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# taz.de -- "Alle Anderen" von Maren Ade: Freiheit tut weh
> Szenen wechseln unvermutet ihre Temperatur: Der Film "Alle Anderen" ist
> kühner als seine Figuren und lääst den Diskurs darüber, wie man dem
> Liebesgefühl Ausdruck verleiht, anklingen.
Bild: Sobald man sich für etwas entscheidet, schränkt das die Möglichkeit, e…
Für einen Augenblick findet jedes Ding einen festen Platz. Ranken,
Raubkatzen und Blüten bilden das Ornament auf einem orientalischen Teppich.
Die Kamera schaut frontal darauf, im Off zwitschern Vögel, man blickt auf
das Muster wie auf die Karte eines labyrinthischen Gartens, angelegt in
vollkommener Symmetrie und Harmonie.
Doch kaum ist dieses erste Bild von "Alle Anderen" vergangen, ist nichts
mehr an seinem Platz. Maren Ades zweiter Langfilm nach "Der Wald vor lauter
Bäumen" erforscht, wie es ausschaut, wenn feste Ordnungen hinfällig,
Lebensentwürfe offen, gesellschaftliche Rollen überkommen sind. Auf die
allgemein-theoretische Frage, welche Subjektpositionen unsere Gegenwart
zulässt, findet er im Detail stimmige Antworten; seine Figuren lässt er ein
Battle of Geschmack und Geschlecht austragen, was anzuschauen mal
todtraurig, mal hochkomisch ist.
Chris (Lars Eidinger) und Gitti (Birgit Minichmayr), ein Paar Anfang 30,
verbringen die Ferien auf Sardinien im Haus von Chris Eltern. Er ist
Architekt, seine hohen Ansprüche reiben sich an der schlechten
Auftragslage, was für ihn den Nachteil hat, dass er sich erfolglos
vorkommt, und den Vorteil, dass er seine Ideale nie mit einer
widerständigen Praxis in Einklang bringen muss. Sie macht
Öffentlichkeitsarbeit für einen ansässigen Musik-Major, ihre
Berufstätigkeit ist jedoch, im Gegensatz zu seiner, selten Gesprächsthema.
Die beiden ringen mit sich und ihren Optionen: Wie wollen sie ihr Leben
führen? Wie ein Paar sein? Wie ein Mann sein, wie eine Frau? Welche
Kompromisse wollen sie eingehen, welche nicht? Wenn diese Fragen sie, was
oft der Fall ist, erschöpfen, hilft ihnen der Rückgriff aufs Kindsein. Eine
Ingwerknolle namens Schnappi leistet ihnen gute Dienste bei der süßen
Regression.
Vor allem machen Chris und Gitti eine schmerzliche Erfahrung. Die Freiheit,
sich selbst zu entwerfen, tut doppelt weh: zum einen, weil man, sobald man
sich für etwas entscheidet, die Möglichkeit, etwas anderes zu tun und zu
sein, einschränkt, zum anderen, weil es jenseits dieser Freiheit ein Außen
mit eigenen Regeln gibt. Das wahrzunehmen wird vom Gefühl, frei zu sein,
verstellt. Je weniger das Außen erkannt wird, umso ungehinderter übt es
seine Zwänge aus. Klar kann man alles anders machen als die anderen, aber
irgendwie macht mans dann doch so wie sie, weil es leichter geht,
akzeptierter ist oder weil man es mit der Angst zu tun bekommt.
Dieses Dilemma fängt Ade in wunderbaren Miniaturen ein, ohne die Figuren
wie aufgespießte Insekten vorzuführen, aber auch, ohne mit ihrer
Ratlosigkeit gemeinsame Sache zu machen. Das allein ist eine große Gabe,
und so nimmt es nicht wunder, dass die junge, in Berlin lebende und im
Umfeld von Regisseuren wie Valeska Grisebach, Henner Winckler und Ulrich
Köhler arbeitende Regisseurin bei der Berlinale den Großen Preis der Jury
und die Darstellerin Birgit Minichmayr einen Silbernen Bären erhalten hat.
"Steht dir eigentlich ganz gut", sagt die Schwester zu Chris, als der ihr
wenige Monate altes Kind im Arm hält, und so dahingesagt der Satz auch ist,
so steckt doch eine soziale Erwartung darin. Gitti ihrerseits gibt sich
rebellischer, in einer tollen Szene bringt sie der vielleicht fünf Jahre
alten Tochter von Chris Schwester bei, "Ich hasse dich" zu sagen. Das Kind
steht am Pool, schreit aus vollem Hals, bis ihm der Hass tatsächlich in den
Augen blitzt. Wenn Gitti später, bei einem Abendessen mit Bekannten, dem
gönnerhaft auftretenden Gastgeber Paroli bietet, erwidert der: "Du bist ja
eine ganz schöne Brunhilde." Chris stimmt ein: "Du bist so peinlich." Zu
diesem Zeitpunkt hat sich Gitti schon ein feminin geschnittenes Kleid
gekauft, um eine andere Rolle auszuprobieren - und auch, um ihren
nachlässigen, großartigen American-Apparel-Sex-Appeal zu zähmen.
