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# taz.de -- Erfahrungsbericht einer Mutter: Einzelhaft mit Kind
> Monatelang sich ganz dem eigenen Neugeborenem widmen zu dürfen ist
> unvergleichlich und manchmal ziemlich ätzend - wer das allerdings offen
> ausspricht, eckt vielerorts an.
Bild: Meistens sind Kinder ganz entzückend.
Die Mütter sitzen im Kreis, in der Mitte spielen ihre Kleinen, krabbeln
umher, untersuchen die Spielzeuge, ziehen sich an den Haaren. Auch Kathrin
sitzt mit in der Runde, obwohl ihr Sohn Theo weder krabbeln noch sitzen
kann. Er ist auch erst drei Monate alt. Kathrin kommt trotzdem jede Woche
mit ihm in die Krabbelgruppe, der Abwechslung wegen - nicht für Theo,
sondern für sich selbst. "Zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf", sagt
sie. Die anderen nicken verständnisvoll.
Dieses Gefühl kennen viele Frauen, die sich während der Elternzeit
ausschließlich ihrem Baby widmen: Das Kind und die ausschließlich ihm
gewidmeten, oft "Kuschelzeit" genannten Monate waren sehnlich erwünscht.
Dass der Familienzuwachs mit vielen Einschränkungen verbunden sein würde,
war klar, und obwohl man sich vorab ausführlich über alle relevanten Fragen
informiert hat, kommt die Erfahrung, wie endlos lang und erdrückend ein Tag
sein kann, an dem die Hauptaufgabe lautet: "Erfülle die Bedürfnisse deines
Kindes!", trotzdem unerwartet.
Großfamilien, in denen Kinder selbstverständlich von mehreren Erwachsenen
betreut werden, was der Mutter ab und zu eine Auszeit ermöglicht, gibt es
kaum noch. Verlässliche Babysitter müssen mühsam gesucht werden, wenn die
eigenen Verwandten weit weg wohnen. So kann sich die Brutpflege im ersten
Jahr für Mütter an anstrengenden Tagen wie eine zehn- bis zwölfstündige
Einzelhaft mit Kind anfühlen, ein "Vollzeit-Job" im wahrsten Sinne des
Wortes: In Extremphasen, etwa wenn das Kind stark fremdelt, ist manchmal
nicht einmal der Gang zur Toilette von der permanenten Zweisamkeit
ausgenommen.
Die Zeit mit Baby ist schön, bereitet unvergessliche Momente und bedeutet
trotzdem oft soziale Isolation, in der manchmal der Smalltalk mit der
Kassiererin beim Windelkauf zum einzigen persönlichen Gespräch des Tages
mit einem Erwachsenen wird. Ausflüge mit Kind bedeuten - auch wenn sie nur
in den nächsten Supermarkt führen - oft einen großen logistischen Aufwand:
Das Timing muss Still-, Wickel- und Schlafrhythmus bedenken; die
Kindersicherheit des Zielorts und der barrierefreie Zugang zu öffentlichen
Verkehrsmitteln müssen berücksichtigt werden; und je nach Witterung kann
das bei vielen Babys verhasste Anziehen unförmiger Jacken oder Overalls
schon zur ersten Stresssituation werden.
Zudem muss häufig das Selbstbild überdacht werden: Wo vorher intellektuelle
Fähigkeiten zählten, werden jetzt emotionale und auch körperliche
Belastbarkeit auf die Probe gestellt. Draußen scheint die Welt
vorbeizuziehen, während frau sich dabei ertappt, auf Dinge stolz zu sein,
die ihr vorher banal schienen: Das gemeinsame Mittagessen verläuft jetzt
so, dass die Mutter auch etwas essen kann, die Wickeltechnik des Tragetuchs
klappt im Halbschlaf und den Pyjama bekommt der oder die Kleine unbemerkt
während des Stillens angezogen - Fähigkeiten, auf die man kaum öffentlich
stolz sein kann, wo doch in "der Welt da draußen", der Welt, die sich nicht
um die Bedürfnisse eines Babys dreht, vor allem Flexibilität gefragt
scheint.
