnt eine andere Welt. | |
Links von der Straße herrscht reges Treiben an der Großtankstelle | |
("Geöffnet 0-24 Uhr"), rechts flimmert eine überdimensionierte Reklametafel | |
fürs Casino Fortuna in allen Farben. Mehrere Taxen warten auf die Kunden | |
von der anderen Seite der Grenze. Praktischerweise nennt der Fahrer gleich | |
selbst das Fahrziel. "Sie wollen zum ,Perla', nicht wahr?" | |
Alle wollen zum Perla, dem größten Spielkasino von Nova Gorica - laut | |
Eigenwerbung dem größten Europas. Keine Gesichtskontrolle gibt es an der | |
Tür, kein Dresscode ist einzuhalten - alle dürfen rein, und die | |
Erstbesucher kriegen außerdem, wohl als Einstiegsdroge, einen Spielchip | |
über 4 Euro spendiert. Drinnen sieht es aus wie in einer viel zu groß | |
geratenen Spielhölle; Saal um Saal verliert sich der Gast zwischen den | |
Reihen der hunderte labyrinthartig angeordneten Slotmaschinen, ganz hinten | |
dann die Tische für Black Jack und Roulette. Männer in Jeans oder Bermudas | |
hocken da, stieren auf ihre Jetons, dann auf die Kugel. Die Verkehrssprache | |
ist Italienisch, nur wenn mal zwei Croupiers ein Wort miteinander wechseln, | |
hört man Slowenisch. Die Spieler sitzen, der Croupier streicht mit seinem | |
Rechen die Jetons ein. Unablässig wechseln so die Euros die Seiten, von den | |
Portemonnaies der Spieler in die Kassen des Perla - und von Italien nach | |
Slowenien, rund um die Uhr. Denn auch hier gilt, wie an der Tankstelle: "24 | |
Stunden geöffnet". | |
Das italienische Gorizia dagegen öffnet erst wieder am nächsten Morgen um | |
9. Wenn überhaupt: Die Via Rastello, ein kleines, schmuckes Sträßchen, die | |
Häuschen alle aus dem Mittelalter, bietet ein deprimierendes Bild, obwohl | |
die Fassaden gut in Schuss sind. Auf 300 Metern reiht sich Laden an Laden, | |
doch drei von vier Geschäften sind verrammelt. "Happy Days" verheißt die | |
Aufschrift auf einer Markise; die schmutzigen Fensterscheiben, die leere | |
Auslage künden davon, dass die glücklichen Tage hier vorbei sind. | |
Das sieht auch Marko Marini so, Dezernent für "grenzüberschreitende | |
Beziehungen" der von der Linken regierten Provinz Gorizia - die genauso | |
heißt wie die von einem rechten Bürgermeister geführte Stadt Gorizia. | |
Marini empfängt in einem in freundlich-hellem Blaugrau gestrichenen Palazzo | |
der Provinzverwaltung, nur ein paar Ecken von der Via Rastello entfernt. | |
Nein, Gorizia mit seinen 35.000 Einwohnern geht es nicht schlecht, der alte | |
Stadtkern ist wunderschön, die Arbeitslosenquote niedrig, und bei der | |
Lebensqualität liege Gorizia im nationalen Ranking auf Platz 8 der 103 | |
Provinzen, sagt Marini. Doch dann redet der hagere Grünen-Politiker vor | |
allem von verpassten Chancen, von einer Stadt, für die die Öffnung der | |
Grenze zu Slowenien eher Verlust denn neue Gelegenheit war. Und das, obwohl | |
es hier tausend Jahre lang, bis 1947, keine Grenze gegeben hat, bis zur | |
neuen Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg, die plötzlich Gorizia zur | |
Stadt direkt am Eisernen Vorhang machte. Damals verlor die Stadt fast ihr | |
gesamtes Hinterland an Jugoslawien - und lebte gut damit. Der italienische | |
Staat machte Gorizia zur Garnison mit 5.000 Soldaten und gewährte außerdem | |
Steuererleichterungen. Dann ist Marini bei dem großen, heute trostlos | |
leeren Parkplatz gleich an der Casa Rossa, an der Grenze. Der war | |
ursprünglich für die Slowenen, die durch den einigermaßen durchlässigen | |
Eisernen Vorhang auf Einkaufstour herüberkamen und sich zu Tausenden in den | |
Läden der Via Rastello mit billigen Jeans und Elektrogeräten eindeckten. | |
"Paradoxerweise war der Austausch zwischen beiden Seiten damals viel reger | |
als heute." | |
"Kurzum: Die Grenze war eine Ressource für Gorizia", fasst der Dezernent | |
zusammen. Wenn es nach ihm ginge, dem Politiker aus der slowenischen | |
Minderheit in Italien, dann wäre auch ihr Fallen eine Chance. Schließlich | |
