# taz.de -- Volkstheater: Anarchie auf dem Dorf | |
> Bei den Heersumer Sommerspielen wird man auf Hausfrauen treffen, die als | |
> Ökos verkleidet auf einem Bein über eine ehemalige Mülldeponie hüpfen. | |
> Das Publikum muss einfach mitgehen. | |
Bild: Die Präsidentin der Wegwerfgesellschaft (Antonia Tittel) und der Gelbe S… | |
Friedrich Schill ist 46 Jahre alt. Er wohnt in der Ortschaft Heersum im | |
Landkreis Hildesheim und ist Sparkassen-Angestellter. Wenn er im Dienst | |
ist, trägt er Krawatte und sitzt auf einem Bürostuhl in einer sauberen | |
Sparkassen-Filiale. An diesem Samstag aber ist er nicht im Dienst. An | |
diesem Samstag ist Friedrich Schill Schauspieler. Das Stück heißt "Heinde | |
Park", es spielt auf einer Mülldeponie und was ansteht, das ist die | |
Hauptprobe. Die Premiere ist am kommenden Samstag. | |
Schill sitzt auf einer Holztribüne und trägt einen weißen, flauschigen | |
Ganzkörperanzug. Auf den Rücken hat er einen großen Waschmittelkarton | |
geschnallt und in Händen hält er eine weiße Bärenmaske. Was seine Rolle ist | |
in dem Stück? "Ich bin der Weiße Riese", sagt er. "Ich bin eines von den | |
Reinigungsmitteln. Wir befreien das Hotel von den Ratten." | |
So wie Friedrich Schill geht es derzeit vielen Bürgern des Örtchens | |
Heersum. Die Proben für das Stück "Heinde Park" befinden sich in der heißen | |
Phase. Also tragen Heersumer Hausfrauen Palästinenser-Tücher, Parkas und | |
Janis-Joplin-Hüte, sie stehen im Kreis auf der Deponie, hüpfen auf einem | |
Bein und singen: "Hoch - die - internationale - Solidarität". Die Damen | |
spielen in dem Stück eine Öko-Truppe. Dazwischen laufen Kinder in blauen | |
Plastikkleidern durch die Gegend - sie sind die "Blauen Umweltengel". | |
Insgesamt sind rund 130 Leute aller Altersstufen an dem Stück beteiligt. 16 | |
dieser 130 Leute sind Profis, engagiert vom Heersumer Forum für Kunst und | |
Kultur, das Theaterveranstaltungen dieser Art seit 1993 auf die Beine | |
stellt. | |
Das Konzept dieses Theaters ist immer gleich: Jedes Mal sind es eine | |
Handvoll Profis um Regisseur Uli Jäckle, die mit einer großen Menge Laien | |
aus Heersum und Umgebung zusammenarbeiten. Jedes Mal handelt es sich um | |
Landschaftstheater. Das heißt, es wird ein prägnanter Ort in der Umgebung | |
gesucht, der bespielt wird. Jedes Mal ist die Ausstattung opulent wie bei | |
einer Oper im Staatstheater: Die Heersumer spielen nicht nur, sie nähen | |
auch die Kostüme und basteln die Bühnenbilder. | |
Im diesjährigen, wie immer selbst geschriebenen Stück "Heinde Park" geht es | |
um einen Familienvater, der ein Hotel auf der Müllkippe geerbt hat und nun | |
auf dem Gelände einen Freizeitpark errichten will. Stark vereinfacht | |
gesagt. Genauer betrachtet gibt es verschiedene weit verzweigte und schräge | |
Handlungsstränge (siehe unten). Das gehört zum Konzept in Heersum. | |
Der Schauplatz ist der renaturierte Müllberg der Mülldeponie Heinde. Müll | |
ist hier nicht zu sehen, der liegt unter einer Grasfläche und bildet einen | |
künstlichen Berg, der die höchste Erhebung in der Landschaft ist. Das Stück | |
findet an verschiedenen Orten rund um den Berg statt, an die sich die | |
Zuschauer zu Fuß begeben werden. Das Landschaftstheater der Heersumer ist | |
gleichzeitig ein Trekking-Theater, die Wegstrecke beträgt ungefähr vier | |
Kilometer. Die Aufführung dauert rund vier Stunden. Zum Sitzen gibt es | |
Tribünen oder Klappstühle. Der Verzehr von Pausenbroten während der | |
Aufführung ist ausdrücklich erlaubt. Unpassend ist dagegen Abendgarderobe | |
aus Stöckelschuhen und Krawatten. | |
Rund 500 Besucher erwarten die Veranstalter bei jeder der insgesamt zwölf | |
Aufführungen. "Die Eintrittsgelder machen etwa die Hälfte des Etats aus", | |
sagt Jürgen Zinke vom Forum für Kunst und Kultur. Der Rest sind Mittel der | |
öffentlichen Projektförderung und von Stiftungen und privaten Sponsoren. | |
Insgesamt beträgt der Etat pro Jahr 130.000 Euro - was nichts ist im | |
Vergleich dazu, was professionelles Theater an festen Häusern kostet. | |
Aber das Heersumer Sommertheater ist kein professionelles Theater, und das | |
ist seine Chance. In Heersum hat es funktioniert, weil ein erheblicher Teil | |
der Bevölkerung mitzieht und jeder auf seine Art etwas beisteuert - zu den | |
Requisiten, den Kulissen und den Kostümen. Das Ergebnis ist quantitativ | |
eindrucksvoll und folgt einer eigenen Ästhetik - selbst gemacht, | |
zweckentfremdet, phantasievoll. So entsteht ein Volkstheater, das nicht | |
fürs, sondern vom Volk gemacht wird. | |
Aber nicht nur, denn da sind ja auch noch die Profis. Ganz am Anfang waren | |
es eine Handvoll Kulturpädagogen von der Universität im benachbarten | |
Hildesheim, die in Heersum mit Kulturprojekten anfingen. Mittlerweile sind | |
es viele Absolventen des Studiengangs, die bei dem Projekt mitwirken. Aber | |
nicht nur: Das Trashige des Heersumer Sommertheaters, seine anarchische | |
Grundveranlagung und seine Größe machen das Projekt trotz schlechter | |
Bezahlung auch für professionelle Neueinsteiger interessant. Mit | |
Volkstheater im Ohnsorg-Stil würde das nicht funktionieren. | |
"Die Profis hier nehmen jeden ernst" sagt Oliver Findeiß, 41, in seinem | |
alltäglichen Leben beschäftigt als Lehrer. Im "Heinde Park" ist er halb | |
Pirat, halb Ratte. Findeiß geht es wie vielen der Laien um das | |
Gemeinschaftserlebnis, darum, als Dorf etwas auf die Beine zu stellen. | |
"Einen Monat vor der Premiere fängt Heersum an zu summen", sagt Findeiß. | |
"Das Summen wird dann zu einem Brummen. Und das Ergebnis haut einen um." | |
16 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
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