# taz.de -- Sportpoliker sanft zu DDR-Dopingtrainern: Weihe für Opportunisten | |
> Fünf Stunden Politshow: Der Sportausschuss des Bundestags ist an der | |
> Frage gescheitert, ob DDR-Dopingtrainer, die 20 Jahre geschwiegen haben, | |
> noch zumutbar sind. | |
Bild: Eines von vielen DDR-Dopingopfern: Ex-Hochleistungssportlerin Ines Geipel. | |
Weihe für Opportunisten | |
AUS BERLIN MARKUS VÖLKER | |
Der Sportausschuss des Bundestages ist keine moralische Anstalt. Hier | |
sitzen Parlamentarier, die pragmatisch vorgehen, einen Tagesordnungspunkt | |
nach dem anderen abhandeln und im Gestrüpp aus "Ausschussdrucksachen", | |
Abschlussberichten und "Entschließungen" manchmal wie herzlose Technokraten | |
daherkommen oder - wenn Sprüche geklopft werden - wie eine Stammtischrunde, | |
die es an die kleinen Hebel der Macht geschafft hat. Juristen sind | |
darunter, Lehrer, ehemalige Bauunternehmer oder Politikwissenschaftler, und | |
sie scheinen nicht unglücklich darüber zu sein, ihr Polittheater im | |
Berliner Paul-Löbe-Haus regelmäßig aufführen zu dürfen. Chef der Runde ist | |
Peter Danckert (SPD). | |
Am Mittwoch musste er sich mit Moral beschäftigen, das ist nicht einfach | |
für einen Juristen. Die Moral hatte sich versteckt hinter | |
Tagesordnungspunkt 14: "Umgang mit ehemals in Dopingpraktiken verwickelten | |
Trainern". Monatelang hatte der Sportausschuss dieses Thema vor sich | |
hergeschoben. Erst auf Druck von außen wurde es nun abgehandelt. Es geht um | |
belastete DDR-Trainer, die nach dem Mauerfall im Sportsystem der | |
Bundesrepublik untergekommen sind, konkret um sechs Übungsleiter: Klaus | |
Baarck, Gerhard Böttcher, Rainer Pottel, Maria Ritschel, Klaus Schneider | |
und Werner Goldmann. Sie haben erst jetzt, 20 Jahre nach der Wende, | |
bekannt, dass sie in der DDR Sportler gedopt haben, erst jetzt, da man | |
ihnen ihre Jobs im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) wegnehmen wollte. | |
Sie haben in einer schriftlichen Erklärung ihre Kollektivschuld bekannt, | |
"soweit die Sportler durch den Einsatz von Dopingmitteln gesundheitliche | |
Schäden davongetragen haben sollten", wie es heißt. Das war nicht die | |
einzige merkwürdige Formulierung, man schrieb von "Einzelfällen", und der | |
Begriff "unterstützende pharmazeutische Substanzen" kam vor. Das klang nach | |
jenem Euphemismus der Plandoper, den "unterstützenden Mitteln" (uM), also | |
Doping. Peter Danckert sagte über die Erklärung: "Ich als Jurist hätte sie | |
genauso formuliert." | |
Die Dopingopfer waren entrüstet über die "Entschuldungspauschale für | |
Sportkriminelle". Die Trainer hätten sich Anstellungsverhältnisse | |
erschlichen, Steuergeld müsse zurückgezahlt werden. In einer Petition, die | |
Klaus Zöllig, Vorsitzender des Dopingopfer-Hilfe-Vereins (DOH), an den | |
Petitionsausschuss des Bundestages gerichtet hatte, war die Rede von | |
"Betrug am Sport", "feister Desinformationspolitik" und davon, dass "20 | |
Jahre nach dem Mauerfall alles weggedrückt werden muss, was nach | |
Missbrauch, Schuld, Schaden aussieht". Zöllig war am Mittwoch in den | |
Sportausschuss geladen. "Nach 20 Jahren zu sagen: Da war mal was - das ist | |
ein bisschen wenig", sagte er. Zöllig wurde unterstützt von einem einzigen | |