Der Film selbst ist kühner als die Figuren, er nimmt sich die Freiheit, in
der sich Gitti und Chris nur wähnen, indem er seine Sequenzen jeweils für
jede Möglichkeit offenhält. Szenen wechseln unvermutet ihre Temperatur und
ihre Richtung, etwa wenn sie vom Komischen ins Tragische und von dort
zurück ins Komische kippen. Die Figuren agieren in einem Augenblick
infantil und im nächsten reif, sie probieren Posen und Sätze aus, verwerfen
oder ironisieren sie und meinen sie schließlich doch ernst.
Wie das konkret vonstatten geht? Zum Beispiel so: Hans (Hans-Joachim
Wagner) und Sana (Nicole Marischka) kommen zu Besuch. Chris und Gitti haben
die süße Verliebtheit der ersten Szenen verspielt; sie sind in eine
schwierigere Phase ihrer Zweisamkeit eingetreten, eine Wanderung ist
missglückt, das erste Abendessen mit Hans und Sana, dem etablierten
Architekten und der schwangeren Modedesignerin, hat einen hässlichen
Verlauf genommen.
Nun werden die Gäste durchs Ferienhaus geführt, das mit kitschigen
Gegenständen vollgeräumt ist. Die komfortablen Vermögensverhältnisse von
Chris Eltern stehen in keinem Verhältnis zu ihrem Geschmack - der stützt
sich auf Rattan, Blumenmuster, Messingstangen und jede Menge Chichi. Welche
Objekte, welches Design, welcher Stil angemessen sind, diese Fragen
verhandeln die Figuren ohne Unterlass; immer wieder wird guter, avancierter
Geschmack gegen schlechten Geschmack in Stellung gebracht. Daran knüpft
sich ein subtiles Spiel von Abgrenzung und Machtausübung. "Anything goes"
gilt eben nur in der Theorie, in der Praxis geht vieles nicht. Nicht mal im
Spaß stellt man eine Suppenschüssel in Form und Farbe einer Tomate auf den
Esstisch, und es ist sicher kein Zufall, dass Chris die leicht prolligen
Bekannten mit dem Motorboot meidet, während er den für das berufliche
Fortkommen wichtigen Hans hofiert. Dass Hans verfeinerter Geschmack in
Sachen Champagner und Architektur im eklatanten Missverhältnis zu seinem
Mackertum steht, ist dabei nur einer von vielen Nebenwidersprüchen.
Auf dem Höhepunkt der Hausführung betreten die vier das Zimmer von Chris
Mutter, in dem zahlreiche kleine Vogelfiguren stehen. Hans macht sich
lustig, Sana ruft: "Das ist alles so sehnsüchtig hier." Ein Lied von
Grönemeyer wird gespielt: "Ich hab dich lieb, so lieb". Die Kamera schaut
sich Chris, Hans und Sana in einer halbnahen Einstellung an, Gitti steht in
einer anderen Einstellung allein, der Kameramann Bernhard Keller isoliert
sie von den anderen. Nach einer Weile ändert sich das Gefüge, Hans und Sana
sind in einem Bild zu sehen, aneinandergeschmiegt. Nach dem Schnitt sieht
man Gitti und Chris in einem Bild, er am linken Rand stehend, sie am
rechten Rand sitzend. Es gibt keinen Blickkontakt, Grönemeyer singt, es ist
ein peinlicher Moment, bis man zu ahnen beginnt, dass unter der
Konventionalität des Textes ein Begehren liegt, etwas, was über den guten
Geschmack hinausgeht, etwas, was all die faden Ironisierungen und
Abgrenzungen überwindet. Unerwartet huscht ein Lächeln über Gittis und über
Chris Gesicht, sie blicken sich an, und die große Entfremdung, die eben
noch in dem Bild steckte, schlägt um in Nähe und Zärtlichkeit. Fast noch im
selben Augenblick inszeniert Ade einen weiteren brüsken Wechsel, indem sie
Hans, genervt und rabiat, die Musik abstellen lässt.
Im Mäandern der Szene steckt viel - zum Beispiel der im Film immer wieder
anklingende Diskurs darüber, wie man dem Gefühl der Liebe Ausdruck
verleiht. Kann man einen vernutzten Satz wie "Ich liebe dich" verwenden, um
eine einzigartige Beziehung zu beschreiben? Gitti will ihn hören, Chris
will ihn nicht aussprechen; Grönemeyer flüchtet ins kindliche "Ich hab dich
lieb", später singt Cat Stevens: "How can I tell you that I love you, I
love you / But I cant think of right words to say."
Zudem fällt auf, wie subtil Ade am Motiv der Vögel arbeitet. Im allerersten
Bild, dem Teppich-Garten, wird es über die Tonspur eingeführt. Als Chris
später einmal das Haus nach einem Streit verlässt, zwitschern draußen die
Vögel wie zum Spott, und hier, im Zimmer der Mutter, sind sie, die
Sehnsuchtstiere, allgegenwärtige Raumdekoration. In einer Szene erzählt
Chris, wie er sich einmal vorstellte, Gitti auf einer Party durch einen
Fenstersprung zu beeindrucken. Sterben wollte er nicht, "eher lässig
rausfliegen wie Batman". Nachdem Hans und Sana endlich gegangen sind,
springt Gitti aus dem Fenster, aus dem Zimmer von Chris Mutter im ersten
Stock. Chris merkt es nicht. Gitti landet im Garten. Fliegen ist keine
Option.
16 Jun 2009
## AUTOREN
Cristina Nord
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