gibt es auf der italienischen Seite eine große slowenische Minderheit, die | |
als Scharnier wirken könnte, und schließlich könnten Gorizia und Nova | |
Gorica zusammen wahrhaft europäisch werden, zum Beispiel gemeinsame Wege | |
mit einer Uni gehen. Doch nichts tut sich, und Marini sieht die | |
Verantwortung dafür allein bei den visionslosen italienischen Politikern. | |
Lediglich eine beide Städte verbindende Buslinie ist in den 18 Jahren seit | |
dem Fall des Eisernen Vorhangs herausgekommen, und auch der Beitritt | |
Sloweniens zur EU 2004, dann zur Schengen-Zone Ende 2007 hat auf der | |
italienischen Seite keine neuen Impulse gebracht. Stattdessen schimpfen die | |
Menschen in Gorizia über die Spielkasinos "drüben" - "und dann fahren sie | |
selbst nachts heimlich rüber". Marini zeigt auf den Stadtplan an der Wand. | |
"Sehen Sie, hier hinter der Grenze war früher einfach alles weiß, jetzt ist | |
Nova Gorica mit seinen Straßen wenigstens komplett eingezeichnet. Aber die | |
Politik verhält sich meist immer noch so, als wäre da ein weißer Fleck." | |
"Wir ruhen uns zu sehr auf der Vergangenheit aus", sagt Marini. | |
Jung dagegen ist Nova Gorica, das "Neue Gorizia", in der Tat: Kein einziges | |
Gebäude zählt mehr als 60 Jahre. Aus dem Nichts ließ Tito die Retortenstadt | |
hochziehen. Zwillingsstädte könnten die beiden ungleichen Schwestern heute | |
werden, meint die Chefin der Wirtschaftskammer von Nova Gorica, Miriam | |
Bozi, ohne die störende Grenze, aber spätestens seit das rechte | |
Berlusconi-Lager im Jahr 2007 das Rathaus von Gorizia für sich erobert hat, | |
sieht auch sie dafür wenig Chancen. | |
Unscheinbar ist das Gebäude, in dem Frau Bozi residiert, gleich neben dem | |
Perla. Doch die energische Managerin, die Italienisch genauso flüssig | |
spricht wie Englisch - "Das tun wir alle hier", meint sie -, denkt "alla | |
grande". Ein Wirtschaftswachstum von jährlich 6 Prozent konnte Nova Gorica | |
über die letzten Jahre verzeichnen, 2000 Arbeitsplätze in der | |
25.000-Einwohner-Stadt bieten allein die Spielkasinos und Hotels, dazu | |
kommen noch einmal hunderte Jobs in dem großen, Ende letzten Jahres | |
eröffneten Einkaufszentrum, aber das ist ihr nicht genug. Gerade ist ein | |
Megaprojekt den Bach runtergegangen, weil die Partner aus Las Vegas | |
ausgestiegen sind: ein neues Großkasino samt Hotels und allem Drum und | |
Dran, mit 4.000 Arbeitsplätzen. Macht nichts: Frau Bozi hat schon den | |
nächsten Plan von wahrhaft pharaonischen Ausmaßen auf dem Tisch. "Wir | |
wollen eine Pyramide errichten, größer als die Cheops-Pyramide, zwei | |
Flanken komplett mit Solarmodulen bedeckt, für ein Europäisches | |
Luftfahrtmuseum, Investitionsvolumen 950 Millionen Euro", sagt sie, als sei | |
das Großprojekt ganz selbstverständlich in der kleinen Stadt. Gäste aus | |
Italien, aus ganz Europa wünscht sie sich. "Unsere Wirtschaft kennt keine | |
Grenzen", schließt Bozi mit einem Lächeln. | |
Auch die beiden Städte kennen keine Grenze mehr - eigentlich. Die Rückfahrt | |
mit der "Internationalen Buslinie" endet auf der Piazza Transalpina. Früher | |
lief der Grenzzaun quer über den Platz, direkt vor Nova Goricas Bahnhof. Am | |
1. Mai 2004 stieg hier die große Party zur EU-Osterweiterung, mit dem | |
damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi als Stargast. Nur noch | |
eine steinerne Linie zwischen den Pflastersteinen erinnert daran, dass der | |
Besucher hier mit dem einen Fuß in Slowenien, mit dem anderen in Italien | |
steht. Und doch, scheint es, kommen Gorizia und Nova Gorica selbst hier, an | |
diesem symbolträchtigen Ort, einfach nicht zusammen. Auf der italienischen | |
Seite heißt der Platz wie eh und je "Piazza Transalpina", so als hätte sich | |
gar nichts geändert seit 1947 - die Slowenen dagegen haben ihre Hälfte in | |
"Europaplatz" umgetauft. | |
2 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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