Parlamentarier, von Winfried Hermann, der einen Antrag der Grünen-Fraktion | |
eingebracht hatte mit der Überschrift "Dopingvergangenheit umfassend | |
aufklären". | |
Die "pauschale Entschuldigungserklärung", so Hermann, werde einer | |
"wirkungsvollen und glaubwürdigen Dopingbekämpfung" nicht gerecht, | |
öffentliche Mittel müssten alsbald zurückgefordert werden. Hermann hatte | |
kaum ausgesprochen, da wurde er abgewatscht wie ein kleines Kind. Klaus | |
Riegert von der CDU nannte Hermanns Antrag "Blödsinn in Potenz", überdies | |
"populistisch, oberflächlich und gefährlich". SPD-Politikerin Dagmar | |
Freitag sagte: "Aufarbeitung? Wir wissen doch schon alles." Ihr | |
Parteikollege Wolfgang Grotthaus steuerte folgende Erkenntnis bei: | |
"Kapitalverbrecher kriegen auch eine zweite Chance, und die müssen nicht | |
erst 20 Jahre warten." FDP-Mann Detlef Parr stellte einfach mal die | |
Behauptung in den Raum, Dopingopfer nähmen nicht an Aufarbeitung und | |
Dopingprävention teil. | |
Danckert führte aus, dass es "staatlich anerkannte Dopingopfer" gar nicht | |
gebe, sondern allenfalls Sportler, die nach dem Dopingopferhilfegesetz | |
entschädigt worden seien; auf einen strengen, kausalen Nachweis zwischen | |
Dopingvergabe und Schädigung hätte man damals zum Wohle der Antragsteller | |
verzichtet. Und wer wisse denn schon, wer Täter und wer Opfer gewesen sei. | |
Danckert: "Mir kann keiner erklären, dass der Athlet nicht gewusst hat, | |
dass das keine Vitamintabletten gewesen sind", sondern jene berüchtigten | |
blauen Pillen, Oral-Turinabol. Der Sportausschuss war schon einmal weiter | |
in der Analyse des DDR-Dopings, Danckerts Ausführungen und die seiner | |
Kollegen markierten einen Rückfall in die 90er-Jahre. | |
Als Experte für Historisches war an diesem Tag der ehemalige DLV-Chef | |
Helmut Digel geladen. Er sprach von "changierenden Täter-Opfer-Rollen" im | |
DDR-Sport: "Die Sportler haben ja teilweise um die Tabletten gebeten." Die | |
Trainer seien nur "Vollzugsorgane in einem System gewesen", und der DLV | |
habe nach der Wende einen klaren Schnitt gemacht, das heißt nur DDR-Trainer | |
beschäftigt, die keine Minderjährigen gedopt und die nicht zur | |
Führungsebene gehört hätten. Der DLV habe nichts falsch gemacht, sollte das | |
wohl heißen. | |
Und auch das Innenministerium hat nichts falsch gemacht, denn es sieht | |
keinen Grund, Steuergeld zurückzufordern, weil belastete Trainer zu den | |
Olympischen Spielen geschickt worden sind. "Das hat keine Relevanz, das | |
kann abgelegt werden", sagte ein Vertreter des Innenministeriums. | |
Ute Krieger-Krause, DDR-Leistungsschwimmerin in Magdeburg und | |
Dopinggeschädigte, hatte sich nichts von der Sitzung des Sportausschusses | |
versprochen, jedenfalls nichts Positives. Sie sollte nicht enttäuscht | |
werden. "Wir kriegen nur noch gesagt: Jetzt seid aber mal dankbar - und | |
ruhig", sagt Krieger-Krause nach über fünf Stunden Politshow im Saal 4800. | |
Sie will sich aber auch 20 Jahre danach nicht fügen. Denn sie ist eine | |
Moralistin. "Ich will nicht verzeihen", sagt sie. | |
Klaus Zöllig, Vorsitzender des Dopingopfer-Hilfe-Vereins | |
19 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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