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# taz.de -- Grünen-Politiker Ströbele wird 70: Aus der Zeit gefallen
> Christian Ströbele erscheint vielen als Politiker von gestern. Das
> erklärt seinen Erfolg. Am Sonntag wird er 70.
Bild: Fahnenträger: Christian Ströbele.
Da steht er also immer noch. Mitten im Getümmel am 1. Mai in Kreuzberg.
Irgendwie scheint der alte Mann mit dem weißen Haar nicht so recht in das
bunte Treiben auf dem Mariannenplatz zu passen. Dabei steht er fast immer
da, wo sich irgendetwas bewegt, was links ist.
Bei der Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Rostock, gegen
Castor-Transporte in Gorleben, gegen die Nato-Tagung in Straßburg.
Christian Ströbele ist der Mann mit dem Fahrrad. Meist am Wegesrand. Dicht
dabei. Selten mittendrin.
Der Anwalt und Politiker, der am Sonntag 70 Jahre alt wird, war schon immer
da. Am 2. Juni 1967 - am Tag, als der Student Benno Ohnesorg bei der
Anti-Schah-Demo vom Polizisten Kurras erschossen wurde - trat Ströbele als
Referendar in die Kanzlei des damals linken Anwalts Horst Mahler ein, mit
dem er zwei Jahre später das erste sozialistische Anwaltskollektiv
gründete.
In den 70ern war er neben Otto Schily einer der Verteidiger in den
Prozessen gegen die RAF-Mitglieder. Was für ihn selbst bittere Folgen
hatte. Nach langer Untersuchungshaft wurde er schließlich 1980 wegen
Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu zehn Monaten Haft auf
Bewährung verurteilt.
Christian Ströbele war Mitinitiator der taz und später im Aufsichtsrat der
taz-Genossenschaft. Er war bei der Gründung der Alternative Liste in Berlin
dabei, war dann Parteichef und Fraktionsvize der Grünen.
Bei seinem ersten Einzug in den Bundestag ließ er sich von seinem
Lieblingstier, einem Esel, begleiten. Manche halten Esel für dumm. Viel
mehr jedoch kennzeichnet sie eher ihre Sturheit. Sie lassen sich nicht
verbiegen.
Dabei war Ströbele nie Dogmatiker. Nicht einmal das Klischee vom eisernen
Radfahrer stimmt. In den Anfangstagen der taz, so wird erzählt, war er der
einzige, der ein vernünftiges Auto hatte, mit dem man Dinge von A nach B
transportieren konnte - und seien es nur die belegten Brötchen, mit denen
er das Redaktionskollektiv versorgte.
Für Jüngere erscheint Ströbele längst wie ein Politiker von gestern,
manchen gar wie von vorgestern. Aber krumm nehmen mag ihm das kaum jemand.
Otto Schily wurde als SPD-Innenminister zum Sicherheitsfanatiker. Horst
Mahler überholt mittlerweile gar die NPD rechtsaußen.
Und die Grünen? Nachdem Ströbele sich vehement gegen den Bundeswehreinsatz
in Afghanistan aussprach, bekam er keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr
von seiner Partei. Dabei hat er sich - anders als die Grünen - nie selbst
als pazifistisch bezeichnet.
In den 80er-Jahren brachte er nicht nur das bei der taz-Kampagne "Waffen
für El Salvador" gesammelte Geld zu den Guerilleros in Mittelamerika. Er
hatte auch seinen selbst gebackenen Christstollen dabei.
Manche halten Ströbele auch wegen solcher Geschichten für weltfremd. Als er
2002 ohne Listenplatz in den Wahlkampf zog, hielten ihn viele für einen
Utopisten. Er gewann als erster Grüner überhaupt ein Direktmandat für den
Bundestag. Bei der Wahl 2005 bekam er gar 43,3 Prozent der Stimmen in
Friedrichshain-Kreuzberg.
Seine Partei holte dort nur 21,8 Prozent. Der Hans-Christian verkörpert für
viele im Kiez das Märchen vom idealen Politiker. Jeder weiß, dass Märchen
nicht stimmen. Aber trotzdem braucht man sie.
Im aktuellen Wahlkampf wünschen ihm die Konkurrentinnen von CDU bis zur
Linken die "Rente mit 70". Selbst in seiner eigenen Partei wurde im Vorfeld
der Kandidatenaufstellung versucht, an seinem Sockel zu kratzen. Das
Denkmal zu stürzen wagte niemand. Ströbele ist aus der Zeit gefallen.
Deshalb ist er noch da. Es gibt Menschen, die bleiben müssen.
6 Jun 2009
## AUTOREN
Gereon Asmuth
Gereon Asmuth
## TAGS
Schwerpunkt Christian Ströbele
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