Dass die in der Elternzeit angeeigneten Fertigkeiten von der Außenwelt kaum
honoriert werden, bestätigt auch Diplom-Pädagogin Regina Heimann vom
weiterbildenden Studiengang Frauenstudien der Universität Bielefeld. "Wer
für die Familienarbeit aus dem Beruf aussteigt, verliert Qualifikation,
zwar nicht auf dem Papier, sondern für den Arbeitsmarkt. Je tiefer eine
Frau in die Familienarbeit eintaucht, desto schwieriger wird es, in die
Arbeitswelt zurückzukehren. Viele Frauen erleben diese Welt nur noch als
Zuschauer - wenn der Mann abends nach Hause kommt und davon erzählt." Der
Studiengang Frauenstudien wendet sich an ebenjene Frauen, die mit den
Kindern zu Hause blieben, und vermittelt Anknüpfungspunkte zur Berufs- und
Studienwelt für die erfahrenen "Familienarbeiterinnen" - mit einer
theoretischen Komponente, welche die Frauen nachweisen können. Denn "die in
der Familienarbeit erlernten Qualifikationen sind informell erworben und
sind nicht zertifiziert", so Heimann.
In der Welt "da draußen" - außerhalb von einschlägigen Internetforen, wo
"www" für Wegwerfwindeln und "MSR" für Milchspendereflex steht - ist es
jedoch fast schon ein Tabu, sich offen über die Schattenseiten der
Elternzeit zu beklagen und zu äußern, wie ätzend das Nur-zu-Hause-Bleiben
mit dem Wunschkind manchmal sein kann. Wer negative Gefühle im Zusammenhang
mit dem eigenen Kind äußert, passt einerseits nicht in das idealisierte
gesellschaftliche Mutterbild und macht andererseits die eigene
Entscheidung, Mutter zu werden und ein Kind nach bestimmten Ansprüchen
großzuziehen, angreifbar. "Normale Mütter" mit emotionalen Höhen und Tiefen
kommen öffentlich kaum vor. Es scheint nur Supermamas und Horrormütter zu
geben. Die Klatschpresse macht aus jeder Promi-Geburt "Babyglück", und wenn
"Brangelina" Kind Nummer fünf und sechs bekommen, läuft das freudige
Ereignis auf allen Kanälen. Wenn in den USA eine Frau Achtlinge bekommt,
wird das als medizinisches Wunder präsentiert, die Pläne der Mutter, alle
zu stillen und bald ein Studium zu beginnen, als Beweise für Mutterliebe
und Tatkraft gefeiert.
Selbst die öffentliche Selbstdarstellung von Familienministerin Ursula von
der Leyen, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Muttersein
aufzuwerten, degradiert dies zur locker mitlaufenden Nebenrolle: Von der
Leyen hat beruflich als Medizinerin und Politikerin viel erreicht und zieht
scheinbar ganz selbstverständlich sieben Sprösslinge und diverse Vierbeiner
groß, wie aus öffentlichen Einblicken ins Familienalbum ersichtlich wird.
Ganz selbstverständlich vermeldet sie, sich auch noch um ihren kranken
Vater zu kümmern.
Wie weit solche Lebensentwürfe von der Realität der meisten anderen Mütter
entfernt sind, stellt auch die Diplom-Pädagogin Heimann klar: "Wir müssen
uns kritisch mit unseren Rollenbildern auseinandersetzen", fordert Heimann,
die problematisch findet, wenn öffentlich vermittelt wird, Kindererziehung
sei zusätzlich zum Beruf nebenbei zu schaffen. "Das ist eine Illusion. Für
Wohlhabende ist es einfacher, die können sich Kindermädchen leisten, deren
Einsatz wird jedoch kaum öffentlich gemacht." In ihrer Arbeit hat sie
hingegen die Erfahrung gemacht, dass "sich die meisten entscheiden müssen.
Selbst wenn sie berufstätig sind, wird ein Aufgabenfeld im Vordergrund
stehen, meist ist das die Familie."
Und für dieses Aufgabenfeld trägt die Mutter in der Öffentlichkeit die
volle Verantwortung: Neben den "Supermüttern" prägen nämlich die
"Horrormütter" die Schlagzeilen. Die Kinder sterben in schlimmster
Verwahrlosung oder müssen vom Jugendamt gerettet werden, wie am Samstag in
Berlin - wo Polizeibeamte zwei Kinder aus völlig verdreckten Wohnungen
holten. Zudem fehlt in kaum einem Beitrag über Serienmörder der Verweis auf
dessen Mutter, die vermeintlich mit einer verkorksten Beziehung die Weichen
für spätere Entgleisungen stellte, wie etwa im Fall des "Kannibalen von
Rotenburg", dessen Mutterbeziehung in vielen Darstellungen zum einzigen
Grund für sein Verbrechen gemacht wurde.
Fernab solcher Extremfälle ist es eigentlich nahe liegend, sich bei
Menschen auszuheulen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben: den
Großeltern des eigenen Kindes, doch die haben nicht immer Verständnis, vor
allem wenn hier gegenteilige Erziehungsansichten aufeinanderprallen. Statt
Solidaritätsbekundungen werden unter dem Motto "Mach es dir doch nicht so
schwer" Maßnahmen empfohlen, die angesichts heutiger Ansprüche, sich an den
Bedürfnissen des Kindes zu orientieren, brutal wirken: zum Abendessen den
Bauch voll stopfen, Schreienlassen zum Schlafenlernen und der möglichst
frühe Beginn mit "richtigem Essen", anstatt sich nach den
Entwicklungsschritten des Sprösslings zu richten. Die Ratschläge scheinen
zu sagen: "Selber schuld, wenn es dir nicht gut geht", und führen zu der
absurden Situation, die eigene Lage zu verteidigen, obwohl diese gerade
unerträglich erscheint.
Diese Verteidigungssituation kann sich auch gegenüber kinderlosen Freunden
und Bekannten oder Kollegen einstellen. "Das wusstest du doch vorher",
heißt es da - und hierauf zu widersprechen, wäre, rein sachlich betrachtet,
eine Lüge. Klar wusste man vorher, dass Gespräche eintönig werden können,
wenn der Gesprächspartner nur "Agü" und "Eideidei" formulieren kann, dass
kindliche Schlafrhythmen sich von denen Erwachsener unterscheiden und dass
nicht alle Busse und Bahnen mit dem Kinderwagen befahrbar sind - schon im
Geburtsvorbereitungskurs werden schließlich alle Eventualitäten von der
Wochenbettdepression über Wege zurück zur Ausgangsfigur bis hin zur
Veränderung des Sexlebens erörtert - aber eben nur in der Theorie!
Was in der rationalen Vorbereitung oft zu kurz kommt, ist die Erkenntnis,
dass das Leben mit Kind neben vielen Höhen eben auch Tiefen hat - allen
vermeintlichen Supermüttern zum Trotz. Und das sollte frau auch äußern
dürfen, ohne dass ihr Kind dadurch in den Augen des Gegenübers zum späteren
Serienkiller oder beziehungsunfähigen Soziopathen in spe wird. Also, warum
nicht einfach mal Dampf ablassen und der Rentnerin, die sich über das
ausnahmsweise mal schlafende Kind im Kinderwagen beugt und verzückt in
Erinnerungen von damals, als ihre "Kinder noch klein waren" schwelgt,
entgegnen: "Jetzt mal ehrlich - manchmal wars auch ganz schön scheiße,
oder?"
8 Jun 2009
## AUTOREN
Kerstin Griessmeier
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
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